Mraz&Sohn, Wallensteinstraße 59, 1200 Wien
Im Oktober 2020 war ich zum ersten mal in diesem Restaurant, das bestimmt schon zwei Jahre vorher auf meiner „da will ich unbedingt mal essen“-Liste stand. Den Abend schenkte ich mir damals selbst zum Bachelorabschluss und so hoch meine Erwartungen auch waren, sie wurden mehr als erfüllt. Leider habe ich es zeitlich nicht auf die Reihe gekriegt, im Anschluss darüber zu schreiben, was für mich der halbe Spaß an so einem Abend ist – ich will die vielen tollen Sachen ja nicht gleich wieder vergessen!
Vor einer Woche habe ich zufällig mitbekommen, dass das Mraz&Sohn nach Umbaupause (Wände und Lederbänke sind jetzt essiggurkerlgrün) wieder mit 2G+ aufgesperrt hat. Und weil Eskapismus in der bisherigen Pandemie eine gute Sache für mich war (jedenfalls mit eingebauten Covid-Sicherheitsmaßnahmen), habe ich gleich einen Tisch reserviert, einfach so, für Montagabend.
Zur Begrüßung gabs Rosé-Sekt für mich und Zwicklbier für meine Begleitung – aus so einem feinen, dünnen Glas könnt ich mich ganz, ganz vielleicht auch mit Bier anfreunden!
Die Menüvorstellung durch Servicechef Manuel Mraz kam im Einkaufswagen, eine Tradition, die trotz neuer Einrichtung und neuer Uniform beibehalten wurde. Diesesmal mit Mangalitza (oder vielleicht Duroc?)-Schweindl, Grünkohl, Mairüben aka Navetten, Granny Smith und Topaz-Apfel, allerlei Zitrusfrüchte, die ich nie vorher probiert habe, Muscheln, Schwammerln, Ochsenherzkarotten und Skippy-Erdnussbutter (beim letzten Mal war das „Kindheitserinnerungsding“ Maresi-Milch, von der ich nie zuvor gehört hatte).
Einer meiner Favoriten Zu salzig für meinen Geschmack
Um 22 Uhr ist leider gesetzliche Corona-Sperrstunde, deshalb gings pünktlich um 19 Uhr mit Fingerfood los. „Sate Grünkohl“ ist genau das: ein Spießchen mit angekokeltem (super rauchig, super gut!) Grünkohl, Satesauce und Zitrus (ich glaube, es war Finger Lime?). Taugte mir sehr. Gleichzeitig wurden uns „Sellerie hard Shell Tacos“ serviert. Coole Idee, aber zu salzig für meinen Geschmack. Hauchdünne Selleriescheibe, gebogen frittiert, gefüllt mit mehr Sellerie (wenn mich meine Erinnerung nicht trügt), Apfel und Kaffee-Hollandaise, Koriandergrün obendrauf.
Dieses „Gulasch XO“ war ziemlich witzig, aber auch nicht ganz mein Ding. Muscheln als würziges Gulasch, dazu ein süßes, dichtes, weiches Baobun, das sich als Kaisersemmel verkleidet hat und am Rand hausgemachte Pickles. Von links nach rechts Gurke, gar nicht so scharfe, dafür süße Habanero-Chili, ziemlich scharfe, unreif eingelegte grüne Tomate mit erstaunlich festem Biss und ein Essiggurkerl mit Holunderblüte (bestimmt die gleichen, wie in Lukas Mraz Korean Chicken Burger im Gasthaus Woracziczky vom Dezember!).
Ein „Shrimpscocktail“, aber natürlich nicht so, wie eins es erwarten würde: rohe, in Wermut marinierte Shrimps, die ich niemals so süß erwartet hätte, schwimmen in hausgemachter Sriracha-Mayo (das ferment-game hier weiterhin strong!) und Kaffir-Öl, am Schüsseboden hauchdünn gehobelte weiße Rüben. Die Köchin, die serviert, stellt sie als Navetten vor (Navetten! Wie ich dieses Wort mag! Am Rande: Das Gemüse habe ich zum ersten Mal unter dem französischen Namen navets gegessen, als Standardzutat in marokkanischem Couscous).
Es geht mit Dad-Jokes weiter, dieser Gang hieß „Crystal Mett“. Nochmal angekokelter Grünkohl, gefüllt mit, nun ja, Mett. Minifein gehackter Apfel ist auch drin. Die großartige Granny-Smith-Verveine-Vinaigrette dazu hat mich sehr begeistert.
Als nächstes: Feste Jakobsmuscheln in Tapiokaravioli, mit Pilz-„Grammeln“ und – ich glaube – wieder einer nischigen Zitrusfrucht. Für mich gab es bloß gebräunte Butter drauf, für alle anderen Haselnussmilch, die am Tisch draufgegossen wurde.
„Die Karotte“ der knubbeligen Ochsenherzsorte habe ich mich aus Angst vor allergischer Reaktion leider nicht probieren getraut, denn durchgegart war sie durchs in-Folie-grillen nicht. Ich hab mir sagen lassen, dass sie unglaublich süß und auch ein bisschen rauchig war. Obenauf gabs Crème fraîche mit Emmentalerwasser (?!) und eine Handvoll Kerbel.
Japanisch kam mir dieser Teller beim Essen nicht vor, aber „Tonkatsu“ ist im Nachhinein schon schlüssig: Schweinskopf, grob paniert herausgebacken (Weißbrotbrösel waren das nicht), dazu ultrascharfer Senf und eingelegte Schwarzwurzeln mit Mayo und Dill. Für mein Gegenüber gabs fleischlose, in Sesam panierten Sellerie und wieder Emmentalerwasser in der Sauce.
Wurzelfleisch Sarma
Es folgten noch zwei österreichischer Klassiker, aber halt doch nicht. Für mich war das „Krenfleisch“ mit ganz schön vielen Schwarteln, Wurzelgemüse, Thai-Basilikum und anderem wilden Grünzeug und obendrüber frischgeriebenem Kren. Die süß-saure, leicht bittere Calamansi kam zum selber-drüberausdrücken auf dem Begleittellerchen. Für mein Gegenüber gabs eine sehr spannende fleischlose Sarma-Variante mit bissfester Polentafüllung, Kimchi-Hollandaise und Maiwipferln aus dem Tiefkühler (weil Mai ists wirklich noch nicht).
Snacks Käseeee
Bevor der 1,80-hohe (ok, vielleicht übertreib ich, aber größer als ich bestimmt) Käsewagen angerollt kam, gabs schon mal dessen Begleitung: ein knuspriger warmer Kornspitz, eine süß-sauer eingelegte unreife Erdbeere, deren leicht sirupiger Sud mich an Kombucha erinnerte. Dann eine heiße Maroni frisch aus dem Ofen, gebrannte (aber nicht süße) Essigmandeln, die meine Begleitung enorm feierte, ich nicht so sehr, und Trüffelhonig.
Manuel Mraz nannte beim Käse viel zu viele Details, als dass ich mirs merken hätte können. Aber von links nach rechts: cremiger Ziegenkäse aus dem Elsass, Brillat-Savarin von der Kuh, ein recht harter, strenger Kuhmilchkäse, den wir nicht besonders mochten, einer mit Schnaps über den ich sonst nix mehr weiß (mein wenig trainierter Käsegaumen verband es mit Camembert) und zuletzt einen Blauschimmelkäse vom Schaf.
Im Herbst, bei einem Interview für die „Guter Schimmel, schlechter Schimmel“-Sendung im Ö1-Moment-Kulinarium hat mir Käsemacher Robert Paget erzählt, dass es seine Büffel- und Ziegenkäse auch im Mraz&Sohn gibt (sie sind ziemlich schwierig aufzutreiben), leider gab es sie am Abend meines Besuchs nicht, und jetzt hab ich noch immer keinen probieren können, wie schade.
Das im Menü schlicht „Bitterorange“ betitelte erste Dessert, erklärte ich, unwissend, was noch kommen würde, zu meinem Favoriten des Abends: Ausgehöhlte Bitterorange, gefüllt mit Bitterorangenfilets, cremig-fettig-süßem Mascarpone (was für ein Kontrast!), Kokoslikör und lustigen Mangoeiskügelchen obenauf, quasi eine Hommage ans Solero am Steckerl.
Die „Misocremeschnitte“ machte mich sehr traurig. Endlich mal ein Dessert mit Umami-Ferment! Leider aber auch mit Haselnuss und deshalb nix für mich. Der karamellige Guss auf dem Millefeuille war eingekochter Topaz-Apfelsaft. Ebenfalls im Bild sind Kaffee und „Pralinen“ (türkischer Honig, ein Mini-Brownie-Würfel und superfeine kandierte Orangen) die uns auch gleich auf den Tisch gestellt wurden, weil die Sperrstunde nahte.
Als Ersatz bekam ich Kokos-Straciatella-Eis in einer riesigen, schweren, vor Kälte dampfenden Schüssel. Super Eis, aber leider weit weniger spannend als die Misocremeschnitte (Ich mein… Miso! In einer Cremeschnitte!).
„Trüffelcremebrulee“ war dann der Rausschmeißer. War es bei meinem Besuch im Tulus Lotrek vergangenen Sommer der Bahnstreik, der gegen Menüende für Stress auf allen Seiten sorgte, war nun die Corona-Sperrstunde. Schade!
Dieses Dessert war allerdings der bestmögliche Abschluss des Abends: Samtige, vanillige, gar nicht so süße Crème brulée mit kristallener Karamellkruste und darauf fein gehobelte Perigord-Trüffel. Wenn ich mal ein bisschen Kleingeld übrig hab, das ich nicht lieber auf 14-Gänge-Menüs werfe, mach ich das mal nach!
Ich freue mich wirklich sehr über diesen spontanen einfach-so-Besuch in der Spitzengastronomie. 144,44€ für so viele so spannende, detailreiche Gänge finde ich noch immer sehr fair, die Weinbegleitung habe ich mir nach dem argen Rausch beim letzten Mal heute gespart (dafür bekam ich z.B. Zweigeltsaft-Tonic!).
Der Zeitdruck war ein bisschen anstrengend, vor allem gegen Ende, und der Service schien deshalb auch hin und wieder etwas ins Schleudern zu geraten (die Weinbegleitung meines Gegenübers startete einen Gang zu spät, einen bestellten Marillensaft bekam ich nie serviert, hab ihn aber am Ende bezahlt* – gut, dass es nur 3,50€ waren). Ich komm trotzdem bestimmt wieder (dann, wenns keine Coronamaßnahmen mehr gibt), weil mir Küche und Atmosphäre im Mraz&Sohn echt taugen.
*der Fairness halber: ich hab nicht nochmal beim Service nachgefragt und im Nachhinein hat mir Lukas Mraz auf Instagram angeboten, es zurückzuüberweisen, aber ich finde auf 3,50€ kommts bei so einer Zeche nicht mehr an :’D
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