Auf die Digitalkonferenz wurde ich zufällig über das Facebook-Event aufmerksam. Sehr viele meiner Freund_innen (und noch viel mehr Menschen allgemein) gaben an, interessiert zu sein, was bestimmt mit der Vortragenden-Liste – Ingrid Brodnig, Richard Gutjahr, Max Schrems, Stefanie Sargnagel, Fritz Jergisch und Hanna Herbst – zu tun hatte. Und mit dem Preis: 0€ für sechs Stunden Programm inklusive Mittagssnack!
Die Plätze waren trotz des ziemlich komplizierten Anmeldeweges über E-Mails und das VHS-System (immerhin offizielle 5,98 Unterrichtseinheiten bei der Volkshochschule!) sehr schnell ausgebucht. Leider tauchten heute morgen (gut, Montag, 9 Uhr ist nicht die attraktivste Zeit) recht wenige auf, der Saal blieb anfangs halb leer. Das fand ich furchtbar schade, denn es hätte bestimmt genug Menschen gegeben, die gerne zugehört wurden, aber mit einem „leider ausgebucht“ vertröstet wurden.
Außerdem fand ich das Vormittagsprogramm sehr interessant (sogar interessanter als den Nachmittag, obwohl es da verstärkt um Feminismus ging, aber dazu später mehr).
Ingrid Brodnig, Luca Hammer, Josef Holnburger: Digitalreport 2018
Ingrid Brodnig, die Organisatorin der Konferenz, stellte zuerst den diesjährigen Digitalreport vor, der YouTube in Österreich zum Thema hat (letzes Jahr ging es um Facebook). Sie berichtete unter anderem von der großen österreichischen Landwirtschaftsbubble, die ein Video von einem Agrar-Gefährt (fragt mich nicht, was das war – Landwirtschaftsmaschinen sind nicht gerade mein Fachgebiet) zu mehreren Millionen Views bringt.
Außerdem stellte sie Ergebnisse zur Präsenz von politischen Organisationen vor: Die meistgeklickten Videos sind von der FPÖ oder der zumindest nahe und immer gelangt man zu rechten Positionen, niemals zu linken:
#DigitalkonferenzAT "Wer nach einem linken Politiker auf YouTube sucht, bekommt Videos rechter Politiker (mit)angezeigt, wer nach rechten Politikern sucht, sieht idR keine Videos von linken Politikern in den Ergebnissen" #youtube #algorithmus #vernetzung pic.twitter.com/QMP6GCnphb
— Robert Harm (@RobertHarm) October 1, 2018
Natürlich bot sich die Veranstaltung super an, endlich mehr Übung im am-iPad-sketchnoten zu gewinnen, sodass ich von Anfang an mitkritzelte. Und feststellen musste, dass „Landwirtschaftscommunity“ noch keinen Eintrag in meinem visuellen Vokabular hat (hello Unimog-Hochhaus-Funktionsloser-Traktor).
Richard Gutjahr: Hass. Das digitale Gift
Weiter gings mit Richard Gutjahr, dessen #rp18-Talk (Nach Nizza und München – Anatomie eines Shit-Tsunamis) ich schon in meiner re:publica-Rückschau empfohlen hatte. Er sprach über Hass. Das Digitale Gift und baute sehr viele Memes ein. Mein Liebling:
liebe journo-bubble bei twitter:
WECHSELT DAS MEDIUM!
/@gutjahr#DigitalkonferenzAT pic.twitter.com/5dcwasB4yW— jürgen haslauer (@jhaslauer) October 1, 2018
Außerdem hatte er wirklich gutes Storytelling (hey, gar nicht gehört im Digitalveranstaltungs-Bullshitbingo!) – seinen Talk kann ich jedenfalls noch am besten erinnern.
Seine Ausgangsthese war die Zeitenwende, die die Digitalisierung darstellt. Ähnlich weitreichende Veränderungen hätte es zuletzt vor 500 Jahren gegeben, als der frühe „Blogger“ Martin Luther seine Thesen durch den Buchdruck weit verbreiten konnte. Nun sind die Info Wars ausgebrochen (nicht nur die von Alex Jones), denn klassische Medien verlieren an Einfluss, Agendasettingmöglichkeit und vor allem Publikum. Statt mit BILD, BAMS und Glotze (Schröder) wird nun mit Twitter (Trump) Politik gemacht und die Medien taugen nur noch als Schatten in Platos Höhlengleichnis. Das große Problem dabei: einfache Alternativ-Erklärungen schüren Hass, der sich auf die Gesellschaft IRL (s. H/Wutbürger) überträgt.
Auch dazu habe ich natürlich gesketchnotet, passend in aggressivem Rot:
Max Schrems: Die Internetriesen und wir – wie wir Daten schützen können
Max Schrems, Datenschutzleitfigur des Landes, redete über die DSGVO. Dank der leidigen EU-Verordnung ist es jetzt nämlich leichter geworden, sein Recht auf Datenschutz einzuklagen bzw. die entsprechenden Konzerne wegen mangelnder DSGVO-Konformität zu verklagen. Daran arbeitet seine NGO noyb auch schon fleißig.
Natürlich erzählte er auch etwas drum herum: Zum Beispiel von der Lächerlichkeit der irischen Datenschutzbehörde zu dem Zeitpunkt, als er Facebook zuerst verklagte (über einem Supermarkt! Ohne technischen oder juristischen Sachverstand!) und Schattenprofilen im Social Network. Ich finde es erschreckend, dass mich deren Beschreibung mittlerweile nicht einmal mehr überrascht. Was Facebook aus anderer Leute Telefonbücher zieht und dann statistisch zu Infos über Wohn-/Geburtsort, sexuelle Orientierung und Last Location macht geht echt gar nicht. Gizmodo hat letztes Jahr dazu übrigens einen interessanten Artikel veröffentlicht: How Facebook Figures Out Everyone You’ve Ever Met.
Aber Max Schrems bleibt optimistisch:
Publikumsfrage: "Wie lange wird es denn noch dauern bis wir endlich sinnvolle Gesetze für Datenschutz haben?" – Antwort von @maxschrems: "Wie lange hat es nach der Industriellen Revolution gedauert, bis es gscheite Arbeitnehmerschutzgesetze gab?" #DigitalkonferenzAT
— Nicole Kolisch (@nic_ko) October 1, 2018
Und Sketchnotes gibts natürlich auch:
Schnittchen!
In der Mittagspause gab es gratis Schnittchen (sogar vegan!) für alle und ein bisschen socializen. Wobei ich hauptsächlich Löcher in die Luft starrte, um meine Konzentration für den Nachmittag wiederzugewinnen. Sketchnoten ist echt anstrengend!
Stefanie Sargnagel: Über unlustige und lustige Seiten des Internets
Der zweite Teil der Konferenz ging ganz anders weiter, als sie gestartet war: Mit einer Lesung von Stefanie Sargnagel. Der Saal wurde deutlich voller (warum wart ihr alle nicht schon vorher da!?) und die Schimpfwortquote stieg dank Battle-Rap (die Hass-Kommentar-Umgangs-Strategie der Autorin) deutlich, wie Ingrid Brodnig feststellte.
Nicht ganz sicher, ob es funktionieren würde, versuchte ich die Lesung in einem Sketchnote festzuhalten. Alle Zitate stammen allerdings aus den „improvisierten“ Übergängen; um Vorgelesenes wörtlich festzuhalten bin ich nämlich zu langsam.
Diskussion mit Fritz Jergitsch und Stefanie Sargnagel, codeweek und neuwal
Danach diskutierten Stefanie Sargnagel und Tagespresse-Gründer Fritz Jergisch moderiert von Eva Weißenberger noch über Humor im Netz. Das Panel nutzte ich für eine kurze Verschnaufpause, genauso wie die kurzen Pitches von Codeweek und neuwal. Die waren am Nachmittag eindeutig besser aufgehoben als am Vormittag, wo mir das Publikum technikaffiner (und die Projekte wohl eh schon kannte) schien, wirkten aber irgendwie trotzdem ein bisschen deplatziert. Schade!
Hanna Herbst: Macht das Netz Frauen mächtiger oder ohnmächtiger?
Letzter Programmpunkt war Hanna Herbst, die mit Ingrid Brodnig über ihr gerade erschienenes Buch „Feministin sagt man nicht“ sprach. Das erste Mal überhaupt las sie öffentlich daraus, was vielleicht auch ein Grund für den Publikumszustrom (und -wechsel) am Nachmittag war. Sie berichtete von ihrem Umgang mit Hasskommentaren (nicht bei sich behalten!), der Absurdität mancher Nachrichten (vor allem in Kombination mit dem Familien-Profilbild) und der Unfähigkeit des Polizeibeamten, bei dem sie einmal Anzeige erstatten wollte. Und auch das Frauen*Volksbegehren (geht unterschreiben, btw!) kam vor.
Fazit, oder so
Die Digitalkonferenz kam mir ein bisschen vor wie eine Mini-re:publica, und die ist ja bekanntlich meine Lieblingskonferenz. Für den kostenlosen Eintritt war auf jeden Fall ziemlich viel geboten und ich fand praktisch alles interessant (wobei das nicht so schwierig ist). Die paar technischen Probleme (Kabelbruch und kein Ersatzkabel, die Urania-Technik war auch schlecht vorbereitet) führten zu keinen größeren Programmverzögerungen und eine handvoll Live-Twitterer begleiteten das Präsentierte (bestes an Konferenzen!).
Tatsächlich waren aber manche Vortragstitel leichte Mogelpackungen: Max Schrems gab keine konkreten Vorschläge für Normal-Nutzer_innen und ob Frauen dank dem Internet nun (ohn-)mächtiger sind, weiß ich nach dem Gespräch mit Hanna Herbst auch nicht. Und Anne Aschenbrenner bemerkt in einem Nachlese-Thread, dass das Konferenzthema eigentlich auch nicht ganz getroffen war:
Die Fragen die für mich bleiben: Kann nicht Humor im Netz dieselben Mechanismen und Dynamiken bedienen wie Hass? Da wären Besipiele gut gewesen. – Und: Wie schaut das Netz nun tatsächlich aus, das wir haben wollen? #digitalkonferenzAT
— Anne Aschenbrenner (@AnneAschenbrenn) October 1, 2018
Aber trotzdem: Mir hat der Konferenztag gut gefallen – sollte es eine Wiederholung geben, bin ich dabei!