„ois“ im Mühltalhof

Menüvorschau OIS
Menüvorschau (unvollständig)

Mühltalhof, Unternberg 6, 4120 Neufelden

Nachdem ich es letztes Jahr im Februar versäumt habe, meinen Besuch im Mühltalhof und das großartige ois-Menü von Philip Rachinger hier im Blog festzuhalten, schreibe ich diesmal lieber *sofort* drüber. Denn ich habe sowieso große Freude daran, kulinarische Erlebnisse zu durchdenken (und beim Bloggen denke ich zwangsläufig viel). Außerdem ist das alles so ein Luxus (an einem einzigen Wochenende mehr als eine WG-Zimmer-Monatsmiete auf den Kopf zu hauen, ist in meinem bissl besseren Studi-Budget selten drin), dass ich möglichst lange was davon haben will, zum Beispiel dadurch, dass ich es nachlesen kann.

Angereist bin ich Freitagnachmittag mit der Mühlkreisbahn, konkret in einem entzückend altmodischen Dieselwaggon ab Linz Urfahr, der eine gute Dreiviertelstunde lang an der Donau vorbei durch den Wald gurkt. Vom Bahnhof Neufelden sind es nur ein paar hundert Meter zum Mühltalhof, vorbei an einem Museum (?) mit zwei vom OÖVV ausgemusterten uralt-Trams. Ich finde es super, dass auf der Webseite des Hotels die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln vor der mit dem Auto angeführt ist. Gleichzeitig frage ich mich, wie hoch der Anteil an Gästen eines Vier-Sterne-Hotels/Vier-Hauben-Lokals sein kann, der mit dem Zug oder gar dem Regionalbus ankommt (ich befürchte, nicht besonders hoch)…

Um 18 Uhr wurden wir dann schon im hinteren Restaurantteil erwartet, einer klassischen-aber-doch-nicht-klassischen Stube mit kohlenschwarzer Wabendecke, in der neben einem knisternden offenen Kamin und einem massiven grünen Steintresen (aus Chloritgneis, laut gestaltendendem Architekturbüro AllesWirdGut) das Tasting-Menü ois serviert wird. An den fünf Tischen mit bequemen, puffig-filigranen schwarzen Ledersesseln (Fogia Spisolini designt von Andreas Engesvik, wie ich dank dieser Corti-Kritik zum 2022 umgestalteten Mraz&Sohn weiß) sollten heute insgesamt 16 Leute Platz finden. Bis alle da waren, gabs für uns erstmal ein paar Snacks:

Nämlich hausgemachte Salami aus Lamm, Wildschwein und Reh, außerdem fein aufgeschnittene geräucherte Rote Bete mit Olivenöl und grobem Salz (stellt die „echte“ Charcuterie in meinen Augen in den Schatten). Die Rote Bete fand sich auch in der Butter zum großartigen Weizensauerteigbrot wieder.

Die Hälfte der Gäste ließ auf sich warten, deshalb gabs für die Anwesenden noch mehr Snacks. Einerseits supergute Oliven, fest, mattgrün und offenbar sehr jung geerntet (das Fruchtfleisch ging schwer vom Kern), kaum bitter, wenig salzig und fast milchig im Geschmack (Milchsäurefermentation, wortwörtlich?). Der Küchenchef verriet später, dass sie von Cibus aus Sizilien importiert wurden – sie scheinen leider nicht im Einzelhandel erhältlich zu sein.

Andererseits vier Tapioka-Käse-Würfel mit Risotto-Konsistenz im Inneren und Zitronen(?)-Mus obenauf. Das Ganze kam mir bekannt vor – also vom Konzept, nicht vom Geschmack, gegessen hab ich sowas sicher noch nie. Und tatsächlich, das Rezept dafür (Tapiokaspätzle „Delfin Style“) von Felix Schellhorn fand ich in der zweiten, „Telefonbuch“-Ausgabe der Healthy Times wieder. Ich habe ihn in meiner Insta-Story zum Menü markiert, als Rezept-Urheber, er merkte daraufhin an, dass er das Rezept von Iñaki Aizpitarte abgeschaut habe, der es allerdings auch wieder von jemand anderem hat. (In solchen Momenten bin ich sehr froh über meine ständige Instagrammerei, die ja fast schon an oversharing grenzt…)

Indie-Food-Magazine
Ganz unten im Stapel: Die Healthy Times-Ausgabe mit dem Tapiokawürfel-Rezept drin

Die Healthy Times ist übrigens das Magazin der Healthy Boy Band, dem Koch-Kunst-Kollektiv von Lukas Mraz, Philip Rachinger und Felix Schellhorn – ich habe sie mal in einer Ö1-Moment-Kulinarium-Sendung über Indie-Food-Magazine und für die Effilee #58 porträtiert. Die Healthy Boy Band und ihr Magazin waren 2020 der Anstoß für mich, den Mühltalhof auf meine da-muss-ich-mal-Essen-Liste zu setzen.

Um 19 Uhr öffnete sich die Schiebetür hinter dem grünen Steintresen und gab den Blick auf die Küche frei. Jetzt ging es mit den Amuses los, die aus sehr vielen verschiedenen Komponenten bestanden, bei denen ich Schwierigkeiten hatte, sie mir zu merken. Auf den Löffeln zitronige Leinöl-Hollandaise und winzige pommes soufflées. Im Schüsserl zwei kleine Tartelettes mit Hasentataki, fermentierter Maroni (irgendwie trüffelig??), wieder Hollandaise und eingemachten süß-sauer-herben Hollerbeeren.

Auf der schwarzen Platte noch zwei niedliche Tartelettes, gefüllt mit Fake-Entenleberpastete, ich glaube aus Sellerie und Schwammerln, darauf superfein gehobelter säuerlicher Radicchio und eingelegte Vogelbeeren. Und auf dem Holzbrett knusprig gebackene „Michelinsterne“ aus Bierteig, mit Kohlsprossen-Coleslaw (das ich für sich alleine zu fettig fand, und ich komm einfach nicht drauf, womit es gewürzt war, Sternanis vielleicht?). Darauf gelber „Glitzer“, der wohl der im Menü genannte Forellenkaviar in geriebener Form war, drunter Kimchi mit viel fein gehackter Karotte und sauer eingelegten gewürfelten Radieschen.

Nach meinem Fetzenrausch beim ois-Menü im Februar 2022 (ich brachte damals NIX vom großartigen Frühstücksbuffet am nächsten Morgen runter, das wollte ich diesmal um jeden Preis vermeiden, dazu später mehr) hielt ich mich von der Weinbegleitung fern. Meine Begleitung bestellte für sich die Hälfte davon, sie fing mit Null Ohm weiß (2021) von Moritz Kissinger an, später habe ich nicht mehr darauf geachtet.

Forönbauchal

Es ging weiter mit Forönbauchal vom Grill (steht wirklich so auf dem Menüzettel! Aber der ist auch mit Mühl4ler Tuning Hostel und P. Racinger als Ihr kompetenter Ansprechpartner bedruckt), mit Miso eingestrichen, das oben knusprig karamellisiert/verkohlt war.

„Lachsforellen-Marmor“

Es folgte einer meiner liebsten drei Teller des Abends (für einen absoluten Favoriten kann ich mich nicht entscheiden): Kühler Lachsforellen-„Marmor“, zusammengehalten von pulverisiertem Aonori, dazu aufgedrehter, essiggurkerlartig eingelegter Hokkaidokürbis, den ich sehr mochte, Kakicreme, Karottensauce, eingelegter Kohlrabi und frittierte Fischhaut.

Trüffel und Kaviar und Duxelles und Eierstich

Der nächste Teller war ehrlich gesagt nichts für mich (ich mag Kaviar und Trüffel in Kombination nicht besonders gern, wie ich festgestellt habe): Eierstich, Waldschwammerl-Duxelles, Kaviar und Wintertrüffel ließ ich meine Begleitung aufessen.

Mehr Wortspiele: „Karpfpaccio“

Auch aus dem folgenden Karpfpaccio wurde ich geschmacklich nicht ganz schlau: feine Karpfenscheiben, mit heißem Schweineschmalz und Grammeln aus der Feuerstelle übergossen, dazu Zimtkartoffeln (aka Cubio-Wurzeln, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte – sie sind ein wenig stärke-ig und haben ein subtiles Kapuzinerkressearoma), Ingwerscheiben und Buddha’s-Hand-Zitrone.

Die wurde uns, zum Anschauen, mit einem Weinglas-Stiel als „Ständer“ an den Tisch gebracht (leider habe ich diese halb-essbare Skulptur nicht fotografiert). Meine Begleitung war danach felsenfest davon überzeugt, dass sie Teufelsfinger-Zitrone heißen sollte…

Karpfenmilchner

Dann nochmal Karpfen, und zwar Milchner (kannte ich nicht, der Wikipediaeintrag dazu ist leider nicht besonders detailliert), gebacken in Pankobröseln, auf Koji-Rollgersten-Risotto mit Aschen-/Lauchöl, Yuzu und Blümchen aus eingelegter Rübe. Wegen der vielen hauchdünn gehobelten eingelegten Gemüse im Menü muss ich mir jetzt sehr bald einen gescheiten Hobel zulegen, dann kann ich zumindest probieren, ein paar dieser großartigen Komponenten nachzubauen…

Wenn man dieses Bild nur riechen könnte!!

Der nächste Gang, die angenehme Wurzelbehandlung wie Philip Rachinger sie nannte, war der Favorit meiner Begleitung, und wo ich das jetzt so tippe, sollte ich meine Top-3- vielleicht auf eine Top-4-Liste erweitern, denn ich habe auch 48 Stunden später noch großartigen Geruch in der Nase: Karamellig-süß und gleichzeitig ein kleines bisschen sauer. Die Säure kommt wohl von der Molke, in der Topinambur, Hafer- und Kerbelwurzeln karamellisiert wurden. Nussbutter war auch noch dabei.

Das Tongeschirr, das im Holzofen erhitzt wurde, erinnerte mich an eine Tajine, inklusive der unten „angekokelten“ Gemüsestücke – ich werd das mal als Inspiration nehmen (halt ohne Feuer, das gibts in meiner eigenen Küche leider nicht).

Es folgte ein vertrautes Gericht, nämlich eine hausgemachte Leberkassemmel. Ich erinnere mich nicht mehr, woraus genau die im letzten Jahr war (hätte ich es doch bloß ins Blog geschrieben…), dieses mal war es jedenfalls Karpfen-Kalbs-Leberkäse, „Sauerkraut“ aus Topinambur und grober Senf. Das resche Handsemmerl war herausragend.

Die „Tascherl“ aus Grünkohl und Sellerie mit luftiger Topinambur-(oder doch Sellerie?)-Creme, Bärlauchkapern, Sellerie-Senfkorn-Vinaigrette und frisch drüber geriebener Bergamotten-Zeste waren ein weiterer klarer Favorit des Abends.

Langsam aber sicher sah es nach „Hauptgang“ aus und ich konnte schon fast nimmer! Saftiger, beinahe süßer Kapaun mit geflämmten Schalotten gefüllt mit Polenta und geriebenem gebeizten Eigelb, Flusskrebssaft’l und Blutorangen. Im Anschluss nochmal Kapaun, nämlich Stückchen vom Haxl mit Flusskrebsen in einer sahnigen Flusskrebs-Bouillabaisse mit bissfester Fregola. Diesen Teller musste ich am Ende auch zu meiner Begleitung rüberschieben, denn ich konnte ihn beim besten Willen nicht aufessen (so schade!), obwohl er SEHR gut war.

WOWIE

Die folgende ~Erfrischung~ konnte mich erfreulicherweise wiederherstellen: Safranbirne mit gehackten Pistazien und Karfiol(!)-Creme im ausgehöhlten Kernhaus, darauf Basilikumsorbet und gedörrter Fenchel, dessen Süße mich schwer beeindruckt hat. Mein liebstes Dessert des Abends, auch wenns menütheoretisch (ist das überhaupt ein Wort?) vermutlich eher ein Pre-Dessert bzw. Sorbetgang sein sollte. Der vibe dieses Tellers ließ mich an das CODA in Berlin denken, das Dessert-Restaurant, über das ich trotz allergrößter Begeisterung nach meinem Besuch im Sommer 2019 nie ins Blog geschrieben habe…

noch ein Dessert

Beim nächsten Dessert war ich unkonzentriert, was sich einerseits in einem mauen Foto, andererseits in lückenhaften Notizen niederschlägt. Was ich rekonstruieren kann: Maroni-Eis mit Salzkaramell, ein Parfait umgeben von dünnen Quitten- und schwarze-Nuss-Scheiben (da ist er wieder, der Hobel!), darauf Eberrauten-, d.h. „Colakraut-“ , Sorbet und eine Hippe mit schwarzen Limetten (und wahrscheinlich Farbe?).

Während das nächste Dessert über der Glut backte, trank ich einen Espresso. Der ofenwarme Baumstriezel mit buttriger Zimtzucker-Kruste (der Teig selbst war kaum gesüßt!) wurde kurze Zeit später mit einer Nocke aus rosa Roseneis serviert. Ein wohligwarmer Abschluss, so direkt neben der Feuerstelle.

Betthupferl-Süßigkeiten

Natürlich war das doch noch nicht der letzte Gang. Als Betthupferl (es war mittlerweile nach Mitternacht!) schickte die Küche noch Punschpralinen (nicht, wie ich erwartet hatte, flüssig gefüllt, sondern wie Punschkrapferl mit rumlastiger Bröselmasse), Macarons mit Tannenwipferl-Füllung und Luftschokolade. Die hat ihre lustige, poröse und sofort schmelzende Textur offenbar durch Vakuumieren bekommen.

tl;dr: Das ois-Menü (172€ p.p. ohne Getränke) war auch beim zweiten Mal enorm interessant. Diesmal kam es mir ziemlich fischlastig vor – in meiner Erinnerung gab es letztes Jahr mehr rein vegetarische Gänge, was mir persönlich besser passt (ich bin ja eigentlich ~Teilzeitvegetarierin~ mit großer Gemüsebegeisterung…). Sechs Stunden dahinzuessen, zu versuchen, die Gerichte zu entschlüsseln (meine Notizen sollte ich leserlicher schreiben…) und dem Team in der offenen Küche beim Werkeln zuzuschauen, machte mir großen Spaß. Der Service war selbstredend hervorragend, alle dort scheinen mit größter Freude dabei zu sein.

Ich freue mich immer besonders, Lokale zu besuchen, in denen ~junge~ Leute hackeln und auch ~junge~ Leute essen (damit meine ich in etwa meine Altersgruppe, mit 27 bin ich aber zugegebenermaßen auch nicht mehr so jung… wie bei meinen ersten tapsigen Ausflügen in die Spitzengastro). Beim Mühltalhof trifft jedenfalls beides zu, in Küche und Service sieht niemand älter als 35 aus und der Schnitt unter den Gästen war auch nicht schlecht – am einen Nebentisch: Mittzwanziger, am anderen Nebentisch: Volksschulkinder und Teenager!

im „Glaskasten“ da links in der Mitte ist das Restaurant des Mühltalhof und drunter das Spa

Und: Auch wenn ich nach einem so ausgiebigen Abendessen kaum was davon hatte, es auch gar nicht zu ois gehört (um das es in diesem Post ja eigentlich geht) und ich Frühstück in der Regel für eine vernachlässigbare Mahlzeit halte, muss ich das Frühstück im Mühltalhof noch erwähnen. Der steinerne Tresen, der sich über 20 Meter durchs Lokal zieht, ist zwischen halb acht und zehn Uhr morgens mit den tollsten Sachen eingedeckt: das großartige Weizensauerteigbrot, Handgebäck, Eier in allen Formen, Speck und Käse, Kuchen, Cannelés, Tarte, Torte, Marmeladen, salzige Brotaufstriche, Müsli, sehr hübsch hergerichtetes Obst, alles mögliche Eingelegte und immer wieder auch Dinge, die ich als Menükomponenten zu identifizieren glaubte – zum Beispiel die essiggurkerlsauren Kürbiskringel vom ois-Lachsforellenmarmor. Gegessen habe ich das Ganze zu Earl Grey im anderen Teil des Restaurants, der gläsenern „Schachtel“, die gefühlt über die Mühl ragt, mit Blick auf Wald und Wasser. Den gleichen Ausblick kann man übrigens auch aus der Sauna im Stockwerk darunter genießen, die ich an dieser Stelle auch noch erwähnen muss, weil sie (und der ganze Spa-Bereich im Haus) so toll ist.

tl;drtl;dr: Es passt einfach alles zusammen im Mühltalhof – Essen, Design, Ausblick und *so* liebe Leute! Dringende Empfehlung für die volle Gönnung.



Hi, ich bin Jana.
Seit 2009 veröffentliche ich hier wöchentlich Rezepte, Reiseberichte, Restaurantempfehlungen (meistens in Wien), Linktipps und alles, was ich sonst noch spannend finde. Ich arbeite als Podcastproduzentin und freie Kulinarikjournalistin. Lies mehr über mich und die Zuckerbäckerei auf der About-Seite.

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Im Zuckersüß sammle ich (fast) jeden Sonntag meine liebsten Links der Woche: Rezepte für die Nachback-Liste, lesenswerte Blogposts, Zeitungsartikel und Longreads, Podcasts oder Musik, die mir gerade gefällt und oft genug auch Internet-Weirdness. Außerdem schreibe ich auf, was ich sonst so interessant fand: neue Rezepte in meiner Küche, Lokale, in denen ich gegessen, Pullover, die ich gestrickt oder Texte, die ich geschrieben habe.

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