Zuckersüß 457: Fake-SMS, Fake-Markenware, Hässlichkeit

Blick auf die Donau

…mit wenig Gebackenem, einem Museumsbesuch (Glanz und Glamour. 200 Jahre Lobmeyr im MAK), einem Symposium (The City as A Resource bei der Vienna Design Week), ein bisschen Gestricktes mit Spitzeund wie immer, den besten Links der letzten Woche.

Seit dem letzten Zuckersüß habe ich nur Zwetschgen-Tartelettes mit Kardamom-Streuseln gebacken (bald im Blog!).

Zwetschgen-Tartelettes mit Kardamom-Streuseln

Gegessen

Reisnudeln in Erdnusssauce. Penne alla vodka nach Serious Eats. Greek Lemon Potatoes nach der NYT (zu viel Öl für meinen Geschmack! nächstes mal nur halb so viel), dazu Butternusskürbis und Brokkoli mit Salzzitrone und griechischem Joghurt. Takeout-Jiaozi, die so teuer und gleichzeitig unzufriedenstellend waren, dass ich sofort wieder aufhören werde, nicht immer alles selber zu kochen (oder alternativ in ~fancy~ Restaurants zu essen).

Gesehen

„Glanz und Glamour. 200 Jahre Lobmeyr“ im MAK

Ich bin Dienstagabend auf einen sehr kurzen Sprung in diese mittlerweile beendete MAK-Sonderausstellung gestolpert. Alles dort schimmerte, glitzerte und glänzte, auch einige der Besucher_innen waren in Abendgarderobe da (warum, habe ich nicht herausgefunden).

Meine Lieblingsleuchte zwischen all den Kronleuchtern dort war der Prototyp zum Starburst-Leuchter in der Metropolitan Opera in New York, ganz offensichtlich mitten im Space Age (1966) entstanden. Daneben war eine Fotowand mit Bildern von Leuchten für staatliche/öffentliche Gebäude auf der ganzen Welt, von Saudi-Arabien bis Japan. Das hat mich dran erinnert, dass ich in einer Ausstellung im Architekturzentrum vor drei Jahren schon mal Lobmeyr-Luster für „Ost“ und „West“ angeschaut habe, leider habe ich damals nicht sehr ausführlich drüber gebloggt.

Ansonsten gabs viele hübsche Gläser, Karaffen, Schüsseln, Vasen usw. zu sehen, manche mit wirklich überraschend zeitlosem Design. Toll fand ich auch noch die Installation City Shades: Vienna, Moscow New York von Maxim Velčovský, ein Skyline-Schattenspiel aus Lobmeyr-Produkten. Entstanden ist es ursprünglich schon für die Vienna Design Week 2016, für den Wien Tourismus. Leider hab ich versehentlich das Foto davon gelöscht…

Urban Food & Design Symposium bei der Vienna Design Week

Das KOMPOST-Studio (Herausgeber des Preserve Journal) hat mich (für mich recht überraschend) zum Symposium The City as A Resource eingeladen, und als ich das Programm gelesen hatte, wusste ich, dass ich da hinmuss – es verband nämlich erstaunlich viele meiner Interessen auf einmal: Essen, Design, und v.a. ganz schön viele theoretische STS-Ansätze.

Im Goodie-Päckchen zum Event waren neben Sojabohnen aus Wien, Salat-Saatgut und einem Notizbuch auch ein kleines Heftchen mit Literaturempfehlungen zum Weiterlesen (hier online). Es war mit A Carrier Bag for Inspiration & Reflection betitelt, in Referenz auf Ursula K. Le Guin und ihre Carrier Bag Theory of Fiction, über die ich lustiger/zufälligerweise schon vor ein paar Wochen mal im Zuckersüß 454 geschrieben habe – den Originaltext konnte ich aber leider immer noch nicht aufreiben/lesen. Aber erstmal zurück zum Symposium:

Agro-Ökologin Kenza Benabderrazik von der ETH Zürich eröffnete mit einem Einführungstalk und moderierte den restlichen Nachmittag. Sie stellte zuerst einmal fest, dass unser Essen nicht nur unsere Körper und Leben formt, sondern auch Landschaften, Wirtschaft und – Tagesthema – die Stadt. Deren Verhältnis zur Lebensmittelproduktion ist im zeitgenössischen Westen ziemlich linear: Das Land liefert Lebensmittel, zurück kommt nix. Dabei könnten unsere Abfälle – vor allem auch der Stickstoff aus unserem Abwasser – auf dem Land wiederverwertet werden, meint Kenza Benabderrazik, und schon wäre wieder ein bisschen mehr Kreislaufwirtschaft da. Wichtig dabei sei alllerdings, unsere bestehenden Hierarchien zu hinterfragen, Menschen sollten nicht so über allen anderen Organismen stehen (das klingt total nach Latour und ANT!) und überhaupt müssten wir ein paar Denkmuster über Bord werfen: statt Effizienz lieber Suffizienz, statt Ware lieber Gemeingut, statt Extraktion Regeneration und vor allem care statt Kontrolle (~natürlich~ bezieht sie sich hier auf Puig de la Bellacasa, Encountering Bioinfrastructure: Ecological Struggles and the Sciences of Soil im Agropoetics Reader ab S. 161 will ich noch nachlesen).

Anschließend wurden die drei Gewinner-Projekte (von was genau hat sich mir aus dem Programm nicht ganz erschlossen) vorgestellt. Als erstes HEIMAT – DIE BOHNE, DIE STADT UND DIE KUNST: ein „fremdes“ Indoor-Mini-Sojafeld, dem vermeintlich „heimische“ Pflanzen wie Zwetschge, Kartoffel, Kürbis oder Mais gegenübergestellt waren. Die Sojabohne kam mit der Weltausstellung 1873 ins Land, und dennoch ist sie weiterhin als nicht-österreichisch konnotiert, dabei wachsen sogar auf Wiener Stadtgebiet einige Hektar davon.

Als zweites GROWING THE CITY FARM, eine Grundinfrastruktur um „Satelliten“ zur Vienna City Farm (im Augarten) auf Freiflächen in der ganzen Stadt zu verteilen. Fast ein bisschen wie Grätzloasen?

Und zuletzt Amino Feast – Alchemy with Proteins, das mich in seiner quietschbunten Sci-Fi-Optik ziemlich gegruselt hat. Die Installation eines Festmahls versucht neuartige Lebensmittel, im speziellen Fall die aus CO2 gewonnenen Aminosäuren des Startups Arkeon, zugänglicher zu machen.

Dass man Aminosäuren schon als Lebensmittel bezeichnen kann, würde ich eher bezweifeln, außerdem muss das doch bestimmt auch erst jahrelange Zulassungsverfahren durchlaufen? Und statt Zutaten, die es hier ja in dem Sinne nicht gibt, das Geschmacksprofil anzugeben, finde ich auch befremdlich, bzw. wortwörtlich entfremdend. So eine Hightech-industrialisierte, gar nicht greifbare Lebensmittelproduktion wie sie hier vorgeschlagen wird, ist definitiv nicht die Zukunft des Essens, die ich mir wünsche.

Kenza Benabderrazik sprach im Anschluss noch ein bisschen über die Temporalität unserer Böden, die einerseits aus einer konstruierten Vergangenheit bestehen, andererseits auf eine spekulative Zukunft verweisen.

Der folgende Talk von Grace Gloria Denis (großartige Webseite, btw!), Soil Soundscapes: Sensing with the subterranean hat mich ebenfalls sehr angesprochen. In ihrem Projekt Sounding Soil. Aural Oral hat sie Kontaktmikrofone in verschiedenen landwirtschaftlichen Flächen angebracht, um die Biodiversität in den Böden zu hören. Überraschenderweise war es im Bio-Weinbau – der dennoch eine Monokultur ist – viel leiser als in einem konventionellen gemischten Gemüsebetrieb, wo viele verschiedene Arten angebaut werden. Dieser Zugang, Biodiversität als „Krach“ erfahrbar zu machen stützt sich auf acoustemology nach Stephen Feld, das muss ich als Audio-Produzentin unbedingt mal nachlesen!

Am Schluss stellte dann noch der Künstler Omer Polak ein paar seiner Projekte vor, darunter eine kleine Phiole, in der er den Geruch des Waldbodens „eingefangen“ hatte. Den hatte er zuerst mit speziellen „Filterstrohalmen“ eingefangen, und dann im Labor in einer engen Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine nachbauen lassen – offenbar ist das mit dem Riechen noch schwieriger/subjektiver als mit dem Hören!

An diesem Punkt war ich dann schon ziemlich hungrig. Gut dass es als nächstes „Klopfer“ (Feigenblattlikör) vom Bruder und einer essbare Installation von Lucia Gaspari gab: Einen Berg luftig aufgeschlagener Butter mit eingelegten Zwiebeln, Senfkörnern und Oliven, dazu Sauerteigbrot, eine Gemüsebrühe aus dem Teebeutel und fein gehobeltes, mariniertes Gemüse.

Eine großartige Veranstaltung – ich freu mich, dass ich eingeladen wurde, denn sonst wär das alles an mir vorbeigegangen. Dabei steht die Vienna Design Week allen offen, und zwar noch bis zum 1. Oktober, verteilt in der Leopoldstadt und vor allem in der Festivalzentral im ehemaligen magdas Hotel am Prater.

Gestrickt

Immer weiter an meinem Planet-A-Klimawandeltuch und am pinken Baumwoll-Häkeltop. Außerdem war ich beim Open Häkeln Spitze im MAK, wo diesmal das Wäschelabel Soda Lingerie zu Gast war. An mehreren Stationen konnte man da unter fachkundiger Anleitung ein altes T-Shirt zu einem Tubetop mit Spitze verwandeln (was nicht ganz klar aus der Veranstaltungsankündigung herausgekommen war). Leider passt so ein Top stylemäßig weder in meine Garderobe noch in die der meiner (männlichen) Begleitung, und so verbrachten wir lediglich ein bisschen Zeit mit hübsche-Spitzen-bewundern und Gen-Z-Style-schauen (verglichen mit den vorherigen, s. Tufting mit Bettina Willnauer im April, Sonji im Januar, fühlte ich mich bei dieser Ausgabe dieses Events wirklich alt im Sinne eines ganz offensichtlichen Generationenunterschieds :‘). Eigentlich bin ich hingegangen, weil ich wieder ein kurzes Interviewformat mit den Designer_innen/Gründer_innen des eingeladenen Labels erwartet hätte, leider gabs sowas diesmal gar nicht.

Veröffentlicht

Im Blog: Zimt-Zwetschgen-Kuchen

Anderswo: Mein erster Text im Standard, „Auf Maki zum Heurigen“

Hier folgen meine liebsten Links der letzten Tage:

Gâteau Invisible (Invisible Apple Cake) Recipe – Serious Eats
Oh, das schaut nach einem großartigen Herbst-Backvorhaben aus.

Rahmtäfeli – Rezept von Streusel
Hat mich an meine Radiosendung zum Thema Karamell von vor zwei Jahren erinnert.

Salted Egg Yolk Shortbread Cookies – Constellation Inspiration
Ich glaub, ich muss ganz bald einen Ausflug zum Naschmarkt machen und mich dort durch die asiatischen Süßigkeiten zum Mondfest probieren!

better chocolate babka – smitten kitchen
Hat mich auf Instagram angelacht und wird deshalb wohl bald nachgebacken. S.a. Mein Schokoladen-Hefezopf-Brot von 2014.

Marcella Hazan’s Rice & Smothered Cabbage Soup Recipe on Food52
Ich glaub die Suppe würde in meiner WG sehr gut ankommen.

Texte

Empire of dust: what the tiniest specks reveal about the world | The Guardian
Zur politischen Dimension von Staub.

Dust – or preferably its absence – continued to signify status and respectability for working class communities in the UK throughout the mid-20th century. Women in inner-city terrace homes would scrub the front step as a daily or weekly ritual, buffing it up with red polish or scouring it with a donkey stone until it shone. The street outside would be swept to keep down dust and dirt (important in industrial areas) and a bucket of soapy scrubbing water sluiced over the pavement once done, to clean that up, too. “It showed you were house-proud,” Margaret Halton, 85, told the Lancashire Telegraph in 1997. “You could tell who was clean and who wasn’t just by looking at their doorstep.” In these narrow streets and tight-knit communities, all eyes were on you. Maintaining pristine cleanliness among difficult conditions was how you showed pride.

A literary history of fake texts in Apple’s marketing materials – Max Read
hahah, wegen sowas liebe ich das Internet.

The denizens of Dimension Apple love the following things: Punctuation, trips, sharing photographs, using emoji, taking photographs, surprise parties. You might be inclined to say that they hate roasts, bits, gossip, cynicism, text abbreviations like “LOL,” and other standard features of texting in our dimension–but it is not at all clear to me that any of these things even exist in Dimension Apple to be hated. Like Android users, irony simply does not occur in Dimension Apple.

Ford/Food | Online Only | n+1 | Patrick Ellis
Über Fast-Food, Drive-Ins, und Auto-Kultur.

Ford’s Garage is in the walkie-talkie-army genre of restaurant. It exists in the land of rationalized, micromanaged arrivals (“join waitlist”; “your table is ready”), aiming to deliver upon that vouchsafed suburban promise, of never again having to wait in a city line. Customers are greeted by some three or four workers clustered around the hostess station. Seating is military precision. Crackle. Four-top coming your way. IPAs flow for dads. (A bartender there claims that whichever beer has the most alcohol is invariably the day’s best seller.) The menu is sports-bar standard ($15 hamburgers rule) distinguished by automotive puns (desserts = “sweet rides”). Male servers wear a uniform, mechanic-inspired. For women, dress typically leans toward a post-Hooters (another Florida origination) concession of short-shorts but chaste tops. Martial rituals take place periodically; all of the floor staff begin chanting at once. It has the rulebook discipline of a Cheesecake Factory.

MAKE IT TILL YOU FAKE IT | Vestoj
Hat mich an diesen Text von Şeyda Kurt von vor ein paar Wochen erinnert.

If anything, there is now something effortlessly authentic about knock-offs, whereas ironic marked-up collaborations feel overly engineered, cynical, and easily lost in today’s never-ending stream of online clout chasing. When I see Gucci’s Disney t-shirts, I can almost smell the sweat of marketing executives, chartered accountants and IP lawyers gathered in a boardroom.

Starting Out: Issue 23, with Mitra Kaboli – Transom
Ein Plädoyer, Audio-Journalismus nicht zu sehr zu automatisieren:

It really makes me super sad that people are not listening to their tape. Because you can’t make a movie by reading a transcript, and you certainly cannot make your audio documentary off reading a transcript, even if it’s a two-way interview.

„Ich schließe mich lieber der Seite der Hässlichen an“ – fluter
Künstlerin Moshtari Hilal im Interview zu ihrem neuen Buch:

Schönheit funktioniert nur dann, wenn sie für die meisten unerreichbar bleibt. Deshalb ist es ein Trugschluss zu glauben, dass es Schönheitsnormen geben kann, die alle einschließen. Insofern hat selbst diverse Schönheit ihre Grenzen. Ich frage mich eher: Wenn es mir nun gelingt, einen Platz unter den Schönen zu ergattern, auf welcher Seite stehe ich dann? Welchen Sinn hat Schönheit überhaupt, wenn ich sie doch jederzeit wieder verlieren kann, zum Beispiel durch einen Unfall oder durch Alter und Krankheit? Politisch schließe ich mich lieber der Seite der Hässlichen an. Historisch gesehen ist das eine widerständige Position. Die Perspektive der Ausgegrenzten ist eine, aus der man viel lernen kann. Wenn man Ausgrenzung erlebt hat, weiß man, wie sie funktioniert, und versteht, wie man sie nicht reproduziert. Insofern ist das für mich am Ende die erstrebenswertere Position.

Audio/Video

Hello, Girls Podcast | Podmasters
Ein Podcast über Unterwäsche! Ich bin noch nicht über Folge 1 (zu Wonderbra und der zugehörigen Eva Herzigova-Werbung) hinaus, aber ich werd weiterhören.

Klimahandel: Guten Flug (Folge 1) – News Plus Hintergründe – SRF (via Julian Schmidli)
Der erste Podcast des Schweizer Rundfunks, den ich gehört habe, ich bin auch erst bei Folge 1, finds aber bisher ganz spannend!

Who What Wear Podcast: Eric Daman | Who What Wear UK
In diesen Podcast habe ich zufällig „quer“ reingehört (die Folge ist von 2021), er bietet u.a. Einblicke in Kostümdesign für Serien, hier Gossip Girl und Sex & The City.

Sonst So

1940s knitting patterns · V&A
WOW. (Und der Victory Jumper gefällt mir!)

@yoriyas
Die Fotos, die Yassine Alaoui Ismaili vom Erdbeben-gebeutelten Marokko gemacht hat, finde ich sehr berührend.

Backkatalog:



Hi, ich bin Jana.
Seit 2009 veröffentliche ich hier wöchentlich Rezepte, Reiseberichte, Restaurantempfehlungen (meistens in Wien), Linktipps und alles, was ich sonst noch spannend finde. Ich arbeite als Podcastproduzentin und freie Kulinarikjournalistin. Lies mehr über mich und die Zuckerbäckerei auf der About-Seite.

Meine Sketchnotes:
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Im Zuckersüß sammle ich (fast) jeden Sonntag meine liebsten Links der Woche: Rezepte für die Nachback-Liste, lesenswerte Blogposts, Zeitungsartikel und Longreads, Podcasts oder Musik, die mir gerade gefällt und oft genug auch Internet-Weirdness. Außerdem schreibe ich auf, was ich sonst so interessant fand: neue Rezepte in meiner Küche, Lokale, in denen ich gegessen, Pullover, die ich gestrickt oder Texte, die ich geschrieben habe.