Zuckersüß 418

Stephansplatz Wien
Ende Jänner in 1010

…mit ein bisschen Gebackenem, zweimal im Museum (Albertina Modern & hdgö), Streetfood, fine dining, Kinderradio, Kino (Tod auf dem Nil) – und wie immer den besten Links der letzten Tage.

Seit dem letzten Zuckersüß habe ich Schoko-Whoopie-Pies gebacken (bald im Blog) und ein paar Archivrezepte in Varianten nachgemacht: vegane Bananen-Schoko-Cookies, aber mit Walnüssen statt Schokolade, sowie Kardamom-Olivenöl-Kuchen mit kandierten Orangen ohne Kardamom. Heute morgen habe ich schnell eine Schokobiskuitroulade mit Marillenmarmelade gemacht, auf wundersame Weise ist schon wieder fast nichts mehr davon übrig.

Albertina Modern: „The 80s“

Für die Semesterferien habe ich mir vorgenommen, sämtliche Ausstellungen in Wien zu besuchen, die mich interessieren. Weil ich jetzt *alt* bin (also jedenfalls zu alt für Studi-Rabatt) wäre das ganz schön teuer, weshalb ich mir eine Bundesmuseen-Card zugelegt habe. Mit der bekommt eins einmaligen Eintritt in acht verschiedene Museen, für 59€.

Mein erster Ausflug führte mich in die „The 80s“-Ausstellung in der Albertina modern, die mittlerweile geschlossen hat. Ohne Audioguide (für 3€ am eigenen Device, für meine Ohren nicht wahnsinnig gut produziert) hätte ich mit den meisten Werken in der Ausstellung nix anfangen können, denn mir fehlt sehr viel Hintergrundwissen und Kontext. Es gibt eine begleitende Ö1-Radiokolleg-Serie vom November (die noch nicht depubliziert ist, ein Wunder beim derzeitigen Rundfunkgesetz mit seinen 7-Tage-Fristen?!), durch die ich zumindest ein bisschen über ausstellende Künstler gelernt habe.

Das Ausstellungsplakat, das nicht nur auf einer Säule vor der Albertina modern zu sehen ist (war?) sondern schon seit Monaten in der ganzem Stadt verteilt, hielt ich für ein Foto. Tatsächlich ist es eine riesige hyperrealistische Malerei von Franz Gertsch, die mich IRL sehr beeindruckt hat. Abgebildet ist eine Sexarbeiterin namens Irène.

„Dirosapocalypse“ von Hervé de Rosa ist ein noch größeres Bild, auf dem so viel passiert, dass eins wahrscheinlich eine Stunde davorsitzen könnte und es würden immer noch neue Elemente auffallen. „Electric Night“ von Helmut Middendorf zeigt die Berliner Clubszene in den ärgsten Farben, die ich seit langem gesehen habe – das blau ist wirklich ultramarin.

Die Reihe an „Balaclavas“ von Rosemarie Trockel sind mit computergenerierten Mustern maschinengestrickt und waren zu ihrer Entstehung ein Kommentar auf RAF-Terrorismus und weibliche Stereotype. Sie fühlten sich für mich wie das für die heutige Zeit relevanteste Ausstellungsstück an. Einerseits sind solche Mützen gerade furchtbar trendy (und auch in der Kritik, weil gesichtsverhüllende Accessoires bei muslimischen Frauen problematisiert sind, während weiße Models damit einfach nur fashionable sind, s. z.B. Balaclavas Are Trendy, but for Some Muslim Women It’s More Complicated – The New York Times). Andererseits sind sie nach dem Ort Balaclawa auf der Krim benannt, die heute ein Teil von Sewastopol ist – einem ukrainischen Gebiet, das Russland schon 2014 annektiert hat.

Ross Bleckner’s „Architecture of the Sky IV“ hat mich durch die Hintergrundgeschichte im Audioguide sehr berührt. Es zeigt Sterne am Nachthimmel, die hubbelige Struktur bricht das darauffallende Licht und spielt gleichzeitig auf die Symptome AIDS-Kranker an, die zum Entstehungszeitpunkt 1988 noch dem sicheren Tod entgegen gingen. Referenzen auf AIDS gab es z.B. auch in Bildern von Keith Haring.

Raymond Pettibons zynische Comiczeichnungen, z.B. der (wahrscheinlich) US-amerikanische Uniformierte, der mit einer Pistole auf den „kommunistischen“ Atompilz losgeht brachten mich dann wieder zum Schmunzeln.

Haus der Geschichte Österreichs: „Hitler entsorgen“

Am nächsten Tag habe ich die Sonderausstellung „Hitler entsorgen“ im Haus der Geschichte Österreichs besucht. Sie befindet sich im Obergeschoss der Hofburg, direkt beim Balkon, von dem aus Hitler 1938 den Anschluss verkündete. Am Anfang stehen ein paar Mitmach-Stationen („Was würden Sie mit Objekt xy“ machen?) inklusive Video-Interviews von Institutionen, denen häufiger Gegenstände aus der NS-Zeit in die Hände fallen, z.B. dem Caritas-Second-Hand-Laden Carla. Den Hauptteil der Ausstellung bieten Tische mit einzelnen Objekten und der Verpackung in der sie dem Museum geschenkt wurden. Dazu gibt es jeweils mehrere Text-Karten, die erklären, warum das Objekt in die Sammlung aufgenommen wurde, welchen Wert es für die Wissenschaft hat und welche historischen Ereignisse damit in Zusammenhang stehen. Fotografiert habe ich nur ein Ausstellungsstück, nämlich ein ehemaliges RAVAG-Mikrofon, das angeblich bei einer Hitlerrede zum Einsatz gekommen ist.

Die Ausstellung läuft noch bis 9.10.22, die Dauerausstellung des hdgö ist ebenfalls einen Besuch wert.

Streetfood / fine dining

Auf dem Rückweg vom Museum holte ich mir beim Koon, dem Streetfood-Popup des koreanischen Restaurant sura (hier habe ich schonmal drüber geschrieben), tteok, also quietschige, längliche Reisküchlein in scharfer Sauce am Spieß (2€) und ein paar Meter weiter einen Bubble Tea bei find tea.

Am Donnerstag schnappte ich mein Klimaticket (und meine übliche Restaurantbegleitung) und fuhr auf lustigen Regionalbuswegen zum Mühltalhof in Neufelden, wo ich Philipp Rachingers „ois“-Menü (mit offiziell 12, tatsächlich eher unzählbar vielen) großartigen Gängen aß. Dazu schreib ich nochmal extra!

Wozu ich auch noch extra schreiben werd: die gestrige Folge Rudi Radiohund auf Ö1. Da gehts um die Löcher im Käse und Robert Pagets Käserei (kam schon in meiner Kulinarium-Sendung „Guter Schimmel, schlechter Schimmel“ vor) – hier eine Woche lang nachzuhören.

Ahja, und ich hab Tod auf dem Nil (in deutscher Synchronisation) im Kino geschaut, eine wirkliche Meinung habe ich dazu nicht (davon abgesehen: viele CG-Landschaften, Emma Mackey und Armie Hammer??). Außerdem habe ich DAVE von Raphaela Edelbauer fertiggelesen, darüber will ich noch für die Bücher-Rubrik hier im Blog schreiben.

Hier folgen meine liebsten Links der letzten Tage:

Rezepte

Kitchen Project #56: Ganache forever
Nicola Lambs Deepdives in Patisserie-Themen hätte ich am liebsten als Buch, zu groß ist meine Angst, dass ihr großartiges Substack in den Tiefen des Internets verschwindet. Thema diesmal: Vegane Ganache-Zusammensetzungen.

Hungarian Stuffed Kohlrabi (Töltött Karalábé) | Love and Olive Oil
Lustig zu lesen, wie eine US-Foodbloggerin Kohlrabi für sich entdeckt.

The Secret to Frothy Gin Fizzes, Sours and More | PUNCH
Ein Plädoyer für Milchpulver in Cocktails.

Pitta di Patate Salentina | lamiacucina
Kartoffelauflauf.

Ixta Belfrage’s vegan recipe for sticky rice-stuffed aubergines with spring onion salad | Vegan food and drink | The Guardian
Spannende Zutatenkombo.

Best Chinese Almond Cookies Recipe – How to Make Bánh Hạnh Nhann – Food52
Mit Eigelb und Karamell bepinselt?

Texte

The Ideological Battlefield of the „Mamasphere“ – Culture Study
Alles zwischen Instagram und Geschlechterrollen finde ich seit meiner BA-Arbeit zum Thema sehr spannend. In dieser Analyse kommen auch noch ein paar STS-Konzepte (Actor-Network-Theory! Blackboxing!) dazu – Top-Lektüre für eine Insta-Hassliebende wie mich.

Instagram is pure PR for the nuclear family, and it totally erases how much childcare has always been shared within communities — and how much families have always relied on each other to raise their kids. Because Instagram is just images, and momfluencers try to have everyone camera-ready for posts, and those posts need to be very easy to “read” while you’re scrolling (here’s the family toasting marshmallows, here they are at the beach, here they are all together in PJs) it’s just easier to control the imagery if it includes only the nuclear family. Like, you’re not going to ask your neighbour Janine who looks after the kids twice a week to put her hair in barrel curls so she can appear polished in a picture, you know? Also, no one’s going to read a caption explaining who some random person in the pic is. The audience is tuning in for the main characters. The upshot is that we see a completely ahistorical representation of family life in most of the mamasphere. Care-work is completely erased. There are no neighbours in the mamasphere!

Against Girlbossing. Girlbossing is dead, but what does that… | by Nicole Froio | Jan, 2022 | ZORA
Leider habe ich vergessen, über welche Umwege ich bei diesem Text gelandet bin, er passt jedenfalls gut zu obigem Themenbereich.

The fourth wave of feminism was all about being a girlboss, taking control of your own life through being a self-starter, a badass, pull-no-punches queen. But in January 2022, this sounds like an exhausting endeavor — especially post-pandemic, having it all has clearly been exposed as “doing it all because nobody else will, doing the laundry because nobody else will, nobody else will care for the health management of your family, nobody else will quit their job to look after the kids.” Having it all is no longer an aspirational goal; it’s an obligation to do everything, otherwise, people you love will suffer.

The New Status Fridge Is a Hidden from View – The New York Times
Dieser Text liest sich für mich als Einbauküchen-gewohnte-Mitteleuropäerin sehr kurios.

Ms. Wollack and Mr. Bullard both said that the fervor for concealing appliances resulted from kitchens increasingly being used as rooms for casual congregation, rather than as areas dedicated exclusively to the preparation of food.“Kitchens used to be concealed,” Ms. Wollack said. “It had a door. That was where you had all your appliances. It was like the work space. And now, kitchens are more of a lifestyle. You want to make it pretty and seamless.”These spaces are being furnished “as living rooms,” Mr. Bullard said. “We add art. You add expensive lighting. The island becomes sort of the modern-day dining table.” (The real dining table remains confined to a separate, less-used room.)A spokesman for Sub-Zero confirmed that panel-ready models of the company’s refrigerators are “especially popular in major metropolitan areas.” Mr. Bullard said the fastest way for kitchen trends to spread is through images on social media. In the past few years, he said, Instagram has inspired a blitz of green-colored kitchens.

Love for Sale | by Anahid Nersessian | The New York Review of Books (€) (via Kultur und Kontroverse)
Eva Illouz wurde in so vielen Büchern zitiert, die ich schon gelesen habe, dass ihre Bücher weit oben auf meiner Leseliste stehen. In diesem Text ist mir zum ersten Mal Kritik gegenüber ihrer Argumentation begegnet.

The best way to understand this book is as a symptom of heterosexuality’s hard-earned contempt for itself. The End of Love is populated by women who see sex “as undermining the possibility of being recognized as a person,” who long for relationships anchored by certainty only to find out that marriage and monogamy can be terrible, too. As “Julia,” a sixty-seven-year-old Austrian woman, says of her husband, “He criticizes me for not being careful enough with my weight. We often have fights about it but the bottom line is that I have been dieting all my life.” This is awful, but so is Illouz’s determination to make a spectacle of her subjects and to insist—against all evidence to the contrary—that the problem with relationships these days is how easily they end. Run, Julia, run!

Abortion Opponents Hear a ‘Heartbeat.’ Most Experts Hear Something Else. – The New York Times
Medizinische Technologie beeinflusst was wie sichtbar wird – im Falle der schwangerschaftsabbruchs-verbietenden „Heartbeat Bills“ höchstproblematisch:

The consensus among most medical experts is that the electrical activity picked up on an ultrasound at six weeks is not the sound of a heart beating and does not guarantee a live birth. The sound expectant mothers hear during a scan is created by the machine itself, which translates the waves of electrical activity into something audible.

Who Owns a Recipe? A Plagiarism Claim Has Cookbook Authors Asking. – The New York Times
Ich bin sehr froh, dass Rezepte nicht copyrightable sind, wo kämen wir denn dahin (Spoiler: nirgends).

“I think it is a good thing in the world that many people have different ways for making chocolate chip cookies,” Mr. Szczerban said. “I have more examples in my memory bank of people who have kind of furthered the culinary arts by engaging with other people’s recipes and bringing their own transformation to them than people who have ripped other people off.”
Mr. Bailey, the copyright expert, said the lack of legal protections for recipes may help explain why so many cookbooks now have creative elements like narrative essays and beautiful photography, both of which can be copyrighted. “I think this is a situation where the law has shaped recipes, far more than recipes have shaped the law,” he said.

Forget your carbon footprint. Let’s talk about your climate shadow. – MIC.com
Dieses Konzept find ich ziemlich hilfreich!

The problem with the carbon footprint is that, as the example of the climate scientist and the oil industry marketer show, our footprints don’t paint an accurate picture of our true individual impact on the climate crisis. And by encouraging eco-minded people to use their carbon footprints as a “guide” to fight climate change, we risk them spending all of their energy on low-impact individual actions that are easy to quantify, like recycling or turning off lights, instead of putting that energy toward broader, more meaningful work, like lobbying local politicians or speaking up at work about wasteful practices. Imagine if Greta Thunberg had decided to devote her attention to using less water or ditching dairy products instead of creating #FridaysforFuture.

Der Anhänger von Karoline Cohn – haGalil
Über Schmuck eines jüdischen Mädchens, das in Sobibór getötet wurde.

Seit dem Jahr 2000 werden auf dem Gelände des einstigen deutschen Vernichtungslagers in Sobibór archäologische Ausgrabungen durchgeführt, bei denen bislang mehr als 11.000 Funde zu Tage gebracht wurden. Die Gegenstände vermitteln neue Einblicke in die tragische Geschichte des Ortes und seiner Opfer. Nur einige wenige gefundene Relikte lassen sich konkreten Personen zuordnen. Der Anhänger von Karoline Cohn ist eines der Artefakte, das die Identität einer im Holocaust ermordeten Person offenlegen und die Erinnerung an sie bewahren.

Audio/Video

Margo Cilker – „Tehachapi“ (via Zwischen Zwei und Vier)
Country-Song goes Dixieland

How Musicians Think About Space – Architecture Exchange
Dieses Audiojournal über Architektur, herausgegeben von einer handvoll Wissenschaftler, hat mich in seiner Machhart sehr beeindruckt. In dieser Folge geht es um Aufnahmetechnologien und wie Musik(er_innen) sich daran angepasst hat/haben.

Die Neue Seidenstraße im Zeitalter der Pandemie – Viren und Welthandel – DLF
Hab ich mir quasi als Vorbereitung auf den nächsten Museumsbesuch angehört, im Weltmuseum Wien ist gerade „Staub & Seide“ zu sehen.

Psychologie und Klimawandel – Allein gegen den Klimawandel?
Hier habe ich vom oben verlinkten Konzept des Klimaschattens das erste Mal gehört.

Die Macht des Schachs – mit Tatia Skhirtladze – Jeannes Welt – Podcast
Jeanne Drachs persönlicher Podcast startet mit neuer Aufmachung in eine neue Staffel, das Sounddesign gefällt mir sehr.

Design Signatur Perriand – Die Küche der Cité Radieuse – ARTE
Die Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky fasziniert mich schon lange, durch dieses Video hab ich erfahren, das Charlotte Perriand quasi das französische Equivalent dazu entworfen hat.

Sonst So

The Turn-of-the-Century Pigeons That Photographed Earth from Above | The New Yorker (via @kottke)
Tolle Fotoserie!

Crochet Coral Reef (via mixture)
Dieses Projekt ist gleichzeitig Handarbeit, angewandte Mathematik und Klima-Aktivismus.

SneakerKit: Nachhaltige Schuhe zum selber nähen
Schuhe zum Selbermachen?

Backkatalog:



Hi, ich bin Jana.
Seit 2009 veröffentliche ich hier wöchentlich Rezepte, Reiseberichte, Restaurantempfehlungen (meistens in Wien), Linktipps und alles, was ich sonst noch spannend finde. Ich arbeite als Podcastproduzentin und freie Kulinarikjournalistin. Lies mehr über mich und die Zuckerbäckerei auf der About-Seite.

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Im Zuckersüß sammle ich (fast) jeden Sonntag meine liebsten Links der Woche: Rezepte für die Nachback-Liste, lesenswerte Blogposts, Zeitungsartikel und Longreads, Podcasts oder Musik, die mir gerade gefällt und oft genug auch Internet-Weirdness. Außerdem schreibe ich auf, was ich sonst so interessant fand: neue Rezepte in meiner Küche, Lokale, in denen ich gegessen, Pullover, die ich gestrickt oder Texte, die ich geschrieben habe.

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