aend, Mollardgasse 76, 1060 Wien
Was einen random regnerischen Montag in jedem Fall besser macht: ein Fine-Dining-Abend. Meine liebste Form des Eskapismus hat mich diesmal ins aend geführt, mit einem Studienkollegen als Begleitung.
Ich kam als allererstes ins noch komplett leere Lokal, das sich kurz darauf jedenfalls zur Hälfte füllen sollte, mit vielen nicht deutschsprechenden Paaren und am Nebentisch einem alleine essenden Gastro-Nerd, der später einen Tisch voller Gläser haben sollte, mit Weinflaschen zusätzlich zur eigentlichen Weinbegleitung des Menüs.
Aber zurück zum Anfang: Wir entschieden uns für das große Menü (220€) inkl. Weinbegleitung (125€) und deshalb erstmal etwas alkoholfreim als Aperitif. Der matt rote Radicchio-Hollersaft kam in einer Sektflöte daher und war fruchtig, süß und auch ordentlich bitter.
Dazu kamen dann schnell die drei Amuses: Zuerst Seeigel und Kaviar mit österreichischem Reis in Nori, mit einem umamigen Lack obendrauf. Ich hab noch nie vorher Seeigel gegessen, und deshalb keinerlei Referenzen, der ganze Bissen hier schmeckte jedenfalls salzig und ganz leicht jodig.
Das zweite Amuse fand ich sehr toll – das zwei-Zutaten-Konzept war hier aber quasi bis zur Unkenntlichkeit ausgereizt: ein knuspriges Kartoffeltartelette, gefüllt mit Maronicreme, roten und gelben Rüben, Physalis, Radieserln, Birnen in Kirschwasser, und drauf eingelegte Hollerblüten.
Als drittes Bittersalatblätter, die ihrem Namen alle Ehre machten, gefüllt mit kühler, fester Reinanke in einer Mirin-Macadamia-Vinaigrette. Das *aend-exklusive* Josephbrot (Sauerteigtoast, vielleicht ein bisschen zu sehr gebacken, weil sehr dicke Kruste?) kam mit intensiver, fast käsiger Rohmilchbutter und Salzflocken. Dazu dann das erste Glas der Weinbegleitung, Riesling Terra Montosa (2020) von Georg Breuer.
Radlberger Lax (eine ~exklusiv~Züchtung aus Forelle/Seeforelle von Eishken) mit Senfblättern, einer senföligen Emulsion und allerlei orangen Kugerln (Fingerlime und Rogen), die lustig auf der Zunge zerplatzen.
Es folgte einer der für mich spannendsten Gänge: Blauer Hummer „al forno“ mit Käse, fleischigem neuseeländischem „Spinat“ (der botanisch keiner ist), Pinienkernen, Oliven und sehr altem Essig. Ich habe noch nie Hummer in Kombination mit Käse gegessen, ich mochte das hier wirklich sehr. Dazu Trebbiano d’Abruzzo (2020) von Emidio Pepe.
Es folgte Rotbarbe (auch neu für mich!) mit feinen Kürbisstreifen und Trüffel auf einem grünen Tomatengelee, dazu eine südtiroler Chardonnay-Weißburgunder-Grauburgunder Cuvée. Bin weiterhin kein besonderer Trüffel-Fan, wie ich festgestellt habe.
Die Kombi der Zutaten dieses Gerichts war unerwartet, funktionierte aber ganz schön gut: rosa Thunfisch auf/in Safranteigtasche, dazu Pak-Choi-ähnliches Grünzeug mit Foie Gras dazwischen. Dazu ein ebenso unerwarteter Grüner Veltliner aus dem Mittelburgenland: Kolfok Vulkan Alte Reben (2021).
Weiter mit dem eindeutig erstaunlichsten Wein des Abends, leider hab ich die Flasche nicht fotografiert und weiß nur noch, dass er von der Domaine Rolet ist und satte 10 Jahre älter als ich selbst. Duftet nach Pflaume/Trockenfrucht und hat einige Röstnoten, ich musste an Kaffee denken.
Die Kombo aus Quitte in Tempura (super knusprig!) auf Quittenschaum mit Gouda und Steinpilzstaub hat mich nicht recht überzeugt.
Der Kapaun im Pekingenten-Style (ich glaub, da war Marille im Sud!) wurde mit Marillenstückchen, einer Paprika-Curry-Miso-Paste von Blub und einer Kräutertee(Ribisel, Jasmin und noch was)-Sauce serviert, die bleibt mir noch lang im Gedächtnis! Im Glas recht leichter Pinot Noir von Laisse tomber.
Als „Prädessert“ Zwetschgensorbet mit Zwetschgenkakigori, Streuseln, einer Essigzwetschge und gepufftem Reis.
Mein liebster Gang des Abends (für immer Dessertfan): „Preiselbeere & Schokolade“. Ein waffelartiger Ring mit Pu-Er-Tee und Muscovadozucker, gefüllt mit Schokomousse, Schokolade, Preiselbeeren, Preiselbeersorbet (war da Kombucha oder Essig oder so im Spiel?) und einem enorm cremigen Pu-Er-Eis (Kondensmilch? Milchpulver?).
Zuallerletzt dann was mit nicht-essbarer (naja, theoretisch) Deko: herausgebackene Klebreisdonuts mit einer Kaffirlimettenbuttercreme und Feigenblattstaub. Die Buttercreme fand ich zu kalt/fest und übertrieben buttrig (dass ich das mal sage!). Den Dessertwein aus sonnengetrockneten Trauben mochte ich gerne, meine Begleitung noch mehr, ihn erinnerte der an Fruchtzwerge, die Kellnerin schlug daraufhin Römerquelle Birne/Melisse als zweite Referenz vor, hihi.
Ein spannender Abend, mit 360€ p.p. inkl. Weinbegleitung, Wasser und Aperitif nicht ganz günstig. Der Service war sehr schnell unterwegs, grad, dass mir noch Zeit zum Sauce-Auftunken blieb, bevor der jeweilige Teller verschwand. Apropos Teller, in den meisten Fällen waren das eher Keramikskulpturen, alle ~organisch~ und in grau und weiß gehalten. Erste Besteckoption waren zwei metallene Stäbchen auf einer sehr hübschen Keramikablage, die mich an eine Zuckerlverpackung erinnerte. Ich stell mich leider mit Stäbchen immer noch sehr ungeschickt an (wie geht das eigentlich mit meinen dutzenden selbstgestrickten Pullis zusammen??!), für Leute wie mich gibt es eine Schublade mit Gabeln, Messern, Löffeln direkt im Tisch, an deren Ende sich auch eine schwarze Stoffserviette versteckte. Wo ich schon so viel von Besteck rede, kann ich auch noch die schönen scharfen Messer zum Kapaun erwähnen, sie sind, wie ich dem aend-Insta entnehme, von Florentine Kitchen Knives in Barcelona.
Das Ambiente fand ich trotz der Holztische/bänke irgendwie kühl (nicht im Wortsinne, das Thermometer zeigte 24°C), das lag aber wohl auch daran, dass nur die Hälfte der Tische besetzt war. Im Hintergrund lief Elektronisches, nicht minimalistisch, einmal glaube ich Bilderbuch in der Playlist erkannt zu haben. Lustig fand ich, dass offenbar alle Mitarbeiter_innen, abgesehen von Küchenchef Fabian Günzel (in beigen Sneakern, wenn ich mich recht erinnere?), in schwarz-weißen Vans herumliefen, dazu schwarze Uniform.