Zuckersüß 304

Mit dem Bücher (oder Prüfungsstoff) lesen klappte es in dieser Woche leider nicht, aber dafür war ich bei mehreren *Kulturveranstaltungen*. Beim „kunstschatzi“ im Kunsthistorischen Museum wurde das ohnehin schon eindrucksvolle Gebäude mit bunter Beleuchtung, Diskokugeln, DJ und Cocktails noch beeindruckender. Ich gehe gerneins Museum, aber unter diesen Bedingungen macht es noch viel mehr Freude (wenn auch der Signature Cocktail meiner Meinung nach nix taugte). Passend zum Motto des Abends „Wild Thing“ gab es stündlich Führungen durch verschiedene Ausstellungen.

Bei der ersten, die den Titel „Wilde Kerle“ trug, erfuhr ich zum Beispiel, dass Einhörner ursprünglich eher wie „Wolpertinger“ gedacht wurden statt so knuffig und süß wie heute. In „Freestyle – Künstler auf dem Holzweg“ ging es um Peter Paul Rubens Werke auf Holz, die leicht kaputt gingen und aufwändig restauriert werden müssen. In einer Restaurierungsaktion von 1815 passierte dann sogar mal ein Fehler, den man getrost Photoshop-Fail (Shoutout an Jana) nennen könnte: Ein Fuß aus einer Skizze unter dem Gemälde wurde freigelegt und steht jetzt ohne Körper im Bild!

In der Altertumssammlung folgte ich der Tour „Die jünglingsraubende Sphinx“. Selbige steht als Statue im KHM und führte viele heroische junge Männer mit einem einfachen Rätsel ins Verderben: „Was hat am Morgen vier Beine, am Mittag zwei und am Abend drei?“ (Kommt wer von euch lieben Leser_innen auf die Lösung?).


alterlaa
*Wunderschönes* Alterlaa

Am Wochenende war Open House, auf das ich schon seit einigen Wochen hinfiebere. Bei dieser Aktion stehen ansonsten (halbwegs) private Gebäude zur Besichtigung offen. Ich wollte unbedingt mal den Wohnpark Alt-Erlaa  sehen, weshalb ich gleich am Samstagmorgen in den 23. Bezirk fuhr. Ich wäre sicher nicht *zufällig* dorthin gekommen, aber ohne Führung durch das Gelände wäre der Besuch auch nur halb so spannend gewesen.

Auf dem Dach
Dachpool
Dachpool, FTW

Eigentlich ist der Gebäudekomplex ja außerordentlich hässlich, doch die Wohnqualität darin ist so hoch, dass alle der 3000 (oder mehr?) Wohnungen vermietet sind. Jede davon hat eine Loggia oder einen Balkon, und alle Bewohner_innen können kostenlos die Pools und Saunen am Dach nutzen. Ein Einkaufszentrum, mehrere Schulen und eine Kirche (die einzige in Österreich, die nicht der Kirche gehört!) gibts dort auch noch.

Oft siehts aus, als wäre der ganze Wohnpark in den 1980ern stehen geblieben
Die U6-Station passt in ihrer Gestaltung super zum Wohnpark

Die Atmosphäre im riesigen Gebäudekomplex ist wirklich angenehm, obwohl sehr vieles enorm altmodisch wirkt. Im Rahmen der Führung durften wir Besucher_innen sogar in eine Einzimmerwohnung schauen. Daran hat mich am meisten der Balkon begeistert, in den Trögen darauf wächst nämlich nicht nur ein halbes Gemüsebeet, sondern auch kleinere Bäume.

Eingangshalle der Länderbank

Zurück in der *Stadt* schaute ich mir die Länderbank an. Die stammt von Otto Wagner, weshalb ich den Plänen dazu schon in der Ausstellung im Wien Museum (s. Zuckersüß 300) begegnet bin. Die Führung hier war nicht uninteressant, aber ich konnte mich nicht so für das Gebäude begeistern wie in Alterlaa.

Viel Tageslicht überall

Danach gings noch weiter zur WU, wo ich an einer Führung durch das Library & Learning Center teilnahm. Leider ist dort fotografieren verboten, sodass ihr entweder selbst zum Prater fahren, oder euch die offizielle Webseite anschauen müsst, um das futuristische Bauwerk von Zaha Hadid zu sehen. Im ganzen Gebäude gibt es nicht einen rechten Winkel und sehr viele Flächen sind weiß, sodass sogar ein jährliches Malerbudget zur Instandhaltung eingeplant wurde. Der Prestigebau kostete fast 500 Millionen Euro und ist seit 2013 eröffnet – jetzt sieht er noch immer sehr cool aus. Ich frage mich allerdings, ob das Gebäude in dreißig oder vierzig Jahren auch so furchtbar wirkt wie heute die Wohnblöcke in Alterlaa.

Bis es soweit ist, könnt ihr ja meine liebsten Links der Woche lesen, heute mit recht viel politischem Inhalt:

REZEPT

apple and cheddar scones – smitten kitchen
Käse und Apfel hab ich noch nie zusammen probiert.

Alison Roman’s Salted Butter and Chocolate Chunk Shortbread – bon appetit (via @whiskkid)
Um diese Cookies scheint es einen erstaunlichen Hype zu geben – Bon Appetit hat immerhin mehrere Menschen dazu interviewt.

Auberginenfrikadellen – La mia cucina
Ohne dieses Rezept wäre ich niemals draufgekommen, Auberginen so zu verarbeiten.

TEXT

The Mystery of People Who Speak Dozens of Languages – New Yorker
Interessantester Longread der Woche, in dem viele Linguist_innen zu Wort kommen.

However they differ, the hyperpolyglots whom I met all winced at the question “How many languages do you speak?” As Rojas-Berscia explained it, the issue is partly semantic: What does the verb “to speak” mean? It is also political. Standard accents and grammar are usually those of a ruling class. And the question is further clouded by the “chauvinism” that Ellen Jovin feels obliged to resist. The test of a spy, in thrillers, is to “pass for a native,” even though the English-speaking natives of Glasgow, Trinidad, Delhi, Lagos, New Orleans, and Melbourne (not to mention Eliza Doolittle’s East End) all sound foreign to one another. “No one masters all the nuances of a language,” Simcott said. “It’s a false standard, and one that gets raised, ironically, mostly by monoglots—Americans in particular. So let’s just say that I have studied more than fifty, and I use about half of them.

Wie Horst Seehofer sein Privileg missbraucht – SPIEGEL ONLINE
Margarete Stokowski triffts auf den Punkt.

Das Puzzle aus freidrehender rassistischer Hetze und oberflächlich bemühten Werten fügt sich von allein immer weiter zusammen. Wenn Seehofer davon spricht, dass er sein Handeln nach der christlichen Überzeugung ausrichte, dann hat das nichts mit irgendeinem christlichen Grundwert zu tun, sondern dient nur als regionaler Marker zur Abgrenzung vom Islam. Seehofer könnte sich genauso gut auf die „Sendung mit der Maus“ oder Heringssalat beziehen, und seine Rede würde rhetorisch nichts verlieren.

AfD-Politikerin vor der Bayern-Wahl: Holt sie die Stimmen der CSU? – taz.de
Die AfD in meinem Heimatlandkreis hat beängstigend hohe Chancen, nicht nur ihre Spitzenkandidatin in den Landtag zu bringen.

Ebner-Steiner ist bekennender Höcke-Fan, die beiden sind schon oft gemeinsam aufgetreten. Die Niederbayerin hat die Erfurter Resolution unterschrieben, in der die AfD als „Widerstandsbewegung“ definiert wird. Sie hat in diesem Jahr das Kyffhäuser-Treffen des rechten Flügels der AfD moderiert.

Prantls Blick: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit Süddeutsche.de
Gegen Nazis wird zu wenig getan in Deutschland:

Der alltägliche gewalttätige Rassismus in Deutschland ist nach der Aufdeckung der NSU-Morde kein großes Thema geworden. Die Bürger, die sich Neonazis entgegenstellten, erhielten nach wie vor wenig Hilfe. Wenn Neonazis couragierten Leuten zur Einschüchterung das Auto demolierten, wurde das von der Polizei wie eine ganz normale Sachbeschädigung behandelt. Die Morde der NSU haben keine neue Sensibilität der Behörden ausgelöst. Es gab keine Anweisungen, gegen braune Gewalt mit aller Energie vorzugehen. Es gab keine neuen Prioritäten in der Politik. Es gab keine Indizien für neue Verve, neue Tatkraft, neue Courage im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Man tat und man tut so, als seien die NSU-Morde das eine – und die alltäglichen Gewalttätigkeiten gegen Ausländer etwas ganz anderes.

Heute vor 26 Jahren… – dasbiber
Ein schwarzer Mann wurde aus der Bahn geschubst und starb – die Auswirkungen des rassistisch motivierten Mordes auf Dudu Kücükgöls Familie:

 Man hätte meine Eltern für religiös konservative, „typisch türkische“ Eltern halten können, dabei hielten sie das Zugfahren allen Ernstes für eine Gefahr für ihre als „anders“ erkennbaren Kinder. Und ich frage mich, wie die rassistischen Vorfälle hier und heute die eben in Österreich angekommenen Menschen prägen und welche Restriktionen sie sich und ihren Kinder zum Schutz auferlegen werden.

Was die EU-Urheberrechtsreform bedeutet: 13 Fragen und Antworten – Futurezone
Höchstwahrscheinlich Uploadfilter.

Sehr viele Internet-Experten und Internet-Pioniere warnten vor der Einführung [von Uploadfiltern], darunter etwa der Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales und WWW-Erfinder Tim Berners-Lee. Sie haben sich in einem offenen Brief dagegen ausgesprochen, weil sie aus dem offenen Internet „ein Werkzeug für die automatisierte Überwachung und Kontrolle der Nutzer machen“. Künftig bestimmen große Plattformen wie Facebook oder Google noch mehr, welche Inhalte durch den Filter kommen und welche nicht. Damit werde die Rechtsdurchsetzung weiter privatisiert. Eine solche Infrastruktur hätte zudem massivere Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit.

Es piept wohl – Süddeutsche.de
Mütter wegen Smartphonenutzung shamen find ich richtig schlecht.

Anfang des 19. Jahrhunderts war die Sorge groß, dass Mütter infolge grassierender „Lesesucht“ Haushalt, Kindererziehung und eheliche Pflichten vernachlässigten könnten. Ganz so weit ist es nicht gekommen, der Roman hat die Institution Familie genauso wenig zerstören können wie die Illustrierte, das Radio, das Fernsehen und das Internet. Sie wird auch dem Smartphone standhalten.

Cathy Horyn Travels to Germany to Understand the Unlikely Return of Birkenstocks – The Cut
Interessantes über Schuhgeschichte:

The Birkenstocks are not exactly the Buddenbrooks of the Mann novel, but they have produced their share of family drama and enterprising characters. In the late-19th century, when German spa culture was at its zenith, Europeans and rich Americans flocked to resorts like Baden-Baden for water cures, and Konrad Birkenstock, a Frankfurt cobbler, began making shoes with contoured insoles to serve them. (Before then, insoles had typically been flat.) His innovation led to a flexible arch support that could be inserted into factory-made shoes, and by 1925, the family was turning out its distinctive blue flexible Fussbett, or “footbed,” in a factory in Hesse. Konrad always sought to promote health, and seminars and textbooks by his son, Carl, helped remind the public that the Birkenstocks were above all orthopedic experts.

The Unbearable Sameness of Cities – NYMag
Mir scheint, dass nicht nur in den USA Städte (Einkaufsstraßen, Hipstercafés…) unendlich gleich aussehen, sondern auch im deutschsprachigen Raum. Warum?

A hypothesis: The reason so many of these joints feel harvested from Brooklyn is because they are. Or at least, they all have the same Brooklyn/Silverlake/Lincoln Park aesthetic because that’s what people want. In cities like Pittsburgh or Wenatchee, Washington, children who’ve gone off to seek their fortunes in America’s megalopolises are returning. Some are lured by cheaper costs of living and, in certain cases, more economic opportunity; some are obliged to care for aging parents or other family.

How Heroin Came for Middle-Class Moms – Marie Claire (via i am a foodblog)
Auch die gefühlt tausendste USA-in-der-Drogenkrise-Story macht das Thema nicht weniger schrecklich.

To properly understand American women’s relationship to addictive substances, one needs to examine the history of advertising in the pharmaceutical industry. During the 1960s and ’70s, years of disproportionate household duties and neglectful husbands and crying kids were vanquished with the help of a hot new drug: Valium. Valium, a benzodiazepine, or tranquilizer, was known as “Mother’s Little Helper,” marketed to “reduce psychic tension,” to make all that emotional pain go away. […] When OxyContin hit the market in 1996, it was considered the gold standard of painkillers. It’s hard to believe now but opioids like OxyContin were advertised to doctors as less addictive, and were, in turn, prescribed to patients as harmless relief from back pain, migraines, endometriosis, and pregnancy-related pain—just a step above Advil. The advertising slogan? “Get in the Swing with OxyContin.” OxyContin cured everything. Except it didn’t: It was just as addictive and as soul-sucking as any other opioid, advertisements notwithstanding.

AUDIO/VIDEO

Kokoroko – Abusey Junction // We out here
Zufalls-Youtube-Fund.

Cara Italia – Ghali
Coole italienische Musik.

SONST SO

Web Design Museum
Wie Google 1998 aussah und Apple 2001 (geht mit der WayBackMachine auch, aber nicht in Austellungsform)

FOTO

Ein Gebäude des Wohnparks Alt-Erlaa

BACKKATALOG

2010: Smilies
2011: Eulenplätzerl
2012: Österreichische Pofesen
2013: Bagels
2014: Hauseinstands-Zimtschnecken
2015: Pfirsich-Pull-Apart-Bread
2016: Eine Reise nach Venedig
2017: Eine Reise in die USA, Pt. 2: KY



Hi, ich bin Jana.
Seit 2009 veröffentliche ich hier wöchentlich Rezepte, Reiseberichte, Restaurantempfehlungen (meistens in Wien), Linktipps und alles, was ich sonst noch spannend finde. Ich arbeite als Podcastproduzentin und freie Kulinarikjournalistin. Lies mehr über mich und die Zuckerbäckerei auf der About-Seite.

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Porträtfoto: (c) Pamela Rußmann

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Im Zuckersüß sammle ich (fast) jeden Sonntag meine liebsten Links der Woche: Rezepte für die Nachback-Liste, lesenswerte Blogposts, Zeitungsartikel und Longreads, Podcasts oder Musik, die mir gerade gefällt und oft genug auch Internet-Weirdness. Außerdem schreibe ich auf, was ich sonst so interessant fand: neue Rezepte in meiner Küche, Lokale, in denen ich gegessen, Pullover, die ich gestrickt oder Texte, die ich geschrieben habe.

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