Anfang Oktober habe ich das PopChop Festival im Wiener Hotel am Brillantengrund besucht (s. Zuckersüß 435), dabei habe ich auch die Vorträge mitgeschnitten und abseits der Bühne mit Speaker_innen und Besucher_innen gesprochen. Herausgekommen sind 25 Minuten fürs Moment Kulinarium mit Ideen für eine nachhaltige(re) Ernährung der Zukunft.
Thomas Marquardt von Flora und Rauna macht aus Karotten, Kohlrabi und Rote Bete mithilfe von Koji vegane Charcuterie, die käsig, manchmal sogar fleischig schmecken kann – ganz ohne Tier. Was genau „Koji“, „Fermentation“ oder „Charcuterie“ genau sein soll, sei manchen Endkonsument_innen schwierig zu vermitteln, er beliefert zwei Geschäfte in Wien (Augora und Blvb) und sonst hauptsächlich die Spitzengastronomie (ich hab die Flora und Rauna-Koji-Karotten und -Kohlrabi z.B. im Sommer im JOLA gegessen). Mit manchen Restaurants arbeitet er direkt zusammen und verwandelt Lebensmittel, die dort übrigbleiben z.B. in Miso.
Johnny Drain, Materialwissenschaftler, MOLD-Herausgeber (Indie-Magazine, yay!) und Startup-Unternehmer hat in seinem Talk auf der PopChop-Bühne über gereifte Butter im Noma Nordic Food Lab (hier das superinteressante Projektblog dazu, inkl. viel marokkanischer Smen!), seine Beratung für das Zero-Waste-Restaurant SILO in London und die ethischen/ökologischen Problemen der Kakaoindustrie erzählt (tl;dw: Regenwaldrodung, Kinderarbeit, globale Oligopol-Konzern). Und er hat kakaofreie Schokolade aus seinen WNWN Food Labs mitgebracht, die unter den Besucher_innen sehr beliebt war. Ich hätte sie all zu gern probiert, leider war es eine Art Daim Bar, mit viel zu vielen Haselnüssen in der Füllung, als ich ohne Allergieanfall überstehen könnte…
Eleni Michael hat durchs Programm geführt, und ihre anthropologische Forschung über #kojibuildscommunity vorgestellt. Ihre Masterarbeit über menschliche und mikrobielle Kulturen um/als Japans „Nationalschimmel“ würde ich zu gerne lesen, sie bezieht sich dabei vor allem auf Donna Haraway und Anna Lowenhaupt Tsing. Deren The Mushroom at the End of the World lese ich zufälligerweise gerade, nachdem mir im September auf der Triennale in Mailand erst wieder ein Zitat daraus untergekommen ist.
Alexandra Liberda von Augora Fermente – sie war btw eine der Protagonist_innen in meiner „Guter Schimmel, schlechter Schimmel“-Sendung vom Oktober 2021 – hat auf der Popchop-Bühne von Fermentation als Mittel zur Müllvermeidung gesprochen und von einer witzigen Begegnung mit den Lebensmittelkontrollbehörden berichtet.
Und zuletzt hat Cathy Hutz, Gründerin des Hamburger Startups Mushlabs, ihre Idee für ein nachhaltiges Lebensmittel der Zukunft vorgestellt: Myzel. Das sind sozusagen die „Wurzeln“ von Pilzen, die in großen Tanks ohne Sonnenlicht, Erdboden oder Dünger wachsen können, und praktischerweise gleichzeitig Abfälle aus der Lebensmittelindustrie (Obstschalen, Kaffeesatz usw.) verwerten. In der EU ist das wegen der Novel-Foods-Verordnung noch gar nicht zugelassen und damit tatsächlich ein Produkt der Zukunft. Das Sandwich auf dem Foto ist mit Myzel-„Fleischbällchen“ gefüllt, jeder, der es kosten wollte, musste erst eine mehrseitige Einverständnis- und Verzichtserklärung unterschreiben, was für viel Belustigung sorgte.
Zum Weiterlesen:
- The Real Price of a Chocolate Bar: West Africa’s Rainforests – Yale Environment 360 (Fred Pearce)
- Aged Butter part 1: background and basics – Nordic Food Lab Archive (Johnny Drain)
- Michael, E. (2021). Regenerative Gastronomy in the Anthropocene. The Journal of Regenerative Theory and Practice, 37–45. https://www.livelyworlds.org/Journal-of-Regenerative-Theory-and-Practice_Lively-Worlds.pdf
Die Sendung ist noch bis kommenden Freitag hier nachzuhören, hier ist das mp3.
Zwischen selbstgemachtem Sauerkraut und kakaofreier Schokolade aus dem Labor. Ein Besuch auf dem „PopChop Festival“ für Esskultur in Wien
Im Oktober trafen sich auf dem „Popchop Festival“ in Wien Expert:innen aus Gastronomie und Forschung, um gemeinsam mit dem Publikum über die Zukunft der Esskultur nachzudenken. Nachhaltiger und ressourcenschonender soll sie sein, zur Frage, wie genau das umgesetzt werden könnte, gab es unterschiedliche Ideen. Das deutsche Biotech-Startup „Mushlabs“ züchtet und fermentiert Pilzmyzel und will damit eine Alternative zu Fleisch schaffen. Der britische Materialwissenschaftler und ehemalige Spitzenkoch Johnny Drain entwickelt mit seinem Team bei „WNWN Food Labs“ kakaofreie Schokolade, um die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen der Schokoladenindustrie umgehen zu können.
Ö1 Moment Kulinarium, 11.11.22, 15.30h (25 Minuten)
Alexandra Liberda will lokal an nachhaltigen Lebensmitteln arbeiten und bietet mit ihrem Fermentationsgeschäft und Restaurant „Augora“ in Wien-Mariahilf eine Anlaufstelle für Menschen, die sich mit dem Haltbarmachen beschäftigen. Und Thomas Marquardt stellt unter dem Namen „Flora & Rauna“ mithilfe von Koji-Schimmelkulturen aus Rüben „vegane Charcuterie“ her.