Zuckersüß 275

In dieser Woche hatte ich so viele Ideen, was ich auf jeden Fall in den Zuckersüßpost packen wollte, dass ich erstmals Notizen dafür machte.

Am vergangenen Sonntag habe ich nämlich schon wieder vergessen, meine aktuelle Papier-Lektüre zu erwähnen (Bücher kommen mir einfach nicht in den Sinn, wenn ich an meinem Laptop tippe): Der große Glander von Stevan Paul. Nachdem ich mit Qualityland (ein paar Wörter dazu hier) seit gefühlten Ewigkeiten endlich mal wieder eine längere fiktionale Geschichte gelesen habe, habe ich beschlossen, eine Art Mini-Buchclub zu starten. Mini deshalb, weil das einzige andere Mitglied mein Freund ist, der für gewöhnlich viel mehr Bücher liest als ich. Wir einigten uns nach Marc-Uwe Klings aktuellem Buch auf Stevan Pauls ersten Roman als nächste Lektüre. Und ich muss sagen, das ich das Buch nach gut 100 von knappen 280 Seiten bisher sehr gern habe. Wenig überraschend sind besonders die Beschreibungen von Essen sehr ausführlich und bildhaft – so sehr, dass ich seit Tagen unbedingt ein Pastrami-Sandwich haben will (obwohl ich für gewöhnlich kein Fleisch esse). Stevan Pauls Schreibstil war mir schon sympathisch, als ich nur seine journalistischen Texte und Rezepte, z. B. für das Food-Magazin Éfilée, kannte. Auch seine Erzählung liest sich sehr angenehm, trotz der vielen Details fühlt sich der Text sehr locker und luftig an. (Ok, eine Literatur-Bloggerin wird aus mir nicht mehr, ich kenn mich einfach nicht besonders aus mit dem Thema. Aber meine Bemerkungen klatsche ich trotzdem ins Blog, ha.)

Interessanterweise passte die Welt der Galerien und Museen, die in der Geschichte des Eat-Art-Künstlers Glander natürlich eine große Rolle spielen, auch irgendwie zu einer meiner Lehrveranstaltungen in dieser Woche. In Médiations Culturelles geht es nämlich um Kulturvermittlung und französische Kulturpolitik. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland oder Österreich damit aussieht (dazu ist mir im Studium noch gar nichts untergekommen!). Aber laut der Dozentin ist besonders die französische Kulturpolitik in einem Sinne sehr ideologisch, weil sie sehr stark in den Kultursektor eingreift und damit versucht, Kultur soweit zu demokratisieren, dass jede_r dazu Zugang hat. Ohne Kunst und Museen würde den Bürger_innen nämlich etwas wichtiges fehlen; Kultur mache sie aktiv zu „besseren“ Menschen.

Von diesem Ansatz konnte ich dann auch noch konkret profitieren: Das Symphonieorchester von Nancy spielte am Valentinstagsabend ein Gratiskonzert. Ich war noch nie vorher bei einem Auftritt dieses Orchesters, aber das Publikum schien mir doch erstaunlich heterogen. Ich glaube nicht, dass so viele Studierende sich für klassische Musik begeistern könnten/würden, wenn sie teuren Eintritt kosten würde.  Ich war jedenfalls sehr froh hingegangen zu sein, ich hatte ganz vergessen, wie toll es ist, 50+ Musiker_innen in einem wunderschönen Saal zuzuhören.

Ansonsten habe ich mich weitestgehend aus dem Valentinstagskitsch überall herausgehalten, nichtmal thematisch gebacken habe ich (vgl. Herzschlagplätzerl, Topfenpalatschinken und Herzpancakes). In der Stadt wurden gratis „Pommes d’Amour“ verteilt, mit knallrotem Karamell überzogene Äpfel am Stil. Die Pâtisserien hatten rosa Törtchen und Herzförmiges in ihren Auslagen, das tatsächlich doppelt so viel kostete wie der Rest.
Ich trank lediglich einen Herztee – schwarzer Tee mit einer kleiner Rosenblüte, der in Herzform gepresst wurde. Der war leider schöner anzusehen als er dann schmeckte, aber immerhin gab er ein schönes Instagram-Story-Boomerang her. Apropos, ich habe endlich die App geupdatet und befürchte, jetzt noch mehr Zeug in meine Story zu werfen, weil es einfach so viel Spaß macht! Und die Archivfunktion finde ich auch überaus praktisch, ich glaube sie könnte mir als visuelles Notizheft (u. a. für die Zuckersüßposts) nützen.

Und jetzt doch nochmal zurück zur Literatur: Ich fange an, das Atelier d’écriture wirklich lieb zu gewinnen. Die zwei Stunden sind zwar mental so anstrengend für mich, dass ich danach am liebsten ein Nachmittagsschläfchen einlegen würde, aber ich nehme so viel daraus mit! In dieser Woche ging es um „Twittérature“. Nach mehr oder weniger berühmten Beispielen dieses 140-Zeichen-Genres (nicht up-to-date!) mussten wir uns selbst etwas ausdenken, natürlich wieder mit verschiedenen Einschränkungen. Zum Beispiel sollten wir verschiedene Stilmittel verwenden oder eine bestimmte Metrik. Aktuell gibt es sogar einen Twitterature-Wettbewerb für Schüler_innen und Studierende, bei dem drei von zehn vorgegebenen Wörtern (von denen ich die Hälfte erstmal nachschlagen musste) und Stilmittel in 140 Zeichen untergebracht werden müssen. Wegen meines Linguistikhintergrunds (Prescriptivism = evil, meistens) finde ich das Auswahlkriterium „La qualité de langue“ (Sprachqualität) ziemlich fragwürdig, aber was solls.

Davon einmal abgesehen, wie cool ist es eigentlich, twitter in der Uni zu verwenden statt ewigliches „Social Media/WhatsApp/bla macht unsere Sprache kaputt!!1!11!!“ zu hören? Für alle ohne twitter-Account stand die geschlossene Lernplattform zur Abgabe der Twitteratur zur Verfügung, dort wurden aber auch alle Tweets mit dem entsprechenden Hashtag eingespielt.

Am Freitag, meinem Uni-freien Tag habe ich dann noch ein winziges bisschen an meiner BA-Arbeit gefeilt (es nervt mich sehr, noch „Altlasten“ aus Wien zu haben, wo ich doch viel lieber voll und ganz in Nancy sein würde) und dann einen mordslangen Spaziergang gemacht. Mehr als zwei Stunden bin ich ohne Pause durch die Stadt gelaufen und habe alles fotografiert, was mir fotogen erschien. Nancy ist wirklich schön, aber stellenweise unglaublich hässlich. Ich frage mich, wie die architektonischen Sünden von Riesen-Wohnbauten neben den süßen Jugendstilhäusern gebaut werden konnten. Noch dazu sind viele dieser Hochhäuser/Plattenbauten ziemlich schlecht in Schuss, was das Stadtbild meiner Meinung nach doch recht verschandelt. Sobald ich dazu komme, landet eine Auswahl meiner Fotos natürlich hier im Blog.

Nebenbei bemerkt: In meinem Wohnheim wurde diese Woche im Ergeschoss kräftig renoviert, ein Zimmer wurde von der Wandfarbe bis zu den Möbeln komplett erneuert und gestern fand ich heraus, warum: Es war Tag der offenen Tür! Bei mir fiel derweil die Dusche (also die Duschkopf-Stange, oder wie das Teil heißt) auseinander, aber das wird bestimmt bald jemand reparieren – hoffe ich.

Und jetzt, nach 1000 Wörtern Einleitung: Meine Lieblingslinks der Woche:

REZEPT

Lacy Brown Butter and Ricotta Cookies Recipe – SerioiusEats
Erneutes Bravetart-Fangirling auf meiner Seite.

Japanese Cheesecake Is Lighter, Spongier, Perfect-er – Food52
Leider ist das eher kein Projekt für spärlich ausgestattete Küchen…

TEXT

How Does a Political Reporter Write a Memoir? First, Read Books. A Lot of Books. – NYTimes.com
Mir geht es irgendwie genau wie der Autorin Amy Chozick. Gut, dass ich jetzt meinen Buchclub habe!

But mostly, my reading diet consisted of Twitter and Politico. Buried in the crush of keeping up with the day’s news while on the campaign trail, I entirely lost the reader I’d once been. […] I preferred to stare at my phone in a meditative state than read anything substantial.

Unsere Spuren im Netz: Wer überwacht uns – und wie? – FAZ
„Precire“ ist gruselig ( Ansonsten nicht viel Neues für mich in diesem Dossier, aber wahrscheinlich sehr interessant als Einführungslektüre ins Thema):

Precire ist ein Programm zur Stimmanalyse. […] Precire hat mir Fragen gestellt, nach meinem letzten Wochenende, nach meinem typischen Sonntag und ich habe geantwortet. Dann hat Precire meine Stimme genommen, sie in ihre Bestandteile zerlegt und eine halbe Million Parameter identifiziert: meine Sprechgeschwindigkeit, meine Quote an positiv konnotierten Wörtern, die Länge meiner Sprechpausen. Aus diesen Parametern hat Precire meine Persönlichkeit berechnet.

How AI Can Calculate Our Oil Surplus…From Space – Wired.com
Nach diesem Tweet fiel ich in ein „rabbit hole“ zum Thema Satellitenbilder/Big Data-Analysen und stieß u.a. auf den zitierten Artikel. Superspannend!

https://twitter.com/i_am_fabs/status/964144948995133441

NO ONE KNOWS how much oil we have left on the planet. No one can even say with any certainty how much oil is waiting to hit the market. […] it [Orbital Insights] can do this by analyzing massive numbers of photos of oil tanks with floating lids. As a tank is depleted, the lid sinks, and the sun casts shadows on the inside of the tank changes. By detecting patterns in how those shadows change, analysts can estimate how much oil is available in all the tanks it monitors.

«Flüchtlingsschweine» – die deutschen Vertriebenen waren damals nicht willkommen – Watson.ch
Ich würde zu gerne wissen, wie es in der Geschichte meiner niederbayerischen Heimatstadt um dieses Thema steht.

Zum andern strömten nun grosse Gruppen von Menschen, die oft eine andere Konfession und einen fremden Dialekt mitbrachten, in vormals konfessionell einheitliche Gebiete – Oberbayern zum Beispiel oder die Lüneburger Heide. Dort waren viele Dörfer vom Krieg nahezu unberührt geblieben. Die Ankunft der Vertriebenen beendete dieses Idyll. «Die Leute, die am meisten verloren haben, sind jetzt in den engsten Kontakt gekommen mit den Bauern, die am wenigsten verloren haben», stellte ein amerikanischer Beobachter 1946 fest.

Figure Skating: Why Women Rarely Compete in Pants – The Atlantic
Bis vor einigen Jahren war es Eiskunstläuferinnen nicht erlaubt, in Hosen zu Wettkämpfen anzutreten?!

Just about everyone in figure skating would tell you that, in theory, the sport works like any other: It shouldn’t matter what you wear to do it, because what matters is whether you do it well. But for some, lurking behind that there’s an uneasy sense that pants or pant-like silhouettes might dull the “prettiness” of women’s figure skating.

Hochzeit: Behaltet eure Namen – ZEITmagazin
Nochmal WTF-Regelungen:

1896 wurde im Bürgerlichen Gesetzbuch festgeschrieben, dass die Ehefrau den Namen des Mannes anzunehmen habe. Dies galt bis 1991. Bis 1991! In einem Fachkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch von 1976 steht: „Der Frau ist ein Namenswechsel im Zweifel eher zumutbar, da sie als die zumeist Jüngere vor der Heirat weniger lang im Berufsleben stand, nachher zur Versorgung der Kleinkinder oft einige Jahre aus dem Beruf ausscheidet sowie überdies in ihm häufig weniger hohe Positionen einnimmt als im Durchschnitt der Mann.“

The Rise of the Ironic Man-Hater – Slate.com
Würde ich T-Shirts tragen, hätte ich bestimmt eines „I bathe in Male Tears“-Aufschrift :D

On its most basic level, ironic misandry functions like a stuck-out tongue pointed at a playground bully […] But ironic misandry is more than just a sarcastic retort to the haters; it’s an in-joke that like-minded feminists tell even when their critics aren’t looking, as a way to build solidarity within the group.

Fighting sexism with cross-stitch: The rise of misandry crafts – salon.com
Auch ich habe schon „Feminist“-Socken gestrickt. Für einen Mann.

And because ladies, even the most riotous of ladies—after all, this generation’s interest in crafts started under the Riot Grrrl movement, where girls first embroidered “feminist” on pillows and formed knitting groups called “Stitch ’n Bitch”—like being girlish and tough, the misandry message has evolved in the form of arts and crafts. Check Etsy for the word misandry and you’ll find super-cute pom-pom knit hats with „misandry“ emblazoned between rows of hearts.

AUDIO/VIDEO

Tribute2Cro
Gerade in einem alten Zuckersüß wiedergefunden: Eine Wandillustration für ein Musikvideo zu „Einmal um die Welt“.

SONST SO

Why the Finnish squad are knitting at the Winter Olympics … again – The Guardian (via @journelle)
Eine Decke für das Präsidentenbaby, gestrickt vom olympischen Team!

Internet fetzt: Meine wöchentlichen Highlights in Links – Fair Fetzt
Annemarie (zu Gast in LP005, btw) schreibt jetzt auch Lieblingslinklisten, mit GIFs!

IDEA – Non verbal algorithm assembly instructions
Erklärungen z.B. zu Verschlüsselung im Stil von IKEA-Piktogrammen. Cool!

FOTO

Eine andere Seite von Nancy, direkt gegenüber dem Unicampus.

BACKKATALOG

2010: Cola-Muffins
2011: Schokoeulen-Cakepops
2012: Polnische Faworki mit 1000 Luftblasen
2013: Granola
2014: Karottenkuchenminiguglhupf-Lamingtons
2015: Erdbeer-Pizzas
2016: Eine Reise nach Brüssel, Namur und Nancy
2017: Punschkrapferl



Hi, ich bin Jana.
Seit 2009 veröffentliche ich hier wöchentlich Rezepte, Reiseberichte, Restaurantempfehlungen (meistens in Wien), Linktipps und alles, was ich sonst noch spannend finde. Ich arbeite als Podcastproduzentin und freie Kulinarikjournalistin. Lies mehr über mich und die Zuckerbäckerei auf der About-Seite.

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Porträtfoto: (c) Pamela Rußmann

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Im Zuckersüß sammle ich (fast) jeden Sonntag meine liebsten Links der Woche: Rezepte für die Nachback-Liste, lesenswerte Blogposts, Zeitungsartikel und Longreads, Podcasts oder Musik, die mir gerade gefällt und oft genug auch Internet-Weirdness. Außerdem schreibe ich auf, was ich sonst so interessant fand: neue Rezepte in meiner Küche, Lokale, in denen ich gegessen, Pullover, die ich gestrickt oder Texte, die ich geschrieben habe.

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