Zuckersüß 470: Luxus-Luft, Schwindel-Suche, AI-Archäologie

„gestapelt“ von Dorota Jurczak (MAK)

…mit drei Lokalen (Pizza Riva, Pizza Mari, Flora&Rauna im Augora), zwei Ausstellungen im MAK (HARD/SOFT, Protest/Architektur), einem Nähprojekt, neuerlicher Medienaufmerksamkeit auf die Ö1-„Freien“ – und wie immer, den besten Links der letzten Woche.

Seit dem letzten Zuckersüß habe ich Rhabarbertarte (genauer Geometrische Rhabarber-Tarte mit Frangipane, 2022), Grießschmarren (Rezept nach Lukas Nagl und Katharina Seiser) mit Apfelmus, Weißwein-Muffins und Cheesecake mit Himbeeren gebacken.

Außerdem habe ich wieder Bärlauchkapern in gezuckerten Essig eingelegt (einen ganzen Monat früher als 2023, aber trotzdem hatte ich schon größte Mühe noch nicht blühende Knospen zu finden?!) und experimenthalber Butter mit jungen Kirsch- und Brombeerblättern infusioniert.

Gegessen

Pizza mit Friarelli und Salsiccia in der Pizza Riva (1020), Pizza Margherita bei Pizza Mari (1020) und Cheesecake mit hausgemachtem cream cheese bei Marischka (für ein Podcast-Pilot-Projekt, das OH WOW produziert), ein Menü beim Flora&Rauna-Popup bei Augora (1060), da schreib ich noch drüber.

Cong you bing aus Immer schon vegan, Pasta mit gegrilltem Brokkoli und Zitrone, Kraut-Bohnen-Suppe mit Croutons, French Toast aus alten Semmeln und weißen Spargel mit Hollandaise und Kartoffeln.

Gesehen

HARD/SOFT – MAK

Bevor meine MAK-Jahreskarte ausgelaufen ist, wollte ich nochmal ins Museum schauen. Dort ist gerade „HARD/SOFT. Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst“ zu sehen. Von der polnischen Künstlerin Dorota Jurczak sind mehrere Werke ausgestellt, darunter der Frottee/Keramik-Vogel „Bronski“ („Beat“ sitzt in Form eines kleinen Hunds ein paar Meter weiter) vom Ausstellungsplakat und auch die gestapelten Vöglein auf dem Titelbild dieses Posts.

Das Kollektiv „Gelatin“ hat eine ganze Wand ineinandergreifender Ton-Platten – viele mit Gesichtern darauf – gestaltet, vor denen eins recht lange stehen kann. Das „gewebte Selbstporträt als Penelope“ (die mythologische Figur, die so lange an ihrem Teppich webte, bis ihr Ehemann Odysseus zurückkehrte, um nicht mit jemand anderem verheiratet zu werden) von Hildegard Absalon (1982) hat mich mit seinem Licht- und Schattenspiel schwer beeindruckt.

„Ifa“ von Ranti Bam

“Ifa“ von Ranti Bam fand ich aus der Weite und der Nähe toll: Die Tonskulpturen wurden laut Beschreibungstext mit Umarmungen geformt und balancieren auf typisch nigerianischen Holzhockern.

Apropos Weite: ich habe sie zwar nicht fotografiert, aber eine Stoff-Skulptur von Sheila Hicks habe ich aus drei Metern Entfernung sofort der Künstlerin zugeordnet… ihre Retrospektive vor dreieinhalb Jahren (s. Zuckersüß 386) hat offenbar bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen.

Peter Kogler „Ohne Titel (Ameise)“ (1993)

Der Riesen-Ameisen-Vorhang gleich beim Ausstellungseingang/ausgang wirkte auf mich (obvs abgesehen von seiner imposanten Größe) eher unscheinbar – bis ich den Text dazu las, und ihn auf einmal sehr cool fand:

Peter Kogler gilt als Pionier der digitalen Kunst und der Medienkunst in Österreich. […] Weil digitale Drucker in den Anfängen der Computerkunst fehlten,griff Kogler in den 1990er Jahren neben dem Siebdruck oft auf die mechanische Webtechnik zurück, um seine Bildschirmentwürfe in den analogen Raum zu übertragen. Der 1805 von Joseph-Marie Jacquard entwickelte erste lochkartenbasierte Webstuhl eignet sich perfekt als Medium für digitale Entwürfe, denn die binäre Codierung reduziert Vorlagen auf zwei Zeichen (0 und 1). Eine Lochkarte pro Schussfaden jeder horizontalen Webreihe spart jene Teile aus für die das jeweilige farbige Garn eingesetzt wird. So nahm der Jacquardwebstuhl schon Anfang des 19. Jahrhunderts die Digitalisierung und das digitale Speichermedium vorweg. Kogler entwickelte die Installation Ohne Titel (Ameise) aus zwei Vorhangelementen mit dem ehemaligen österreichischen Traditionsunternehmen Backhausen (1848-2023).

Die Ausstellung läuft noch bis 20. Mai 2024 im MAK.

Protest/Architektur – MAK

Im Anschluss dann noch ins Obergeschoss zu „Protest/Architektur – Barrikanden, Camps Sekundenkleber, wo eine selbst fürs MAK unüblich junge (hippie?) crowd unterwegs war. Die architektonische Perspektive auf Demos/Proteste fand ich sehr spannend. Gleich beim Eingang war eine Packliste der Lützi-bleibt!-Proteste aufgebaut, mit Zelten, Sekundenkleber, aber auch alten Handys und veganen Konserven. Irgendwer hat das Protestlager mit seinen Stelzenhäusern („Verzögerungsarchitektur“, denn bei über 2,5m Höhe muss die Polizei mit Spezialkräften ausrücken) 3D-gescannt, sodass es ein bedrucktes Papier-Modell davon zu sehen gab.

Auch andere ikonische Protestcamps gab es als Miniatur, z.B. Occupy Wallstreet im Zuccotti-Park in New York City oder die Arabischer-Frühling-Proteste am Tahrir-Platz in Kairo (beides 2011). Deren stelzengestützte Zelte wurden von den Kurator_innen mit dem Münchner Olympiastadion und seinem Zeltdach in eine Reihe gestellt.

Ich habe in der Ausstellung Einiges zur Rechtslage gelernt, Protest-FAQs waren an einer langen Tafel voller A4-Zettel von einem Anwalt beantwortet. Unweit davon war ein Strohsack ausgestellt, der in Deutschland (nicht aber in Österreich) tatsächlich als „passive Bewaffnung“ gilt (und dementsprechend bei Versammlungen nicht erlaubt ist) weil man sich damit verteidigen kann.

„Passive Bewaffnung“

Die Ausstellung läuft noch bis 25. August 2024 im MAK.

Gestrickt/genäht

Weiter am Rumble Raglan (noch immer nicht fertig!). Und genäht: ein Jeans-Bustier nach Burda 5/2011, die schon so lange bei mir herumliegt, aus Stoff, der vermutlich ebensolange bei mir herumliegt.

Veröffentlicht:

Im Blog: Sartory, Schnelle Weißwein-Muffins

Anderswo: Drüben im Sketchnoteblog eine Grafik zum Abend im Hörfeld, wo ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen bei OH WOW über unsere Formate Gerstl & Marie und Jeannes Varieté gesprochen habe:

Apropos Jeannes Varieté: Im Podcast meiner Chefin Jeanne Drach, den ich mitkonzipiert habe und laufend mitproduziere, sind zwei weitere Folgen erschienen: Für #7 Der Bär kocht mit Wut in der Einbauküche am Traunsee habe ich Lukas Nagl vom Bootshaus am Traunsee (da war ich im Mai 2023 ein großartiges Menü essen) zum Thema Küchenbrigade interviewt. Und in #8 Sieben Jahre im haarigen Traum erben habe ich Rokeya Sakhawat Hussains Biografie recherchiert (über ihre Kurzgeschichte Sultana’s Dream und den gleichnamigen Animationsfilm von Isabel Herguera auf dem Tricky Women Festival habe ich in Zuckersüß 468 geschrieben).

Außerdem ging eine neue Folge von Gerstl&Marie, zum Thema Edaphon (= Gesamtheit der Bodenorganismen – den Begriff kannte ich vorher auch nicht!), online, die ich gemeinsam mit meiner Kollegin Anna Muhr gestaltet habe.

Über mich: An der prekären Situation der „Freien“ bei Ö1 hat sich seit dem Medienrummel vor einem Jahr noch immer nichts geändert, weshalb Oliver Mark vom Standard das Thema im Kontext der gerade veröffenlichten Spitzengehälter beim ORF wieder aufgegriffen hat, und abermals auf meinen Fall (hier mein ganzer Ö1 – vorbei Post) verwiesen hat: ORF-Gehaltsschere: Prekariat neben Topgagen (derStandard.at, 13.04.2024).

Rezepte

Die Suche nach dem perfekten Leberknödel – Gruß aus der Küche
Ich hab noch nie Leberknödel gemacht, aber ich glaub, das änder ich beizeiten mald.

Bittersalat mit reduzierter Molke, Nüssen, Johannisbeeren und gebundenem Fett – HighFoodality
Fancyfancy.

Texte

The Hot New Luxury Good for the Rich: Air | The New Republic
Ich frage mich, ob es solche Gebäude auch in Wien gibt.

The building’s approach to filtration is undeniably sophisticated. The air in each unit isn’t shared with any other. Outside air is brought in, filtered, treated with an ultraviolet-C light that kills 99.9 percent of pathogens, and completely changed out once per hour. Circulation can be boosted or slowed. Most apartments with similar systems recycle the air every four to five hours a day. “We were thinking, if we’re already going to build a Ferrari, then why would we only give it a 200-horsepower engine?” Roe said. “Let’s put a 1,000-horsepower engine into it.” The quadruple-layer, triple-paned windows feature museum-quality glass and are generally opened only for cleaning. Otherwise, you’d let in air far dirtier than what’s circulating inside.

Super Cute Please Like – nplus (via Links I Would GChat You)
Dass Shein höchstfragwürdig ist („Qualität“, Beschleunigung, Arbeitsbedingungen, Zollvermeidung, etc) wusste ich. Dass sie auch eine Art Parallelwährung für NOCH billigere hauls eingeführt haben, nicht (abgesehen davon: sehr schön geschriebener Text).

The reviews are typical for a SHEIN item. Customers add photos of themselves, holding phone cameras to mirrors to capture their outfits. Every image is a selfie. “OBSESSED!!!!” they write, adding, “(likes are appreciated <3).” Likes are a currency, convertible into SHEIN points. Posting a review earns five points, a review with pictures earns ten, and a review with size information earns an additional two. Every dollar spent on SHEIN earns a point, and every one hundred points turns back into a dollar. The economy flourishes: “Please like I need points to buy this in a different color.” “Please LIKE MY REVIEW and help your broke girl out. (Sorry I can’t post wearing the items- broke shoulder- thanks for understanding!)” “Absolutely in love with these pants wearing them right now super cute please like I’m broke LOL.” “(pls like I need points).” 

A Teen’s Fatal Plunge Into the London Underworld | The New Yorker (via WebCurios)
Ein langer Longread mit vielen Twists. Leider eine wahre Geschichte mit echten Toten.

In each case, there were circumstances—debt, drugs, divorce, depression—that made suicide plausible. But the fact of so many sudden deaths over a short period of time involving high-flying London businessmen with Russian connections seemed dubious on its face. The press called the alleged suicides a “ring of death,” but as far as Scotland Yard was concerned they were just a series of unfortunate events. In 2017, BuzzFeed News published a groundbreaking investigation identifying fourteen men “who all died suspiciously on British soil after making powerful enemies in Russia.” According to the report, U.S. intelligence had shared evidence suggesting that numerous deaths being described by the London police as suicides had actually been murders. But a culture of timidity within British law enforcement, combined with weak institutional capacity after years of budget cuts, had shut down investigations. Some people expressed an even darker view: Britain had become so reliant on the largesse of Russia’s oligarchs that decisions had been made at a high level not to persecute London’s new mafia class, thereby extending to them the courtesy of being able to kill their enemies on British soil with impunity. One national-security adviser to the British government told BuzzFeed that ministers were desperate not “to antagonise the Russians.”

AI Food on DoorDash – 404media (via WebCurios)
Ohje:

This is all incredibly depressing. A local pizzeria can’t get by unless it makes sandwiches for ghost kitchen brands, the people who make a living taking photographs of food are being displaced by AI tools, and gigantic food delivery apps are still making money by taking a cut from restaurants and screwing over gig delivery drivers.

Why I don‘t write about Restaurants – From the Desk of Alicia Kennedy
Ja, wer kann es sich leisten, in Restaurants zu essen, über die in Restaurantkritiken zu lesen ist?

Yet the culinary scene here in the metro area has been repeatedly lauded in the press in the same exact way, over and over, for years; the common refrain has been that farm-to-table restaurants are potentially broadly transformative for the agricultural system. I’ve done it myself; I want to scream at myself. It’s as though saying some sort of culinary revolution is right around the corner will make it real, when all it does is wash away these realities of inaccessibility and unaffordability. This is what lifestyle journalism does: It makes everything seem a-ok because it looks good on glossy paper. (There’s also an assumption of a certain lifestyle being always already accessible to the people creating the lifestyle journalism, despite how little money writers and editors are actually paid.

The Most Mysterious Cells in Our Bodies Don’t Belong to Us – The Atlantic (via Buddenbohm & Söhne)
Irgendwie gruselig?

These cross-generational transfers are bidirectional. As fetal cells cross the placenta into maternal tissues, a small number of maternal cells migrate into fetal tissues, where they can persist into adulthood. Genetic swaps, then, might occur several times throughout a life. Some researchers believe that people may be miniature mosaics of many of their relatives, via chains of pregnancy: their older siblings, perhaps, or their maternal grandmother, or any aunts and uncles their grandmother might have conceived before their mother was born. “It’s like you carry your entire family inside of you,” Francisco Úbeda de Torres, an evolutionary biologist at the Royal Holloway University of London, told me.

Is pregnancy a disease? A normative approach – Smajdor & Räsänen – JME (via WebCurios)
Ein bisserl Medizinethik nebenbei (open access publishing ftw!).

Rachel Cooper, for example, proposes that to be classified as a disease, a phenomenon—P—must satisfy three conditions. ii These conditions are:
1. P is bad for the person who suffers from it.
2. The sufferer is unlucky to suffer from P.
3. P can be treated medically.
Cooper notes that her approach could indicate that unwanted pregnancy counts as a disease

Why Dizziness Is Still a Medical Mystery | The New Yorker
Noch ein Medizin-Longread:

Many dizzy people struggle to describe their symptoms. “I hear ‘light-headed’ a lot,” Sue Whitney, a professor of physical therapy at the University of Pittsburgh who helps people with vestibular rehabilitation, told me. Her patients often say that they feel like they’re floating—“or, ‘I’m off,’ or ‘my head feels funny.’ ” Soumit Dasgupta, an audiovestibular doctor from the U.K., added “fuzzy-headed” and “brain fog” to the list. A friend, who also received a vestibular-migraine diagnosis, told me that his episodes begin when his eyes start to drift toward the left. Living with dizziness, he said, is like trying to walk on a rocking boat.

Vesuvius Challenge 2023 Grand Prize awarded: we can read the scrolls! | Vesuvius Challenge
Wie cool ist das denn: mithilfe von ~AI~ Papyrusrollen aus Pompeii entziffern, ohne sie anzufassen!

Roughly, virtual unwrapping works in three steps:

  1. Scanning: creating a 3D scan of a scroll or fragment using X-ray tomography.
  2. Segmentation: tracing the crumpled layers of the rolled papyrus in the 3D scan and then unrolling, or flattening, them.
  3. Ink Detection: identifying the inked regions in the flattened segments using a machine learning model.

    These  scrolls were scanned at Diamond Light Source, a particle accelerator  near Oxford, England. The facility produces a parallel beam of X-rays at  high flux, allowing for fast, accurate, and high-resolution imaging.  The X-ray photos are turned into a 3D volume of voxels using tomographic  reconstruction algorithms, resulting in a stack of slice images.

Audio/Video

100 – Jürgen Pettinger über Dorothea Neff und die Verfolgung lesbischer Frauen im NS-Regime – Große Töchter
Der Journalist erzählt Beatrice Frasl die Geschichte der Schauspielerin Dorothea Neff und wie sie ihre jüdische Partnerin Lilli Wolff jahrelang vor den Nazis versteckte.

GAG446: Ein Duft aus Köln
Die Geschichte des Kölnisch Wasser, und nebenbei, des Markenrechts.

Backkatalog:



Hi, ich bin Jana.
Seit 2009 veröffentliche ich hier wöchentlich Rezepte, Reiseberichte, Restaurantempfehlungen (meistens in Wien), Linktipps und alles, was ich sonst noch spannend finde. Ich arbeite als Podcastproduzentin und freie Kulinarikjournalistin. Lies mehr über mich und die Zuckerbäckerei auf der About-Seite.

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Im Zuckersüß sammle ich (fast) jeden Sonntag meine liebsten Links der Woche: Rezepte für die Nachback-Liste, lesenswerte Blogposts, Zeitungsartikel und Longreads, Podcasts oder Musik, die mir gerade gefällt und oft genug auch Internet-Weirdness. Außerdem schreibe ich auf, was ich sonst so interessant fand: neue Rezepte in meiner Küche, Lokale, in denen ich gegessen, Pullover, die ich gestrickt oder Texte, die ich geschrieben habe.