Ich denk, ich denk zu viel habe ich – glaube ich – in den Insta-Stories von Sophie Passmann (deren Alte weiße Männer ich im vorletzten Bücher-Post besprochen habe) entdeckt. Jedenfalls landete es sofort auf meiner Wunschliste und an Weihnachten letztlich unterm Christbaum.
Ich habe es noch an den Feiertagen durchgelesen, die Texte im Buch sind jeweils bloß ein paar Seiten lang, und außerdem locker und unterhaltsam geschrieben. Sie sind alle einzeln als Kolumnen erschienen, was auch ihr oft ähnliches Schema (psychologisches/kulturtheoretisches Konzept + persönlicher Zugang + Meme/popkulturelle Referenz) erklärt. Im ersten Kapitel „Workism“ geht es um das gleichnamige Konzept von Derek Thompson („Workism Is Making Americans Miserable“ – The Atlantic), Nina Kunz Erfahrungen damit und am Rande um Pulp-Platten:
„Workism beschreibt nämlich etwas, das mir schon länger Sorgen macht: Es ist der Glaube, dass Arbeit nicht mehr eine Notwendigkeit darstellt, sondern den Kern der eigenen Identität. […] Als ich den Text las, dachte ich nach jedem Satz: Oh, das mache ich auch. Denn genau wie Thompson es beschreibt, bin ich mit dem Ideal aufgewachsen, dass es ein zentrales Ziel im Leben sein soll, einen Job zu finden, der weniger Lohnarbeit ist als vielmehr Selbstverwirklichung. Darum wollte ich Journalistin werden, und darum habe ich heute keine Schreib-, sondern Lebenskrisen, wenn ich im Job versage“
Seite 16
Für mich und meine bubble sind die Essays thematisch (wohl) ziemlich ~relatable~, aber stellenweise fand ich die Analysen ganz schon kulturpessimistisch an der Grenze zu verbittert. Das ist mir besonders bei „Ich hasse dieses Internet“ aufgefallen, wo es z.B. heißt:
An ganz schlimmen Tagen gibt es auch das Phänomen des „Internet Voids“. Es gibt nämlich so einen dunklen Schlund im Internet, der sich ab und zu auftut, meist am Samstag, wenn du nichts zu tun hast. Dann beginnst du irgendwo und googelst etwas, das dich interessiert („Was passiert im Körper, wenn du einen Monat lang nichts trinkst?“), und dann landest du bei einer Tierdoku über die Schildkröten vo Galapagos – und über Kochrezepte für glutenfreie Bagels gelangst du zu allen Musikvideos, die auf YouTube je zu toten Legenden hochgeladen wurden, und während draußen die Sonne wieder aufgeht, liegst du erschöpft auf deinem Bett und fragst dich, ob Falco wirklich tot ist oder ob er sich irgendwo ein schönes Leben macht, wie es in diesem wirren Blog stand?
Seite 60
Das Internet ist ein gefräßiges Monster, das alle meine Lebensenergie verschlingt, was wasche ist, denn einst war die Grundstimmung hoffnungsvoll.“
Ich bin nicht ganz sicher, was ich von diesem Eindruck halten soll. Denn einerseits ähnelt mein Leben dem der Autorin in sehr vielen Aspekten: Mitte/Ende zwanzig, Studium, irgendwas-mit-Medien-Jobs, ~extremely online~. Fast alle der Referenzen sagen mir etwas bzw. habe ich viele der erwähnten Bücher ganz gelesen (z.B. Wenn Männer mir die Welt erklären von Rebecca Solnit, Untenrum frei von Margarete Stokowski oder Frauen und Macht von Mary Beard). Andererseits holt mich die Essaysammmlung weder ab (schreckliche Internet-Lingo, sry), noch ist sie so konträr zu meiner Sicht, dass ich mich wirklich dran abarbeiten könnte?
Nina Kunz: Ich denk, ich denk zu viel. Kein & Aber, 2021, 192 Seiten, 20,60€.