Zuckersüß 303

Wie letzten Sonntag angekündigt, blieb ich für eine ganze Woche offline. Mit drei kurzen Ausnahmen – mein Telefon wählte sich nämlich auf Berggipfeln ins Netz und ich konnte ein paar Tweets lesen. Mangels Strom (Solaranlagen funktionieren halt auch nur, wenn die Sonne scheint) stieg ich bald auf Papierbücher um und las gleich vier davon. Meine Ferienlektüre war ziemlich feministisch: Mehr Kopf als Tuch (Amani Abuzahra), Unspeakable Things (Laurie Penny), Wenn Männer mir die Welt erklären (Rebecca Solnit) und Ich bin kein Sexist, aber (Yasmina Banaszczuk, Nicole von Horst, Jasna Strick und Mithu M. Sanyal). Zu Virginia Woolf’s A Room of One’s Own kam ich nicht mehr und Sylvia Plaths The Bell Jar habe ich schon im letzten Zuckersüß beschrieben.


Die Textsammlung Mehr Kopf als Tuch war mir vor einiger Zeit auf Instagram begegnet und praktischerweise in der Bücherei erhältlich. Innerhalb eines einzigen Tages las ich mich durch die elf Artikel, die Amani Abuzahra zusammengetragen hat. Muslimische Frauen aus dem deutschsprachigen Raum schreiben über Alltägliches und Strukturelles und auch wegen der Unterschiedlichkeit der angesprochenen Themen fühlte sich das Buch irgendwie wie ein Blog an. Tatsächlich habe ich die Blogs bzw. Social Media Accounts einiger Autorinnen schon länger abonniert, z.B. Kübra Gümüşay, Dudu Kücükgöl (die offenbar leider ihr Twitterprofil deaktiviert hat), Nadia Shehadeh und Soufeina Hamed. Die ersten zwei habe ich auch bei Vorträgen schon gehört, Kübra Gümüsay prägte mit Organisierte Liebe sogar ein re:publica-Motto. So platt es klingt – ich habe mit den elf Artikeln einige neue Perspektiven gewonnen. Ich hatte zum Beispiel noch nie darüber nachgedacht, dass es für sichtbare Musliminnen in den Straßen des  ach-so-gefährlichen 10. Bezirk Wiens viel angenehmer sein kann, als in „nobleren“ Gegenden – einfach, weil sie dort als „normal“ durchgehen und nicht besonders auffallen.


Laurie Pennys Unspeakable Things liegt schon seit mehr als einem Jahr bei mir herum, und obwohl ich ihre Texte praktisch ausnahmslos super finde (mein Lieblingsartikel ist jetzt recht genau drei Jahre alt), habe ich es nie durchgelesen. Dieses Mal konnte ich es aber nicht mehr weglegen und Laurie Pennys Wut auf das Patriarchat (und den Kapitalismus), die sie explizit nicht kaschiert, aber doch mit Lösungsvorschlägen kombiniert, steckte mich an. Sie ist ziemlich radikal, persönlich und nimmt niemals ein Blatt vor den Mund – ihre Absätze enden oft unerwartet zynisch und bleiben dadurch wie spitze Stacheln der Ungerechtigkeit im Gedächtnis:

It should not, therefore, be as difficult as it is to explain to the average human male that while you, individual man, going about your daily business, eating crisps and playing BioShock 2, may not hate and hurt women, men as a group – men as a structure – certainly do. I do not believe that the majority of men are too stupid to understand this distinciton, and if they are, we really need to step up our efforts to stop them running almost every global government. (S. 68)

In fünf Kapiteln spannt sie den Bogen von ihrer eigenen Vergangenheit mit Esstörungen, „verlorenen Jungs“ in der Männlichkeitskrise über Sexismus im Internet zu Liebe als oft ausbeuterisches Verhältnis. An einigen Stellen fand ich Anknüpfungspunkte zu meiner eigenen Biografie, vor allem was das Internet angeht (wobei ich glücklicherweise von schlimmen sexistischen Shitstorms bisher verschont blieb):

[…] I learned how to be a writer online, and so did millions of other women all over the world. And not just how to write, but how to speak and listen, how to understand my own experience and raise my voice. I educated myself online. Grew up online. And on blogs and journals and, later, in the pages of digital magazines, I discoverd that I wasn‘t the only pissed-off girl out there. The Internet made misogyny routine and sexual bullying easy, but first it did something else. It gave women, girls and queer people space to speak to each other without limits, across borders, sharing stories and changing our reality. (S. 157)

Mein liebstes Zitat, das ich außerdem für halbwegs zugänglich halte und deshalb Menschen, die in der Thematik der (versteckten) Geschlechterhierarchien nicht so bewandert sind, ans Herz legen werde, ist folgendes:

„Men grow up expecting to be the hero of their own story. Women grow up expecting to be the supporting actress in somebody else‘s.“ (S. 216)

Ich habe auch noch Laurie Pennys neuestes Buch, Bitch Doktrin (leider übersetzt und nicht in der Originalfassung) daheim, ich denke, ich werde es bald anfangen!


Als nächstes las ich Rebecca Solnits Wenn Männer mir die Welt erklären. Das hatte ich nur deshalb ausgeliehen, weil ich vor kurzem irgendwo über den Namen der Autorin gestolpert war. Gleich nach Laurie Pennys mitreißender Kampfansage kamen mir die Texte darin regelrecht fad vor. Ich hatte auch eher mit einem durchdachten Gesamtwerk gerechnet denn mit einer losen Essaysammlung ohne Übergänge und mit vielen Dopplungen. Ich fand es zwar spannend, den titelgebenden Text zu lesen, weil in dessen Zusammenhang der Begriff „mansplaining“ entstanden war und dementsprechend oft darauf verwiesen wird. Der Rest hingegen war entweder nicht mehr aktuell (im Text zu Strauss-Kahn ging es um Argentinien und Venezuela, die sich aus den Fesseln des IWF befreien konnten – letzteres ist zur Zeit nicht unbedingt Musterbeispiel für einen gesunden Staatshaushalt), verwirrend oder eine oberflächliche Behandlung von Themen, die ich woanders schon ausführlicher gelesen habe. Schade!


Zuletzt nahm ich mir noch einen schmalen Band vor: „Ich bin kein Sexist, aber“. Sexismus erlebt, erklärt und wie wir ihn beenden vereint vier Essays von Frauen, die mit #aufschrei zu tun hatten. Nicole von Horst (@vonhorst) beginnt die Textsammlung mit Überlegungen zum Platz, den sich Frauen in Gesprächen und im öffentlichen Diskurs nehmen (trauen). Ihre Zwischenüberschriften – allesamt Zitate aus Büchern und Blogposts- muss ich unbedingt noch nachgoogeln. Yasmina Banaszczuk (@lasersushi) erzählt von Sexismus am Arbeitsplatz und wie er Machtungleichgewicht herstellt. Jasna Strick (@tugendfurie) schreibt über den Backlash der auf #aufschrei folgte und Mithu Sanyal (@Msanyal) geht sehr theoretisch an das Thema heran – ihren Text fand ich stellenweise recht anstrengend.

Weil ein #aufschrei nicht reicht von Anne Wizorek, die auch mit der Erfindung des Hashtags zu tun hatte, habe ich schon vor ein paar jahren gelesen und zu einem meiner liebsten feministischen Sachbücher auserkoren. Das Buch der anderen Initiatorinnen geht viel mehr auf den Hashtag selbst ein (jedenfalls, wenn ich mich recht erinnere) und erschien relativ bald nach dem das Thema hohe Wellen geschlagen hatte. Damals habe ich nur am Rande davon mitbekommen, sodass ich diese Einordnungen jetzt gerne gelesen habe.


Und weil so viel Bücher nicht reichen, war ich auch noch im Museum: Zuerst im Salzbergwerk Bad Dürnberg. Dort kann man – gut eingewickelt in große Schutzkleidung – eine mehr als einstündige Führung durch die Stollen, die in Teilen schon von den Kelten gegraben wurden, mitmachen. Mit gut zwanzig Euro ist die ziemlich teurer, aber das Programm ist mit einer Bergbahn-Fahrt, zwei Holzrutschen und einer Bootsfahrt über einen unterirdischen Salzsee schon cool. Unter der Erde passiert man sogar mal die Grenze nach Deutschland und sieht in mehreren Filmen, wie Salzabbau im Laufe der Zeit funktionierte. Mit dem Ticket kommt man auch gratis ins Keltenmuseum im nahegelegenen Hallein. Dort kam ich in mehr als eineinhalb Stunden nicht über das Erdgeschoss hinaus, doch die beiden Ausstellungen dort sind sehr gut gemacht. Zeitsprünge-Ursprünge sieht man an, dass sie aufwändig und vor nicht langer Zeit konzipiert wurde. Beginnend mit der heutigen Zeit gelangt man in der Ausstellung zurück bis in die vorrömische Zeit und was sich damals in der Salzburger Gegend abgespielt hatte. Die Austellung ist mit futuristischen Schaukästen und vielen Klappen, die man öffnen kann sehr interaktiv gestaltet. Ich hatte auch meine Freude mit dem „Urgeschichte-Wurm Kurt“, der Angebote für Kinder markiert, z. B. eine mechanische Waage mit Gewichten, bei der man die Grundeinheit der Kelten herausfinden kann, oder Suchrätseln für die Vitrinen.

Die aktuelle Sonderausstellung im Keltenmuseum beschäftigt sich mit der Himmelscheibe von Nebra, von der ich vorher noch nie gehört hatte. Diese Bronzeplatte wurde vor etwa 4000 Jahren aus Kupfer aus dem Salzburger Land hergestellt und vor gut 20 Jahren in der Nähe der Stadt Nebra in Sachsen-Anhalt gefunden. Sie gilt als eine der ältesten Himmelsdarstellungen der Welt und wurde zeitweise sogar als Umrechnungsmittel zwischen Mond- und Sonnenkalender benutzt. Die Ausstellung ist ebenfalls sehr modern aufgemacht, großformatige Fotos zeigen auch die archäologische Aufarbeitung des Fundes.


Jetzt habe ich meine Linksammlung wirklich genug verzögert (es ist schon Mittwoch!), deshalb hier meine Empfehlungen der Woche:

REZEPT

Zucchini Schoko Gugelhupf – Krebsen und Aluette
Sommerkuchen.

Zucchini Bars with Cream Cheese Icing – How Sweet Eats
Und nochmal Zucchini in Kuchen.

TEXT

Neos Kosmos
Eine Multimediareportage über die Situation der griechischen Bevölkerung zum Ende des Krisenkreditprogramms. Gefühlt so lange wie ein Buch und sehr deprimierend.

Griechische Emigranten aus Hamburg warnten uns vor dem Antritt unserer Reise bereits davor, die gefüllten Cafés zu missinterpretieren. Diese Art des Austauschs, der Diskussion, des Lebensgefühls, lasse sich aus Griechenland nicht wegdenken. Es gehöre dazu. Und tatsächlich: Alle Cafés an der Promenade und in der Innenstadt Thessalonikis, auch „die Mutter der Armen“ genannt, sind prall gefüllt, während unweit Dutzende Menschen den Müll nach Essbarem durchsuchen. Die Jungen gehen in Läden mit teuren Getränken und lauter Musik, bei der man sich kaum unterhalten kann, die Älteren und Armen in kleine Eckcafés und billige Sportsbars. Das bedient Klischees, die sich in Form von populistischen Vorurteilen in so manches Gedächtnis gebrannt haben.

Am Ende, der Anfang. Wie der Tierarzt und ich uns kennen lernten. – READ ON MY DEAR, READ ON.
Fräulein Read Ons Texte las ich sehr gerne – in letzter Zeit mit zunehmender Betroffenheit. Ihrem Lebensgefährten ging es immer schlechter und nun schreibt sie über seinen Tod.

Ganz neu war ich im Dorf und kannte noch niemanden außer der Katze. Die Katze aber hatte kein großes Interesse daran mich kennenzulernen. Den Priester kannte ich noch nicht, der weilte in der Sommerfrische und so war ich so allein wie selten. Niemand aber der neu ins Dorf zieht, kann den Laden der Frau des Krämers verfehlen, denn die Frau des Krämers handelt nicht nur mit Scones und irischer Butter, sondern ist Bürgermeisterin, aber auch inoffizielle Polizeikommissarin des Dorfes und als ich eines Tages in ihrem Laden nach braunem Zucker kramte- was diese Ausländer alles essen-, beugte sie sich über die Ladentheke uns fragte:
„Fräulein Read On, kennen Sie denn schon unseren Tierarzt?“

Posting Instagram Sponsored Content Is the New Summer Job – The Atlantic (via i am a foodblog)
Erstaunlich.

Overall, however, most teens said they were thrilled to be advertising on social media. “It’s easier to grow on Instagram than it is to get a raise at a job,” says Angie, a 17-year-old from Montana who says she has made $1,500 since she started posting sponsored content in June. “You manage yourself.”

AUDIO/VIDEO

Love & Hate – Michael Kiwanuka
Passt zum Regenwetter

Wie sich Zucker beim Einkochen sparen lässt – Ö1 help
Mein zweiter Beitrag für Ö1, hier gibts den Online-Artikel dazu.

FOTO

Feministische Ferienlektüre vor Bergkulisse

BACKKATALOG

2010: Chocolate Chocolate Cupcakes
2011: Kaffee-Whoopie Pies mit Karamellfüllung
2012: Vanillemarshmallows mit Zuckerstreuseln
2013: Eine Reise zum Trattberg
2014: Neues aus Marokko 2
2015: Aprikosenlikör
2016: Eine Reise nach Venedig
2017: Eine Reise in die USA, PT. 2: KY



Hi, ich bin Jana.
Seit 2009 veröffentliche ich hier wöchentlich Rezepte, Reiseberichte, Restaurantempfehlungen (meistens in Wien), Linktipps und alles, was ich sonst noch spannend finde. Ich arbeite als Podcastproduzentin und freie Kulinarikjournalistin. Lies mehr über mich und die Zuckerbäckerei auf der About-Seite.

Meine Sketchnotes:
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Porträtfoto: (c) Pamela Rußmann

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Im Zuckersüß sammle ich (fast) jeden Sonntag meine liebsten Links der Woche: Rezepte für die Nachback-Liste, lesenswerte Blogposts, Zeitungsartikel und Longreads, Podcasts oder Musik, die mir gerade gefällt und oft genug auch Internet-Weirdness. Außerdem schreibe ich auf, was ich sonst so interessant fand: neue Rezepte in meiner Küche, Lokale, in denen ich gegessen, Pullover, die ich gestrickt oder Texte, die ich geschrieben habe.

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