Zuckersüß 463: Absorption Vacation, Bauhaus-Webedesign, Critical History of Reality TV

im Weltmuseum

…mit ausschließlich Frühstücks-Gebackenem, zwei Museumsbesuchen (Science Fiction(s) im Weltmuseum und Showbiz Made in Vienna. Die Marischkas im Theatermuseum), drei angelesenen Büchern (I’m A Fan von Sheena Patel, Typografie Intensiv von Rudolf Paulus Gorbach und der Sammelband Acquired Tastes), I’ll read itund wie immer, den besten Links der letzten Woche.

Seit dem letzten Zuckersüß habe ich Kaiserschmarrn, Topfenpalatschinken (inspiriert vom Milchrahmstrudelkostüm in der Marischka-Ausstellung im Theatermuseum, s.u.), Bravetart’s Zimtschnecken, sowie eine Sauerteigversion davon gebacken, die wirklich super geworden ist. Der Sauerteig entschärft nämlich die übertriebene Süße der restlichen Komponenten und gleicht sie ein bisschen mitteleuropäischer Frühstückstradition an.

Da wirkte es noch so, als würde der Sauerteig nie aufgehen

Gegessen

Linguine mit gebratenem Hokkaido- und Butternusskürbis mit Orangensaft und Muskatnuss, frittierten Knoblauchscheiben, Mandeln, Burrata und schwarzem Pfeffer am Silvesterabend. Tahdig, mit ein paar marokkanischen Elementen, d.h. einer Schicht geschmorter Zwiebel mit Trockenfrüchten und frittierten Mandeln, dazu einen Haufen Petersilie und Dill (TK, weil viel zu schwer zu kriegen). Gebratenen Rundkornreis mit Ei, Mini-Butternuss-Kürbiswürfeln, Champignons, Frühlingszwiebeln und Ingwer, dazu Karfiolröschen in Gochujang-Honig-Glasur. Roggen-Mischbrot mit Frischkäse, selbstgemachten Dirndloliven, Bärlauchkapern und eingelegten Zucchini aus dem Garten meiner Cousine.

Ein Cannélé vom Parémi (1010, 3€). Zweimal Maroni beim Stadtspaziergang (je 3€). Ein Salzstangerl (1,20€) und eine sehr gute Apfeltasche (3,20€) von Lillasoul (1180).

Getrunken: Schneemannsuppe, als selbstgebasteltes Geschenksset, das ich wahnsinnig lieb fand: Ein Schraubglas mit Kakao, Schokosplittern und Marshmallows, das man nur mit heißer Milch aufzugießen braucht.

Gelesen

Ein paar mehr Seiten in I’m A Fan von Sheena Patel, das ganz schön ~anzüglich~ ist? Vom Setting her (Social Media ist zentral) erinnert es mich ein bisschen an Self Care von Leigh Stein, das ich vor ein paar Monaten gelesen, aber nie ~besprochen~ habe.

Typografie intensiv. Ein Handbuch für Einsteiger und Profis

Einmal quer durch Typografie intensiv von Rudolf Paulus Gorbach, das ich seit über zehn Jahren im Regal stehen habe (in Schülerzeitungs-Zeiten gekauft!) und schon lange nicht mehr in der Hand hatte. Für meine MA-Arbeit wollte ich nämlich herausfinden, ob bzw. in welchen Fällen ich Titel (z.B. von Podcasts) oder App-Namen kursiv setzen sollte. Ich glaube zwar kaum, das solche Spitzfindigkeiten irgendwem (negativ) auffallen würden, aber ich versuche, dass diese Arbeit, die ja immerhin auch gedruckt in der Uni-Bibliothek landen wird, nicht komplett pfuschig ausschaut. Leider fand ich im Buch keinen Hinweis in diese Richtung, dann fiel mir aber glücklicherweise ein, dass sowas ja im APA-Style-Guide stehen sollte. Und tatsächlich, es gibt online ein paar Hinweise zum Use of Italics! Hier im Blog ist mein Einsatz von kursiver Schrift leider eher erratisch, aber ich bin ja nicht die NYT oder so.

Mit dieser ganzen Herum-Googelei bin ich dann auch noch über das Online-Buch Practical Typography von Matthew Butterick (dessen Newsletter ich sehr gerne mag, btw) gestolpert, das sehr nett geschrieben ist und auch sehr hilfreich scheint. Über das Kapitel zu Research Papers habe ich mich amüsiert:

Does this look familiar? A document with one-inch margins on all sides, 12-point font, and double-spaced lines? These were idiomatic typewriter habits. That’s why they became the basis of many institutional document-layout rules. Nearly 40 years into the digital-typesetting era, they remain with us. But have you ever seen a book, newspaper, or magazine that uses this layout? No. Why not? Because it’s not optimally legible. So why would anyone use it? […] If some authority figure insists that you use this layout, then do so. If not, then don’t. It’s awful.

Research Papers – Matthew Butterick

Mit den Formatierungsoptionen von Word habe ich dann auch noch ziemlich lange gekämpft, vielleicht kopier ich meine Arbeit am Ende wirklich noch in InDesign, wobei ich dann vielleicht mit der Zotero-Integration Probleme kriege? Mal schauen.

Acquired Tastes. Stories about the Origins of Modern Food

Endlich angelesen: Acquired Tastes. Stories about the Origins of Modern Food (Eds. Benjamin R. Cohen, Michael S. Kideckel und Anna Zeide), das schon monatelang neben dem Bett liegt (die Uni Wien hats aber auch als E-Ressource, FYI). Es ist eine Sammlung wissenschaftlicher Artikel (in der MIT Press erschienen), ich hab einfach mal die quergelesen, deren Titel mir interessant vorkamen:

Kapitel 2, Modern Food as Status: A Biography of Modern British Bread von David Fouser bespricht, wieso erst Weizenimporte aus wärmeren Gegenden die weitere Verbreitung von Weißbrot in Großbritannien ermöglicht haben, und wie die Bourgeoise zur Statusverteidigung dann aber das dunkle Arme-Leute-Brot moralisch überhöhte, was sich bis heute durchzieht. Kapitel 4, Modern Food as Globalized Food: Does Your Beer Have Style? The Nineteenth-Century Invention of European Beer Styles von Jeffrey M. Pilcher zeichnet die Erfindung von unterschiedlichen Bierstilen (Markt-Segmentierung!) ab dem 19. Jahrhundert nach, in Bayern, Böhmen, England. Kapitel 5 Modern Food as Distributed Food: The Thin Ripe Line: Watermelons, Pushcarts, Distribution, and Decay von William Thomas Okie erzählt von der Effizienz der Obst-Straßenverkäufer im dicht besiedelten, chaotischen NYC Anfang des 20. Jahrhunderts, und Versuche der staatlichen Regulierung des „push-cart evil“, die manchmal bloß dünn verschleierten, dass sie eigentlich die Repression armer Migrant_innen zum Ziel hatte. Im größeren Ganzen zeichnen sich laut Okie moderne Lebensmittel v.a. durch ihre Distribution aus, ein Thema, dem auch heute noch gar nicht so viel (öffentliche/diskursive) Aufmerksamkeit geschenkt wird:

„But unlike production and consumption, the process of distribution is dull. It calls to mind neither the virtuous farmer with her straw hat, loam-covered boots, and hands full of berries, nor the epicurean privileges of the consumer picking out just the right artisanal olives. The organic and local food movements have done a great deal to call attention to the social and ecological dimensions of our food system, but in their most prominent manifestations have done little to explore the distribution of food. The „supermarket pastoral“, the „Who’s Your Farmer?“ bumper stickers, even the phrase „farm-to-table“ itself—all sustain th efiction of intimacy between producer and consumer, as well as the conceit htat such intimacy could overcome the inequities and injustices of the modern food system“

Modern Food as Distributed Food: The Thin Ripe Line: Watermelons, Pushcarts, Distribution, and Decay von William Thomas Okie, Seite 81

I’ll read it

Über verworrene Link-Aneinanderreihungen (hier wäre eine Browserchronik in Trails sehr praktisch gewesen, s. Zuckersüß 462), also u.a. dem Geburtstags-Wunsch des WordPress-Gründers Matt Mullenweg, doch mehr zu bloggen, dem französisch/englischen Blog Cafélog und dem nownownow-Projekt von Derek Sivers bin ich an das Blog von Manuel Moreale geraten. Der hat einerseits auch eine /now-Seite, aber auch ein – wie ich finde – sehr cooles side project names I’ll read it, das das gleiche Ziel hat wie die vorher verlinkten Posts: zu mehr persönlichen Blogs ermutigen.

„I don’t know what to write about“ and „what if no one will read it?“. These are the two most common reasons why people don’t want to start a personal blog. I already addressed the first one, so let me tackle the second one in the easiest way possible: I’ll read it. If you decide to start a blog in either English or Italian, I’ll read it. I don’t care about the topic. Start a blog, write something, send it to me, and I’ll read it. And you’ll have your first reader. If you add an RSS feed to your blog, I’ll add you to my reading list, and I’ll keep reading what you post. As soon as a bunch of you have blogs, I’ll compile a list and make it available on this site. Hopefully, more people will read what you write. But I promise you that if you start writing, you’ll have a reader.

I’ll read it – Manu Moreale

Genauso wie Manu finde ich, dass mehr Blogs super wären (nicht nur, weil die Social Media-Infrastruktur der letzten ~10 Jahre grad auseinanderbröselt) und schließe mich deshalb seiner Zusicherung an: Ich lese dein Blog – wenn du auf deutsch, englisch, französisch oder (in einfachem/kurzem :’D) italienisch schreibst, ganz egal worüber. Schick mir den RSS-Link und ich werfe ihn in meinen Feedreader, zu den über 300 aktiven Blogs, die ich regelmäßig lese. Das gilt besonders für nicht-männliche Leser_innen, ich habe nämlich den Eindruck, dass ich abseits der ~klassisch weiblichen~ Food-/Lifestylethemen kaum Frauen bzw. FLINTA Blogs kenne.

In dem Zusammenhang verweise ich auch nochmal auf den wohl rant-igsten Post, den ich jemals in der Zuckerbäckerei veröffentlicht habe: Eine Ode an RSS-Feeds. und: legt euch einen Feedreader zu! Und wenn du dann einen Feedreader hast, und nicht weißt, was hinein soll: Meine Serie „Über den Tellerrand“, die ich 2017 gestartet habe, könnte möglicherweise hilfreich sein.

Gesehen

Science Fiction(s) im Weltmuseum

Nachdem wir The Dispossessed von Ursula K. Le Guin gelesen hatten, hat mein Buchclub einen Ausflug in die Science Fiction(s) Ausstellung gemacht, zu der ich leider nicht mitkommen konnte. Jetzt, ein paar Tage, bevor sie abgebaut wird, bin ich doch noch ins Weltmuseum gegangen. Bei der Gelegenheit habe ich mir gleich eine neue Bundesmuseencard (66€) gekauft, mal schauen, ob ich alle acht Museums-Kategorien schaffe – letztes Mal ist mir das nicht gelungen, ich war z.B. noch nie im Belvedere.

Also auf in die Science Fiction(s)-Ausstellung. Erster Eindruck: Beschreibungstexte/Kontextualisierungen sind spärlich, stattdessen gibts QR-Codes zu artist’s statements auf der Webseite. Die lädt leider auf meinem (neuen!) Smartphone sehr holprig und bringt auch meinen Desktop-Browser fast zum crashen. Schade.

Ten Beaded Star Wars Figures

Die kleinen Ten Beaded Star Wars Figures von Farlan & Alesia Quetawki (2019), beide Angehörige der Zuni in Arizona/New Mexico, faszinierten mich in ihrer Filigranität. Rundherum gab es noch viele weitere Werke von indigenen Künstler_innen die Star Wars und Superheld_innen neu interpretieren.

Einen Raum weiter fühlte ich mich, als wäre ich auf einmal ganz woanders gelandet, die Multimedia-Installation Autonomous InterGalactic Space Program von Rigo23 und der Ejercito Zapatista de Liberacion Nacional ist nämlich eine Art Holzverschlag-Labyrinth, an dem Malereien, Stickereien, und Skulpturen angebracht sind. Viele davon spielen mit der Symbolik des Maiskolbens (irgendwie einleuchtend), Weinbergschnecken (keine Ahnung warum?) und dem Weltraum (was beim Titel des Werks auch Sinn ergibt).

Space Plaque

Der Weltraum steht auch im Zentrum des kurdischen Multimediakünstlers Halil Altındere und seines Projekts Space Refugee. Er hat dafür zum Beispiel die Space Plaque gestaltet, u.a. eine Kritik an der Pioneer Plaque, die die NASA 1972 ins All schoss. Daneben gibt es einen Kurzfilm über den ehemaligen syrischen Kosmonauten Muhammed Ahmed Faris, der 1987 zur sowjetischen Raumstation MIR reiste – er lebt heute als Flüchtling vor dem Assad-Regime in Istanbul.

Weiter mit Kurzfilm+Installation, nun vom Kollektiv Superflux mit ihrer spekulativen Doku The Intersection (2021), die hier bei YouTube zu sehen ist.

Our final concept is translated into a short film the Intersection situated within a possible hopeful future, several years after growing inequality and the splintering of reality reached a critical mass. Influenced by Ken Burns’s documentary ‘The Dust Bowl’, it features a diverse series of protagonists individually recounting their personal past experiences and their place in the emergence of the future they now live in — both the chaos and the hope that surfaced afterwards. Certain events and aspects of the larger world overlap, and are witnessed and described through more than one of our protagonists’ lenses, helping to build a rich, interconnected world and history. As we reach the final act of the film, more is revealed about the isolated individuals and where they are now, in the present, and how their journeys have changed – together.

Superflux

Die Design Artefacts aus dem Film sind in einer Vitrine zu sehen, darunter ein spekulativer Sensor, der aus einer PET-Flasche gebaut ist, in dem ein Sony Ericsson Walkman-Schiebehandy (eine meiner Schulfreundinnen hatte ca. 2009 genau so eins!) liegt.

Alles in allem fand ich Science Fiction(s) sehr anregend, das Ausstellungsdesign und insbesondere die vielen außergewöhnlichen Sitzgelegenheiten ziemlich cool. Bei meinem letzten Besuch im Museum, 2019, für die Sonderausstellung Verhüllt, enthüllt! (s. Zuckersüß 321) war ich auf einen kurzen Abstecher in der Dauerausstellung, die mich damals überhaupt nicht überzeugt hat – ich hatte diesmal leider keine Zeit mehr, nachzusehen, ob sich das vielleicht geändert hat. Die Sonderausstellung läuft nur noch bis 9. Januar 2024.

Showbiz Made in Vienna. Die Marischkas im Theatermuseum

Dass mich die Marischka-Ausstellung im Weltmuseum interessiert, habe ich neulich schon mal erwähnt:

„nachdem ich vor ein paar Wochen Sabrina Peers Doku Kaiserin der Leinwand gesehen habe, die Hintergrund und Erbe der Marischka-Filmreihe aufdröseln, landete die Sissi-Trilogie weit oben auf meiner Watchlist. Und was soll ich sagen, ich war sofort hooked! Nicht wegen der Geschichte selbst (die unendlich schmalzig und wohl nicht recht historisch genau ist), sondern weil ich es sehr interessant fand, wie die verschiedenen Rollen gezeichnet sind – Franz Joseph als unfehlbarer Held, Sissi als die mutige, burschikose Rebellin, die aber trotzdem stereotyp weibliche Eigenschaften hat, der lächerlich inkompetente Polizist, die böse Schwiegermutter, Sissis Vater, Herzog von Bayern, als herzensguten Bauerntölpel usw. Und die Kostüme! So wie es auf den übersättigten Technicolorbildern schimmert, war das wohl alles Kunstseide und Plastikblingbling (immerhin wurde Mitte der 1950er produziert), kostümverantwortlich war Gerdago (in der welt ist 2004 ein Nachruf auf sie erschien: die Kaiserin der Kleider). Im Theatermuseum läuft grade eine Ausstellung über die Marischkas, die will ich nun unbedingt auch anschauen.“

Zuckersüß 462

Auch wenn das Plakat etwas anderes vermittelt, geht es in der Ausstellung nicht bloß um die Sissi-Trilogie. Los geht es nämlich mit einem großen Raum zu Hubert Marischka, Produzent und Schauspieler in unzähligen Operetten und Revuen. Zum Beispeil Alles aus Liebe von 1927, in dem aberwitzige Kostüme zum Einsatz kamen: Die Tänzer_innen waren zum Beispiel als Milchrahmstrudel oder Wiener Schnitzel verkleidet, oder als Sehenswürdigkeiten wie der Prater. Erdacht und geschaffen wurden sie von Kostümbildnerin Stella Junker Weissenberg, deren Kurzbio sich auch sehr ereignisreich liest (Theatertätigkeit in Wien, 1938 Flrucht nach Kairo, wo sie Ausstatterin einer ägyptischen Prizessin wird, ab 1956 Kostüme für die Wiener Eisrevue). Online steht nicht recht viel über sie, Nina Schedlmayr erwähnte sie 2017 im artmagazine als Teil einer Ausstellung im Jüdischen Museum Wien.

Diesen architektonischen Kostümen stand ein zeitgenössisches Otto-Wagner-Pavillon-Outfit der Wiener Gay-Party-Reihe Rhinoplasty gegenüber.

In einem Programmheft zu Marischka-Produktionen waren ein paar lexikon-artige Seiten enthalten, darunter eine ganz und gar absurde Erklärung zu Revue-Girls von einem Alfred Polgar. Zur besseren Lesbarkeit tippe ich hier mal zwei Absätze draus ab:

Girls nennt man Gruppen von jüngeren Frauen, die bereit sind, ziemlich entkleided auf einer Bühne genau vorgeschriebeene parallele Bewegungne zu machen. Der Zweck ihres Erscheinens und Tuns ist, Zuschauer erotisch anzuregen und diese hiedurch über das, was sonst auf der Bühne vorgeht zu trösten.
[…]
Eine girl-lose Revue, eine vegetarische Revue also, hat gar keinen Nährwert. Für den Zuschauer so wenig wie für den Unternehmer.

WTF?

„Lexikon“

Und noch ein kurzer Exkurs, Carl Marischka, Hubert Marischkas Vater, Gaswerk-Leopoldau-Direktor und NSDAP-Mitglied, hat schon 1934 Pläne vorgelegt, den Wienfluss trockenzulegen und durch eine Autobahn zu ersetzen! Ich dachte bisher immer, diese (Schnaps-)Idee käme von irgendwelchen ÖVP-lern der 1960er, leider finde ich auch hierzu keine Hintergrundinfos im Web.

Wienfluss-Autobahn

So, jetzt aber endlich zu Sissi. Die Scherenschnittanimation Sissy (1926) von Animationsfilmpionierin Lotte Reiniger fand ich toll. Sie lief ursprünglich als „Zwischenspiel“ in der gleichnamigen Operette von Hubert Marischka. Über Lotte Reiniger lässt sich glücklicherweise schon einiges lesen, z.B. in der NZZ oder bei FemBio. Das Stadtmuseum Tübingen hat eine Dauerausstellung zu ihrer Person, sollte ich jemals dort vorbeikommen, werde ich die auf jeden Fall anschauen. Google hat ihr 2016 ein Doodle gewidmet (hier bei YouTube).

Sissy von Lotte Reiniger

Der Rest des Raums beschäftigt sich mit der Sissi-Trilogie von Ernst Marischka. Am interessantesten fand ich die Kostüme und Entwurfs-/Schnittzeichnungen von Gerda Iro Gottschlich aka Gerdago. In einer Vitrine ist das Original-Kostüm von Sissis-Krönung, das Romy Schneider im ersten Film trug, zu sehen. Es sieht im beige-grau irgendwie „eingestaubt“ aus, tatsächlich wurde es absichtlich eingefärbt. Wäre es weiß gewesen, wäre es im Film wegen der grellen Beleuchtung überbelichtet geworden und keine Details sichtbar.

In einer Ecke ist eine Fotoarbeit von Anna Artaker und Lilla Khoór von 2004 zu sehen, NEUNZEHNHUNDERT ÖTVENHAT. Sie war für mich das einprägsamste zeitgenössische Werk in der Ausstellung.

NEUNZEHNHUNDERT ÖTVENHAT ist ein Leporello, das aus zehn Bildpaaren besteht. Die Bilder auf der linken Seite sind Filmstills aus Sissi die junge Kaiserin. Der Film mit Romy Schneider war die zweite Folge der Sissi-Trilogie von Ernst Marischka. Er wurde 1956 gedreht und kam noch im selben Jahr ins Kino. Die Filmhandlung endet mit dem triumphalen Einzug des Kaiserpaars in Budapest, wo Sissi zur Königin von Ungarn gekrönt wird. Gedreht wurde jedoch nicht vor Ort, sondern ausschließlich auf österreichischen Schauplätzen.
Die Schwarz-Weiß Fotografien auf der rechten Seite stammen aus demselben Jahr, wurden aber tatsächlich in Budapest aufgenommen. Sie dokumentieren Szenen der Ungarischen Revolution im Herbst ‘56 (ungarisch: „ötvenhat“), die mit der heftig bekämpften Besetzung der Hauptstadt durch die Sowjetarmee ein blutiges Ende fand.

Neunzehnhundert Ötvenhat

Am Ende dann noch ein bisschen (zeitgeschichtliche) Popkultur: Romy Schneider auf dem Bravo-Cover, eine Sissy-Barbie von 1996 und ein Kostüm aus der aktuellen Sisi-Verfilmung auf Netflix (die ich nicht kenne).

Ich war fast zwei Stunden in der Ausstellung, hätte aber gut noch länger darin verbringen können, es gibt enorm viel zu sehen. Sie läuft bis 9. September 2024.

Gestrickt

Weiter mit meinem Klimawandeltuch, und auch ein paar Reihen vom bunten Rumble Raglan-Pulli.

Veröffentlicht

Im Blog: „King Kong Theorie“ und „Liebes Arschloch“ – Virginie Despentes, Apfel-Cheddar-Scones, Jahresrückblick 2023

Anderswo: nix, Ferien!

Hier folgen meine liebsten Links der letzten Woche:

Fruit Shrub – Guava + Cheese, Pretty Please – Cake Zine
Chloe Rose Crabtree macht aus Apfelbutzen Shrub.

Texte

Times New Roman alternatives | Butterick’s Practical Typography
Nochmal Matthew Butterick, gnihihi:

Why not? Fame has a dark side. When Times New Roman appears in a book, document, or advertisement, it connotes apathy. It says, “I submitted to the font of least resistance.” Times New Roman is not a font choice so much as the absence of a font choice, like the blackness of deep space is not a color. To look at Times New Roman is to gaze into the void. If you have a choice about using Times New Roman, please stop. Use something else.

The Absorption Vacation – Anne Helen Peterson
Mein idealer „Aufnahme-Urlaub“ (auf deutsch klingt das irgendwie nicht sehr griffig) besteht aus „das Internet“ (aka meinen RSS-Reader, und alle Links, die ich darin finde) leerlesen!

People sometimes call these sorts of vacations “retreats,” but I’m talking about something far less bougie that’s never had the word “workplace” put in front of it. Back when I was in academia, I knew some professors who’d take a long weekend at a cabin for a “writing retreat,” but it was never actually about rest. It was a productivity hack, a way to escape their daily obligations so as to do more work. That can be incredibly useful. But that’s not a vacation.
I should also emphasize that the thing you do on this type of vacation doesn’t have to be reading. Reading is just a placeholder for whatever mode of absorption soothes you most. Not soothes some ideal or imagined version of yourself, but you, as you are. Maybe it’s knitting, or puzzling, or skiing, or hiking, or meditating, or cycling, or baking. What matters is that you create a scenario that allows you to do an abundance of it, a veritable profusionof it, a beautifully satiating amount of it, with as little thought to logistics or meals as possible.

Substack Has A Nazi Opportunity – Popehat (via Internet Observatorium)
Weiter mit Plattform-Politik:

That’s what Substack is up to:  branding. They’re betting they  attract more people than they repel with the “we don’t believe in Big  Tech choosing what you can write or read” brand. They’re betting that  the “we are the intellectual and moral superiors to the woke left” brand  is profitable — and it is. They calculate that getting involved in constant disputes over what content is acceptable on their site would be  a big waste of time and money and focus. Maybe they’re thinking that  the Overton Window has shifted such that a substantial portion of  mainstream American thought is kind of Nazi these days and that they can’t afford to lose that market. 
Are they wrong? No. As a matter of marketing, they’re not.  The brand is effective and  lucrative.  The “we’re the noble defenders of civilization, upholding  free thought from the onslaught of the woke hordes” sells these days. 

„Keinen Käse, keinen Blödsinn“ – Gruß aus der Küche
Tobias Müller in der neuesten Healthy Times über Rezept-Geschichte.

Abgesehen von diesen spezifischen Gründen: das genaue Rezept ist auch ein sehr typisches Kind seiner Zeit. Im 19. Jahrhundert nimmt die industrielle Massenproduktion so richtig Fahrt auf- die Idee der genauen Reproduzierbarkeit wird populär, die Welt standardisiert sich in vielen Bereichen. Und wie so viele Ideen, die im 19. Jahrhundert entstehen, hat auch das genaue Rezept mit Massen zu tun. Es hat einen industriellen Charakter.
Je größer die gekochten Mengen sind, desto besser funktioniert es: Wenn statt zwei Zwiebeln 1000 verwendet werden, und statt einem Stück Bauchfleisch die Bäuche von 100 Schweinen, dann fallen die kleinen Unterschiede zwischen den Zutaten immer weniger ins Gewicht – der Durchschnitt, nicht der Ausreißer bestimmt. Großküchenessen und Tiefkühlkost sind aufs Gramm und die Minute genau rezeptiert, Iglo Cremespinat ohne genaues Rezept wäre schlicht undenkbar.

Audio/Video

Unreal: A Critical History of Reality TV – 9. The Influencer Sausage Factory: Love Island, Part 1 – BBC Sounds
Ich bin kein sehr großer Trash-TV-Fan, aber ich habe gemeinsam mit anderen dennoch schon ein paar Folgen Love Island gesehen. In dieser Podcastfolge wird das Geschäftsmodell der Teilnehmer_innen (Influencer_in werden!), der Sendung (Werbedeals mit Fast-Fashion-Marken!) und der Sponsoren (Umsätze auf einen Schlag vervielfachen, ge-meme-d werden) auseinandergenommen. Die anderen Folgen dieses Podcasts kenne ich nicht.

Wen dürfen wir essen? – Doku über die Zukunft des Fleischkonsums · Podcast in der ARD Audiothek
Diese Serie habe ich fast in einem Stück – beim „Frühjahrsputz“ – durchgehört, ich bin beeindruckt, wie weit die Macher_innen dafür herumgereist sind (immerhin ein ÖRR-Projekt!). Die Musikauswahl hat mir sehr gefallen.

Steuern wir auf das Ende des Fleisch-Zeitalters zu? Leben wir in 50 Jahren alle vegan? „Wen dürfen wir essen?“ erkundet die Geschichte, Ethik und Zukunft des Fleischkonsums. Die sechsteilige Podcast-Serie von Bremen Zwei blickt aus den unterschiedlichsten Perspektiven auf die Zukunft der Ernährung – und unser ambivalentes Verhältnis zu den fühlenden Geschöpfen, mit denen wir den Planeten teilen.

Sonst So

fm4.ORF.at / FM4 Podcast 2007
Wegen meiner MA-Arbeit habe ich mich kurz ins Internet Archive verirrt und bin draufgekommen, dass der ORF schon vor 2007 ein Podcastangebot hatte. Die eigentlichen Audioinhalte sind natürlich längst depubliziert (auch damals durfte kaum was länger als 7 Tage online bleiben, wie die Ö1-Podcast-FAQ von 2007 belegen), aber die „Showtexte“ und die XML-Links zum händisch copy-pasten an sich sind schon ein nettes Stück Web-Geschichte.

On Weaving – Anni Albers (via Austin Kleon)
Das klingt wie ein Buch, dass ich gerne in der „Textil-Abteilung“ meines Regals hätte. Leider bissl teuer.

Written by one of the twentieth century’s leading textile artists, this splendidly illustrated book is a luminous meditation on the art of weaving, its history, its tools and techniques, and its implications for modern design. First published in 1965, On Weaving bridges the transition between handcraft and the machine-made, highlighting the essential importance of material awareness and the creative leaps that can occur when design problems are tackled by hand.

Rye Light Socks – tincanknits – ravelry
@minimalistmachinist, der ich wegen ihrer beeindruckenden Stoffreste-Nähprojekte und Strickreperaturen auf Insta folge, hat sich zum ersten Mal ans Sockenstricken gemacht und schwärmt von diesem pattern. Ich habe erst ein einziges Mal Socken nach einer geschriebenen Anleitung (die anderen ~25 Mal nach einer mündlichen „Überlieferung“ meiner Mama) gestrickt, aber bald will ich wieder eins verschenken, da versuche ich mich an diesem hier.

Backkatalog:



Hi, ich bin Jana.
Seit 2009 veröffentliche ich hier wöchentlich Rezepte, Reiseberichte, Restaurantempfehlungen (meistens in Wien), Linktipps und alles, was ich sonst noch spannend finde. Ich arbeite als Podcastproduzentin und freie Kulinarikjournalistin. Lies mehr über mich und die Zuckerbäckerei auf der About-Seite.

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Im Zuckersüß sammle ich (fast) jeden Sonntag meine liebsten Links der Woche: Rezepte für die Nachback-Liste, lesenswerte Blogposts, Zeitungsartikel und Longreads, Podcasts oder Musik, die mir gerade gefällt und oft genug auch Internet-Weirdness. Außerdem schreibe ich auf, was ich sonst so interessant fand: neue Rezepte in meiner Küche, Lokale, in denen ich gegessen, Pullover, die ich gestrickt oder Texte, die ich geschrieben habe.