Neulich war ich in Milano. Das Reise zu nennen ist ein bisschen übertrieben, denn es war bloß ein etwa 20-stündiger Stopp auf meiner Rückreise aus Marokko (darüber werd ich hoffentlich auch noch schreiben). Den Großteil meiner wachen Stunden in der Stadt habe ich auf Empfehlung eines Designer-Freundes bei der Triennale verbracht. Die diesjährige Ausstellung unter dem Motto Unknown Unknowns (noch bis 11. Dezember) hat mich sehr beeindruckt und gefühlt tausend Anknüpfungspunkte zu meinem STS-Studium, weshalb ich ihr einen eigenen Post (und nicht bloß ein paar Absätze im nächsten Zuckersüß) widmen will.
Man betritt die Ausstellungsfläche durch das „Portal of Mysteries“ des künstlerischen Direktors Emanuele Coccia in Zusammenarbeit mit Dotdotdot einen Torbogen mit Bildschirmen auf der Innenseite. Die Animation zeigt zum Beispiel wachsende Pilze, das Weltall und mathematische Formeln, in diesem Video ist ein bisschen was davon zu sehen.
Niederlande: Have we met? Humans and non-humans on common ground
Zuerst bin ich in den niederländischen Pavillon, dessen Titel schon klingt wie eine Artikel aus meiner Studiendisziplin. Er ist mit Muscheln ausgelegt, die beim Durchgehen leise knirschen, statt Wände gibt es außenherum dicke graugrüne Vorhänge. Ausgestellt sind Arbeiten verschiedener Kunstkollektive, die allesamt die Menschheit zugunsten nichtmenschlicher Akteure dezentrieren, viele befassen sich mit der ökologischen Krise.
Besonders spannend fand ich Interspecies Play, eine Fotobox für Menschen und Vögel, die von Studierenden der Wiener Angewandten entwickelt wurde:
This project therefore proposes urban wild areas for humans and other animals to interact, featuring ‘toys’ such as a photo booth designed for birds, small mammals, and humans alike. These booths are physically separated to respect the boundaries of each species but are connected digitally – a motion sensor in an animal booth triggers a flashing light, signalling humans to run to have their picture taken. The split screen image then shows both the human and the animal ‘photographer’.
Het Nieuwe Institut
Das Projekt New Instinct von Keer Hu, Yuzhi Liu und Jiafeng Zhu hat ebenfalls mit Vögeln zu tun. Es handelt sich um eine Art Hut, durch die Menschen – in Anlehnung an die magnet-empfindliche Netzhaut von Zugvögeln – das elektromagnetische Feld der Erde wahrnehmen können.
Zum Pavillon gibt es einen Podcast (das scheint ein Trend zu sein, später mehr), den habe ich aber noch nicht angehört. Im Blog We Make Money Not Art ist eine lesenswerte Besprechung des niederländischen Triennale-Beitrags erschienen.
Deutschland: Nomadic Cosmologies and Fugitive Power – Red Forest Radiograms
Der deutsche Beitrag zur Triennale ist offenbar schlicht ein Podcast, bzw. eine Podcast-Hörstation mit roten Bänken und meheren Tablets, auf denen die (noch nicht alle) verfügbaren Folgen durchzuklicken sind, er geht vom Goethe-Institut in Mailand aus. Folge 5, die im Oktober erscheinen wird, klingt in der Ankündigung schon mal interessant (auch wenn ich die Formulierung ein bisschen anstrengend finde):
Extractivism can be understood as the result of a one-directional attention to environments. Capitalist conceptions of economic growth encoded in technologies of engagement, i.e. financialization and datafication impose a brutal rhythm on the organic composition of energy by turning it into a speculative value measured in its propensity to extraction. Energy Infrastructures become engines for a contemporary system of colonialism imposed by the theatricality of war. These dynamics are further linked to anthropocentric and western philosophical conceptions of how life should be lived, which is at heart of contemporary alienation. To contest the ongoing climate catastrophe, the recontextualization and recovery of the social specificity of energy production is crucial. Not all LilyPads are beautiful.
Radiogram #5: Weaponized Infrastructures of Extractivism and the LilyPad | Goethe Institut Mailand
Frankreich: Situations. Stratégies pour habiter l’instable: phénomènes, événements, coïncidences.
Im französischen Pavillon, der natürlich einen französischen (aber auch englischen und italienischen) Titel trug, habe ich leider vergessen, zu fotografieren. Er befasst sich mit der Unvorhersehbarkeit der Welt, ausgestellt waren u.a. ein paar Weckgläser, ein Regal aus Stroh und ein Vorhang aus Stoffmusterseiten. Am interessantesten fand ich allerdings eh die Texte mit vielen Literaturverweisen an der Wand, zum Beispiel aus einem Buch, das schon lange auf meiner Leseliste steht:
I argue that, only an appreciation of current precarity as an earthwide condition allows us to notice this – the situation of our world.
„The Mushroom at the End of the World: On the Possibility of Life in Capitalist Ruins“ – Anna Lowenhaupt Tsing
Kenia: ujumbe
Ujumbe heißt Nachricht auf Swahili, unter diesem Titel hat die brasilianische Künstlerin Louise Manzon Fischkopfskulpturen gestaltet, die die Auswirkungen menschgemachter Umweltverschmutzung thematisieren.
Tschechien: Casa Immaginaria: Living in a Dream
Der tschechische Pavillon dreht sich um frühere und zeitgenössische dreamscapes, also fiktionale Landschaften und Räume. Auf großen beleuchteten Panelen sind gruselig-schöne renderings von Digital-Künstler_innen zu sehen, hier zum Beispiel Crystal Collection von Hannes Lippert. An den Wänden außenherum sind past futures zu sehen, zum Beispiel space age-Interiors.
Österreich: Entangled relations – Animated bodies
Wenn ich mich nicht täusche, habe ich den österreichischen Triennale-Beitrag schon auf einem Foto im MAK, das ihn beauftragt hat, gesehen. Sonja Bäumel beschäftigt sich in der Installation mit der Amöbe, den Grenzen des (menschlichen) Körpers und der Interdependenz von Menschen und Mikroorganismen, die überlebenswichtig sind (da wären wir wieder bei den non-humans!). Gleichzeitig kritisiert sie die Starrheit zeitgenössischer anatomischer/medizinischer Körpermodelle, die auf diese more-than-human-Aspekte nicht eingehen.
How, then, can anatomical models be modeled, shown, seen, and experienced so that they represent the living body? Entangled Relations—Animated Bodies attempts to shape alternative corporeal models to unsettle representations of the static body and to celebrate the ephemeral and the animated body, while illustrating the collapse of epidermic and trans-species boundaries.
Booklet „Entangled relations – Animated bodies“
Lustige Randnotiz: In der Danksagung auf der Erklärungstafel habe ich einen bekannten Namen entdeckt: Beatrix Mapalagama habe ich vergangenes Jahr für Ö1 Moment Meisterstück und Rudi Radiohund interviewt.
Ukraine: Planeta Ukrain
Der ukrainische Beitrag war offenbar gar nicht geplant, er wurde eingerichtet, nachdem die Triennale Russland wieder ausgeladen hat (s. la Repubblica zum Thema). Die Plattform (der Begriff Pavillon findet sich nirgends) ist eine Art Treppenhaus aus rohem Beton, in dem Gemälde, Videos und Fotos ukrainischer Künstler_innen zu sehen sind, die mich allesamt sehr mitgenommen haben – Krieg und Zerstörung überall. Oleksandra (Sasha) Anisimovas leichtfüßige Illustrationen zum Beispiel stehen im starken Kontrast zu den darunterliegenden Fotos zerbombter Städte.
Triennale Game Collection
Games sind mir ziemlich egal, aber ich finde es schön, dass die Triennale dieses Medium ernstnimmt und fünf Spiele beauftragt hat. Auf den Bildschirmen unten sind Demos von MINE (Akwasi Bediako Afrane) und Nonno’s Legend (Nina Freeman) zu sehen. Es sind offenbar noch nicht alle Spiele veröffentlicht, aber auf dieser Seite sind die Links zu Steam etc. gesammelt.
Alchemic Laboratory
Das Alchemic Laboratory von Ingrid Paoletti fand ich sehr interessant, weil es das Konzept der leblosen Materie problematisiert. Die Biodesign-Installation auf dem Foto besteht aus Holz und Zellstoff, der in dieser Schirmchenform durch Bakterien gewachsen ist – die Materie ist (war) also lebendig.
Die Installation passt sehr gut zu einem Uniseminar, das ich vergangenes Semester besucht habe: The Politics of Thing-Power bei Doris Allhutter, das verschiedene Strömungen des neuen Materialismus behandelt hat. Dieser sieht Materie nicht kartesisch tot, sondern in Anlehnung an post-klassische Physik (mit deren beweglichen Partikeln auf subatomarer Ebene) als lebendig bzw. vital1. Das rückt den Menschen und seine Handlungsmacht aus dem Mittelpunkt und zeigt, wie wenig klar die Grenzen zwischen Subjekt und Umwelt eigentlich sind2.
- [1] s. z. B. Coole, D., & Frost, S. (2010). Introducing the New Materialisms. In New Materialisms: Ontology, Agency, and Politics (pp. 1–44). Duke University Press. https://doi.org/10.1215/9780822392996-001
- [2] s. Alaimo, S. (2016). Your Shell on Acid. Material Immersion, Anthropocene dissolves. In Exposed: Environmental politics and pleasures in posthuman times (pp. 143–168). University of Minnesota Press.
La tradizione del nuovo
Zuletzt spazierte ich noch durch die Ausstellung, die auf vergangene Editionen der Triennale zurückblickt. Da ging es zum Beispiel um Einrichtungsmagazine, die in den 1980er Jahren wichtige Vernetzungsplattformen für italienische Designer_innen waren, oder die Triennale-Edition, in der Mulitmedia, also Musik und Video wichtig wurden. Ein Beispiel: 1992 gestaltete Brian Eno einen Ambient Track für die Triennale.
Es waren viele Möbel ausgestellt, darunter natürlich viel Memphis-mäßiges (hier bei der SZ die Geschichte des Kollektivs/der Stilrichtung), das ich persönlich gar nicht aushalte. Leider fehlte mir zu den meisten Dingen der Kontext, mit italienischer Designgeschichte kenne ich mich kaum aus. Wäre ich länger in Milano, wäre ich einfach nochmal hingegangen, um mich auch mit dieser Ausstellung genauer zu beschäftigen, an diesem Punkt blieb mir allerdings keine Konzentration mehr.
Caffé Triennale
Nach den vier Stunden Ausstellungsbesichtigung brauchte ich eine Pause und kehrte deshalb im sehr stylishen, dschungelhaften (riesige Topfpflanzen, große Fenster, Bambusholzinstallationen) Museumscafé ein. Fürs Mittagessen bekam ich eine Tischdecke auf den hellen Holztisch gelegt (für einen Kaffee offenbar nicht!), und ich beschloss, mir mehr als nur einen Snack zu gönnen, ein paar Stunden später würde ich ja schon wieder ewig im Zug sitzen. Als Vorspeise bestellte ich eine Riccottina Infornata (10€) also eine kleine Ricotta, die außen dunkelknusprig gebacken und innen cremig wich war, drumherum gabs gebratene Zucchini und eine Zucchini-Kräutercreme – schmeckte ziemlich gut! Die Hauptspeise, Gnocchetti in Safransauce mit frittierten Zucchiniblüten, hat mich nicht so überzeugt, denn erstere waren gummig, letztere ein bisschen zäh.
Snacks
Den restlichen Tag verbrachte ich mit Freunden und Snacks, darunter eine Plunderschnecke, Joghurt- und Schoko-Gelato, einem ziemlich spannenden Limo (Cedrata von Terre d’Italia) und Aperol Spritz zum Aperitivo, bevor ich in den Nightjet nach Wien stieg.
Nächstes Mal bleib ich länger in der Stadt!