Tulus Lotrek, Fichtestraße 24, 10967 Berlin
Meine Begleitung und ich tranken bei unserer Ankunft auf der schönen Terrasse des Speiselokals erstmal einen Beruhigungs-Negroni (13€). Denn die Lokführer der Deutschen Bahn hatten einen 48-Stunden-Streik angekündigt und unseren Plan zerstört, Berlin erst am nächsten Morgen zu verlassen. Unser Wochenendgepäck hatten wir also am Hauptbahnhof deponiert, in der Hoffnung, es pünktlich um 18 Uhr ins Tulus Lotrek und im Anschluss auch noch in den letzten Zug nach Hamburg zu schaffen. Ich war deshalb wirklich furchtbar angespannt und nicht besonders fröhlich. Keine guten Voraussetzungen für eine Reservierung in so einem besonderen Restaurant.
Aber: Das Team in einem Restaurant wie dem Tulus Lotrek versteht ja was von seinem Handwerk und spätestens beim ersten Teller war ich wieder froh und vor allem vorfreudig auf das, was folgen sollte.
Als Amuse drei kleine Bissen: Als erstes probierte ich die Schweinskopfsülze in Sauerteigbröseln mit geräuchertem Lachs, Schnittlauch und Kren. Weiter mit knusprigen Nori-Röllchen gefüllt mit Hummer-Creme und einem Tupfer Zitruscurd (Limette? Zitrone?) und lustig zerplatzenden Fingerlimettenkügelchen. Und als drittes rosarotes Meringue (ohne Mandeln!), das auf Macaron tat. Zwischen den zwei pickigen Hälften war eine Emulsion mit Limette und grünem Pfeffer, eingelegter Rhabarber und knuspriges Brik. Das hielt ich erst für Hippen, aber eigentlich ist es nur die nordafrikanische Variante von Yufkateig und sollte mir insofern eigentlich von Bastilla, Briwat und so weiter ein Begriff sein?
An diesem Punkt hatten wir unsere (relative) Zeitnot tatsächlich völlig vergessen. Also entschieden wir uns fürs vegetarische Acht-Gänge-Menü (175€). Ich wollte mir keinen Rausch antrinken, also bestellte ich die alkoholfreie Begleitung (58€) dazu, mein Gegenüber die klassische Weinbegleitung (108€). (Spoiler: Wir tranken beide von beidem und ich war am Ende trotzdem angeschwipst…).
„n25 kaviar“ „spargel, roh mariniert“
Der erste Gang bestand aus Spargel, der seit der Saisonende in Molke eingelegt war, mit Haselnussvinaigrette und -milch, Kerbel, Vogelmiere, Frisée und roten Pfefferbeeren („wie Konfetti“, meinte der Service). Ich habe nichts davon probiert, und haselnuss-allergiebedingt stattdessen die Vorspeise aus dem omnivoren Menü bekommen: Gelierte Ochsenschwanzbrühe, Kaviar und Rote-Bete Sud. Als Deko zwei Kräuterarten, die mir überhaupt nicht geläufig waren: Bronzefenchel und Austernpflanze.
Mein Begleitgetränk sah verdächtig aus wie Rotwein. Aber es war eine Mischung aus Schattenmorellensaft, Verjus und Traubensaft, der die erdige Süße der Roten Bete wieder aufgriff.
Mir wurde es zu kalt, also setzten wir uns nach drinnen. Dort zeigte sich: Das wilde Dschungel-Muster, das die Visitenkarte und die Kleidung der Mitarbeiter_innen ziert, findet sich auch auf den Tapeten wieder.
Listàn Blanco und Sencha Yun „tartelette“
Für den nächsten Gang bekommen wir ein Glas „Artifice Listàn Blanco“ von der Insel Teneriffa und nur ganz leicht sprudeligen Sencha-Yun mit Blütenhonig eingeschenkt. Dazu kommen dann zwei kleine Tartelettes: Frittierter Waffelteig, gefüllt mit Ziegenkäsecreme, Erbsen in Basilikum-Wasabi-Marinade (den Geschmack vergess ich so schnell nicht wieder!) Yuzucreme und einem ganzen Strauß wilder Kräuter.
Gelber Muskateller und fast-Gin Tonic „versengter lauch“
Im folgenden alkoholfrei-Glas war quasi ein Gin-Tonic. Statt „richtigem“ Gin kam allerdings Siegfried Wonderleaf zum Einsatz und ein bisschen blumiges Douglasienöl war auch noch dabei. Aus dem Weinglas gab es Gelben Muskateller vom Weingut Wöhrle (2019).
Den nächsten Teller mochte ich sehr: Ein Stück Lauch, außen ganz angekokelt, innen noch ganz zart, aufgestellt in Lauchöl, mit süßer Zwiebelcreme und Karamellkäse, der vielleicht norwegischer Brunost gewesen sein könnte.
Brot und Butter schadet nie. Ersteres bestand aus Roggen-Weizen-Sauerteig und war locker-saftig und erstaunlich wenig salzig. Die Rohmilchbutter dafür schon.
Cornas und „Fanta Exotic“ Zitronenkefir „döner“
Der nächste Wein – 2001er Syrah von der Domaine Courbis in Cornas – wurde mit einer Anekdote gebracht: Der Sommerlier hatte während der Ausbildung mit ein paar Kolleg_innen Geld zusammengeworfen, um endlich mal einen Syrah von der Rhône zu trinken. Zum teuren Wein holten sie sich dann aber einen Döner (Berlin halt?), was so gut passte, dass zum Döner im Tulus Lotrek nur ein Getränk in Frage kam: Syrah von der Rhône. Und in der alkoholfreien Begleitung ein hausgemachtes „Fanta Exotic“, ein Wasserkefir mit Zitrone, der eher bitter als sauer und sehr prickelig war.
Der Minidöner aus dünnem, warmen Fladenbrot war mit Selleriewürfeln (im Ganzen gebacken, über Holzkohle gegrillt und in Butter geschwenkt) und superfein geschnittenem Salat gefüllt. Dazu gab es Chilisauce, Kräutersauce, Sumak und Zitrone. Klar mein Favorit des Abends, davon hätt ich gern einen Zweiten gegessen.
An dieser Stelle fiel uns wieder ein, dass wir ja um halb elf einen Zug erwischen mussten, was wir gleich dem Service erzählten, der von nun an sehr zackig servierte.
„blumenkohl, kimchi-berure blanc“
Weiter gings mit „funky“ Getränken. Einerseits Wein, zu dem ich mir nix aufgeschrieben habe (Pech!). Andererseits ein Whisky Soda ohne Alkohol. Der wurde irgendwie mithilfe von Essig aus dem Schnaps entfernt, wie genau das funktioniert, kann ich mir nicht vorstellen. Auf dem Teller war Blumenkohl „mit dem ganzen Gewürzschränkchen“ behandelt, in Kimchi-Beurre-Blanc, kühlen(den) gewürfelten Gurken und Melonen, schwarzem Sesam, Chili und Korianderöl.
„Es ist wie es ist“ und Tomatensaft mit Seedlip Spice „gnocchi“
Der nächste Wein mit dem klingenden Namen „Es ist wie es ist“, wurde vom Tim-Raue-Sommelier André Macionga gemeinsam mit Horst Sauer vom gleichnamigen Weingut entwickelt. Gemeinsam mit dem Fenchel vom zugehörigen Gericht beeindruckte mich der Geschmack der Cuvée sehr. Im alkoholfreien Glas war gelber Tomatensaft mit Rosmarinöl und Seedlip Spice, der zweiten 0-Promille-Spirituose des Abends. Mich erinnerte es irgendwie an Bloody Mary, aber sehr viel feiner und subtiler.
Dazu gab es luftige Gnocchi auf Tomatenwasser-Fenchelsamen-Nage (=Butter), mit gerösteten Pistazien, Mozarella, Basilikumöl und Bröseln. So beschrieben klingt das Ganze sehr schwer, doch das war es ganz und gar nicht, erstaunlich!
Zum ersten Dessert gab es tschechisch-bretonischen Apfelwein, „Cidronautes“ und Quittensaft mit Rosmarinöl. Im Porzellan-Schüsselchen: Wermut-Aprikosengelee, Thymian, Nussbuttereis und halbierte pochierte Aprikosen.
„haselnussnougateis“
Dann: Desserweit aus der Region Cerons, älter als ich, und gereiften Sake mit viel Holzaroma (Zeder und Kirsche, sagt der Sommelier). Im Menü steht Hasellnuss in sämtlichen Texturen (Eis, Creme, Karamellisiert etc – nichts davon habe ich probiert), in meiner Eisschale war Joghurteis auf Lemon Curd und Olivenöl, obenauf Meringue und Milchpulver. Die Kombi Zitrus-Olivenöl-Joghurt fand ich super, vielleicht mach ich auch mal was in die Richtung?
Mit den zwei Haribo-mäßigen sauren Himbeer-Gelee-Stückchen kam gleich die Rechnung (die höchste Zeche, die ich jemals zusammengebracht habe…), die ich flugs zahlte und schon waren wir aus der Tür im vom Restaurant gerufenen Taxi, das uns gerade rechtzeitig zum Hauptbahnhof brachte. Ich hatte wirklich sehr großen Spaß an diesem Abend: so gutes Essen (mit viel Neuem für mich!), interessante Getränke (zu denen ich mir mal wieder zu wenige Notizen gemacht habe) und so freundlicher, gechillter Service! Ich werde mich noch lange an das Tulus Lotrek erinnern.
Übrigens, bei Trois Etoiles gibt es auch einen Bericht aus dem Tulus Lotrek, inklusiver einiger Gerichte, die ich hier auch beschrieben habe.
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