Zuckersüß 419

berlin wedding
Wintergrau in Berlin-Wedding

…mit wenig Gebackenem, einem Besuch im Künstlerhaus, ein paar Tagen in Berlin mit Museum (Hamburger Bahnhof) und Lokalen (Jubel, Julius, Frieda) und Wollgeschäften (Wollen Wedding und Yarn Over) – und wie immer den besten Links der letzten Tage.

Seit dem letzten Zuckersüß habe ich Matcha-Erdbeer-Cookies (bald im Blog) und eine Schoko-Biskuitroulade gebacken und versucht, eine Gajar ka Halwa-Tarte zu entwickeln. Letzteres ist nicht so ganz geworden, wie ich mir das vorgestellt habe, der Karotten-Milchpudding war mir im buttrigen Mürbteig zu fettig und unausgeglichen. Dieses Rezept braucht noch ein paar Testrunden.

Künstlerhaus: Whiteness as a property

In der Eröffnungswoche war gratis Eintritt in der „Whiteness as a property“-Ausstellung im Künstlerhaus (also in den Räumlichkeiten genau über der Albertina modern, in der ich in der Vorwoche war), sodass ich mit einer Gruppe an Freund_innen vorbeischaute.

Das Booklet zur Ausstellung erklärt sehr gut, worum es dem Team dahinter ging: die Verschränkung von Besitz und Rassismus. Gleich im Eingangsbereich steht die Installation „Lawn“ von der südafrikanischen Künstlerin Lungiswa Gqunta. Sie besteht aus benzingefüllten zerbrochenen Glasflaschen, die auf den privaten Rasen privilegierter Hausbesitzer, gewaltsame Grenzziehung und Protest anspielen. Zur Sicherheit der Besucher_innen wurde das Ganze wiederum mit Seilen abgesperrt, eine recht ironische Maßnahme im Zusammenhang des Ausstellungsthemas.

Ich musste dabei an die Grundstücksmauern in Marokko denken, die quasi immer mit Glasscherben gespickt waren, um zu vermeiden, dass jemand drüberklettert – in Mitteleuropa hatte ich sowas noch nie gesehen.

Dank einer Installation des Kollektivs Fokus Grupa habe ich erfahren, dass Österreich-Ungarn über eine eigene Zuckerraffinerie in Rijeka (heute Kroatien) verfügte. Im ehemaligen Verwaltungssitz der Monopol-Zuckerhandelsgesellschaft waren die Wände mit Darstellungen von Sklavenarbeit bemalt – auch ohne „eigene“ Kolonie war die k.u.k-Monarchie in den Kolonialismus involviert.

Ansonsten werden u.a. noch kubanische Arbeitslieder, die von Sklav_innen auf Plantagen gesungen wurden, Megayachten und Besitzverhältnisse, Care-Arbeit in Moskau und Kinderarbeit in den USA Anfang des 20. Jahrhunderts aufgegriffen. Die Ausstellung läuft noch bis 6. Juni 2022.

Nation, Narration, Narcosis – Hamburger Bahnhof Berlin

Ich war für ein paar Tage in Berlin, wo das Wetter dank Sturmtief (Ylenia? Zeynep?) echt unangenehm war. Ich hielt deshalb ein paar Stunden im Museum für eine besonders gute Idee. Samstagnachmittag gibts im Hamburger Bahnhof, dem Gegenwartskunst-Standort der Nationalgalerie, eine Gratisführung durch die Ausstellung „Nation, Narration, Narcosis“, die sich v.a. aus südostasiatischer Perspektive mit Nation(alism)en und nation building beschäftigt. Der Vermittler trug seinen Laptop mit und gab uns erst einmal einen geografisch-politischen Crashkurs zur Region (über die ich erschreckend wenig weiß).

Besonders eindrücklich fand ich die Videoinstallation „Sea State“ von Charles Lim, die auf verstörend schöne Weise die Landgewinnung (die gleichzeitig allerhöchste Umweltverschmutzung ist) in Singapur zeigt. Ein Stockwerk höher war einiges mit feministischem Einschlag zu sehen, z.B. die Videoinstallation „Dye“ von Kawita Vatanajyankur. Die thailändische Künstlerin lässt sich dabei immer wieder mit dem Kopf, auf dem sie eine Perücke mit weißen Baumwollfäden trägt, in eine Farbschüssel tunken. Sie will damit auf die lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen in der Textilindustrie ihres Heimatlandes aufmerksam machen. Den ostasiatischen Werken standen oft auch welche von deutschen Künstler_innen gegenüber (die Ausstellung ist eine Kooperation mit drei südostasiatischen Museen, die das Goethe-Institut eingefädelt hatte). In meiner Wahrnehmung sind Käthe Kollwitz oder Joseph Beuys klar „Deutsche“, doch die Beschriftungen in der Ausstellung machten darauf aufmerksam, dass sich „Deutschland“ als Nation in den letzten 150 Jahren auch sehr verändert hat – Käthe Kollwitz z.B. wurde im Königreich Preußen geboren, Joseph Beuys im Deutschen Reich. Über/von Beuys weiß ich wenig, seine Schweinefettinstallation in dieser Ausstellung fand ich jedenfalls ziemlich verstörend.

Lokale in Berlin: Jubel Pâtisserie, Julius und Café Frieda

Ich bin in Berlin natürlich auch in ein paar Lokale gegangen, von denen ich schon mehr oder weniger gehört hatte.

Die Pâtisserie Jubel (Hufelandstraße 10, Prenzlauer Berg) verfolge ich schon seit Monaten auf Instagram (@jubel_patisserie). Dort gibt es Törtchen und Konfekt, das eins schon als avantgardistisch beschreiben könnte. Und hübsch ist es auch noch!

Mein erstes Törtchen (3,90€) dort bestand aus Biskuit, in den grob gehackte Sonnenblumenkerne eingearbeitet waren und darauf einer Ziegenkäse-Lavendelcreme, die wiederum mit Honig (?) gefüllt war. Obenauf war noch Sonnenblumenkernkaramell und ein paar getrocknete Blütenblätter. Wenn ich schon mal da war, wollte ich es nicht bei einem belassen und bestellte mir noch die Probierportion mit drei Mini-Süßigkeiten (4€). Leider war ich dann schon zu sehr in mein Gespräch vertieft, als dass ich genau aufgepasst hätte, wie das Gebäck gemacht war, aber zumindest die Zutatenkombinationen bekomm ich noch zusammen. Einerseits ein Biskuitboden mit Frischkäse/Topfen-?-Mousse und Himbeere, dazu kandierter Ingwer, andererseits ein Erdnuss-Törtchen nach dem gleichen Konzept, dessen Mousse zwar fast strahlend weiß war, aber dennoch ziemlich erdnussig schmeckte, mit gerösteten Erdnüssen obenauf. Und dann noch ein winziger Windbeutel mit Mascarpone und Apfel als Füllung.

Tags darauf frühstückte ich im Julius (Gerichtsstraße 31/Nettelbeckplatz, Wedding), dem „Schwesterrestaurant“ des doch recht exklusiven fine-dining-Lokal Ernst gegenüber. Ich wusste nicht, dass dieses „Spinoff“ existiert, bis mir ein Freund in Berlin davon erzählte und ich drauf kam, dass ich nur einen kurzen Fußweg dorthin hatte. Als ich Samstag um halb elf dort ankam, war ich die erste Gästin. Das Team werkte schon in der offenen Küche, das Brioche (eine von drei Frühstücksoptionen) war allerdings noch nicht fertig – eine der Köchinnen trug dafür gerade erst die Küchenmaschine von der anderen Straßenseite herüber. Zwischen Granola und French Toast (9€) fiel meine Wahl dann natürlich auf letzteres und ich wage zu behaupten, dass ich noch nie einen besseren gegessen habe. Die Kruste war so karamellisiert, dass sie beim Reinbeißen zersplitterte, die Krume weich und dicht. Dazu gabs süße (aber ich denke ungezuckerte) Schlagsahne und eher bittere als saure Zitrusmarmelade. Sie bestand, wie ich mir erklären ließ, hauptsächlich aus Haruka, einer japanischen Zitronenart.

Tee gabs leider keinen, weshalb ich fruchtigen Hand Drip Coffee (4€) dazu trank (Kaffeenerd bin ich wahrlich keiner, fragt mich nicht, was es damit auf sich hat)und die meiste Zeit einfach dabei zuschaute, wie sich das Team auf den Mittagsservice vorbereitete. Ich fragte den Kellner am Schluss noch nach Lokalempfehlungen für den Abend, er schrieb mir Otto, Barra, Jaja, Lagerlager und Frieda auf einen Zettel (was hats bloß mit diesen irgendwie so ähnlichen Lokalnamen auf sich??)

Wie zu erwarten, war nirgends ein Tisch zu haben, aber dem Frieda (Lychener Straße 37, Prenzlauer Berg) als Café/Tagesbar/Restaurant-Dings wollte ich am späten Nachmittag noch einen Besuch abstatten, und so fuhr ich wieder nach Prenzlauer Berg. Auch wenn das Konzept und die Karte dieses Ladens großartig klingt, bin ich ziemlich abgeschreckt worden. Der Service war ruppig (mir schien, als wäre eine einzelne Besucherin nicht sehr willkommen) und die Preise waren hoch. Kein einziges alkoholfreies Getränk (auch kein Tee) war unter 5€ zu haben, als gelernte Wienerin halte ich 2,50€ für etwas Leitungswasser dazu für geradezu unverschämt. Mein Grenadine-Veilchen-Limo fand ich dann schon sehr gut, aber ein zweites wollte ich mir nicht mehr leisten. An der Bar saß ich vorm DJ-Pult mit Schallplattenspielern (es lief „Boulevard“ von St Germain) und direkt vor dem Gebäck-Schaukasten. Nachdem ich schon karamellisierten French Toast gefrühstückt hatte, nahm ich Abstand von dem sehr gut aussehenden Kouign Amann und stattdessen lieber ein Potato Bun (1,50€). Das war auch ziemlich gut, ich tunkte es in ein Schüsselchen ätherisch-scharfes Olivenöl, das mit 2€ teurer war als die Semmel. Ich fühlte mich nicht willkommen genug, um noch das sehr spannend klingende hausgemachte Softeis (9€ pro Portion) zu bestellen und ging dann lieber heim.

Wolle in Berlin

Ich habe zwei schöne Wollgeschäfte entdeckt: Wollen im Wedding (gar nicht weit von Ernst und Julius!), das auch Stoffe und sehr viele Handarbeitsmagazine führt, und auf Empfehlung eines lieben Insta-Followers das Yarn Over an der Oranienburger Straße, wo es außerordentlich schöne handgefärbte Stränge gibt.

Ich hab ein paar Knäuel in strahlendem pink (Mohair von Filcolana und Farbverlauf-Merino von Madeline Tosh) gekauft und Stricknadeln auch noch gleich, und habe tatsächlich noch im Zug das Simply Wave Top angeschlagen.

Hier folgen meine liebsten Links der letzten Tage:

Rezepte

Kitchen Project #57: Cornflake Tart 2.0
Wann gibts den ersten Rhabarber?

Texte

The metaverse is just a new word for an old idea | MIT Technology Review (via sentiers media)
Was Facebooks Zukunftspläne mit der Weltausstellung zu tun haben. (Die Beschreibung „Meta (née Facebook)“ hat mich nebenbei sehr belustigt).

Like the virtual world that the metaverse’s promoters promise, the Great Exhibition was a world within the world, full of the splendors of its day and promises about the future. But even as it opened up new spaces of possibility—and profit—it also amplified and reproduced existing power structures through its choices of exhibits and exhibitors, its reliance on the Royal Society for curation, and its constant erasure of colonial reality. All this helped ensure that the future would look remarkably British.

Ein Schuft, wer noch auf Spotify ist | Revue – Kultur und Kontroverse
Zur Joe-Rogan-Neil-Young-Spotify-Sache.

In den ästhetischen und politischen Konflikten der Gegenwart sehen sich die Fans als eine Macht, die über emotionale und ökonomische Investition in eine Künstler*in ein Mitspracherecht in Bezug auf deren ideologische Verortung erworben haben. Man behandelt Künstler*innen im wesentlichen wie politische Parteien, deren Mitglied man ist, und von deren Entscheidungen man enttäuscht sein kann.

Pandemics disable people — the history lesson that policymakers ignore – Nature
Oft geteilt in meiner Timeline.

From the beginning of this pandemic, people with disabilities understood that the disease would target them and would swell their ranks. Disability historians knew that there was a penumbra of ill health to previous mass-death events. Health economists warned that, as with tuberculosis, HIV and other diseases, morbidity would stalk mortality. Too many others have clung stubbornly to a belief that COVID-19 is something from which a minority of people die, and that most bounce back quickly and intact, with only their immune system updated. The longer the pandemic drags on, the harder it is to maintain that fiction.

Abortion Opponents Hear a ‘Heartbeat.’ Most Experts Hear Something Else. – The New York Times
Werkzeuge bestimmen, was eins wahrnimmt…

The consensus among most medical experts is that the electrical activity picked up on an ultrasound at six weeks is not the sound of a heart beating and does not guarantee a live birth. The sound expectant mothers hear during a scan is created by the machine itself, which translates the waves of electrical activity into something audible.

Land der Leugner – DATUM
Auf das Retweeten dieses Artikels hin musste ich erstmal Coronaschwurbler blockieren…

Oberösterreich ist nun in der fatalen Situation, nicht nur Hochburg der verschwörungsideologisch geprägten und strukturell klar rechtsradikalen Coronaleugner-Bewegung zu sein – sondern als erstes Land im gesamten deutschsprachigen Raum einen parteipolitischen Arm dieser Szene in einem Regional­parlament sitzen zu haben. Rund sechs Prozent der Stimmen bekam die Partei ›mfg – Menschen Freiheit Grundrechte‹ bei der Landtagswahl im September, nun verfügt sie über drei Mandate und über jede Menge Geld für den Aufbau bundesweiter Strukturen. 

Olympia-Fotograf Sebastian Wells über Winterspiele in Peking – FAZ
Tolle Fotos!

Ich richte mein Augenmerk auf die abseitigen Dinge, das Drumherum, und mache nicht die Nachricht zum Bild, sondern nach Möglichkeit das Bild zur Nachricht. Außerdem versuche ich, eine sehr subjektive Perspektive auf die Spiele zu entwickeln

Audio/Video

Jean Michel Jarre – Equinoxe
Dieses psychodelische Elektro-Album habe ich bestimmt schon mal verlinkt, jetzt wurde ich wieder dran erinnert.

Sonst So

Sexual Revolution. Modern Facism and the Feminist Figthback – Laurie Penny
Gekauft.

Backkatalog:



Hi, ich bin Jana.
Seit 2009 veröffentliche ich hier wöchentlich Rezepte, Reiseberichte, Restaurantempfehlungen (meistens in Wien), Linktipps und alles, was ich sonst noch spannend finde. Ich arbeite als Podcastproduzentin und freie Kulinarikjournalistin. Lies mehr über mich und die Zuckerbäckerei auf der About-Seite.

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Im Zuckersüß sammle ich (fast) jeden Sonntag meine liebsten Links der Woche: Rezepte für die Nachback-Liste, lesenswerte Blogposts, Zeitungsartikel und Longreads, Podcasts oder Musik, die mir gerade gefällt und oft genug auch Internet-Weirdness. Außerdem schreibe ich auf, was ich sonst so interessant fand: neue Rezepte in meiner Küche, Lokale, in denen ich gegessen, Pullover, die ich gestrickt oder Texte, die ich geschrieben habe.

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