Wie beim Glitzer-Heidesand angekündigt, war ich letzten Dezember zum ersten Mal überhaupt auf dem Chaos Communication Congress, und zwar zu seiner 35. Ausgabe. Nun ist fast ein ganzes Jahr vergangen und ich hatte meinen Rückblickspost immer noch nicht so weit fertig geschrieben, dass ich ihn veröffentlichen hätte können. Aber der 36c3 steht vor der Tür und deshalb habe ich mich doch nochmal mit diesem monströs langen Text beschäftigt. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass euch jetzt in der Vorweihnachtszeit fad wird: Klickt euch durch die Vorträge, die ich im Folgenden (inkl. Sketchnotes!) verlinkt habe, auf dem CCC kann eins wirklich interessantes lernen!
Ich habe keinen Vergleich zu irgendwelchen, offenbar viel „kuschligeren“ früheren Kongressen, doch ich war sehr angetan, als ich am Vorabend (= Tag 0) am riesigen Leipziger Messegelände aufschlug. Ohne warten zu müssen, tauschte ich mein Ticket in ein Armband, in das glitzernd das Kongressmotto „Refreshing Memories“ eingewoben ist und landete ein paar Meter weiter gleich in einer beeindruckenden Sound- und Licht-Installation. In den Messehallen wurden langsam die Assemblies, sozusagen die regionalen oder thematischen Gruppierungen rund um den CCC fertigdekoriert.
Im Zelt des Wiener Meta Lab, das zwar einen Kronleuchter, bequeme Sessel, Kaffee und Plätzchen bot, aber kein Dach hatte (Brandschutz!), bekam ich einen 3D-gedruckten, floureszierenden Namens-Ring für die obligatorische Mate (danke MacLemon!). Ich schlenderte über das Gelände und begegnete ausschließlich lächelnden Personen, und obwohl ich kaum jemanden kannte und noch nie vorher da gewesen bin, fühlte ich mich willkommen.
Verloren war ich schon mal nicht, aber das hatte ich ja im Vorhinein noch nicht gewusst und mich deshalb bei den Chaospatinnen angemeldet. Ich war recht überrascht, als sich herausstellte, dass erdgeist und Beata Hubrig (die den Talk Datenschutz für Neulandbürger hielt) die Mentor_innen meiner „Congress-Reisegruppe“ waren. Ich hatte nämlich erst im November ein Referat über Gesichtserkennung gehalten und mich darin auch auf eine CCC-Meldung bezogen – geschrieben von erdgeist! Jedenfalls traf ich mich mehrmals mit meinen Pat_innen und „Geschwistern“, um (Geheim-)Tipps zum Kongress zu bekommen – super Aktion!
Zweites Zuhause: Sendezentrum
Nicht nur im Zelt des C3W verbrachte ich öfter Zeit, auch im Sendezentrum konnte ich gut „andocken“. Das Einhornmaskottchen hat sich dort vermehrt und auch einen beleuchteten Flamingo gab es. Mein Favorit: das digitale Lagefeuer des Sendegartens, um das gefühlt durchgehend gepodcastet wurde.
EU-Außengrenzen und Überwachung
Entgegen sämtlicher Empfehlungen („die sind doch eh online!“) setzte ich mich natürlich schon am Tag 1 in einige Vorträge, zu allererst in „Frontex. Der europäische Grenzgeheimdienst“ von Matthias Monroy. Leider verlor ich vor lauter Akronymen schnell den Überblick, gesketchnotet habe ich trotzdem:
Wie Machine Learning funktioniert
Als nächstes hörte ich einen der „Foundation Talks“ im größten Saal. Teubi gab eine „Introduction to Deep Learning“ mit ziemlich coolen Folien. Leider war ich ziemlich schnell veloren, die verschiedenen Netzwerkarchitekturen gingen mir einfach zu schnell. Ich glaube, ich beginne einfach nochmal mit dem Machine Learning Guide Podcast…
Podcasting und Feminismus
Im Abendprogramm dann: Podcast und Feminismus, eine top-Kombi. Becci (aka @genderbeitrag), Miriam (aka @_noujoum) und Daniela (aka @die_horst) blickten zurück auf das Jahr 2018 und was sich in feministischer Sicht getan hat. Nachzuhören im Podcatcher eures Vertrauens oder im Webplayer von Reichlich Randale.
Bevor ich dann am späten Abend (Programm vom späten Vormittag bis zwei Uhr morgens, richtig cool!) Deprimierendes über Polizeigesetze hörte, musste ich mich unbedingt ausruhen. Leider habe ich nämlich keinen blinkenden Roller, fliegenden Paletten-Teppich oder rollenden Ohrensessel und musste immer zu Fuß gehen. Im Soulcharge-Bereich (keine Devices, keine Schuhe und leise sein) merkte ich erst, wie laut es überall war, und wie schön, dass irgendjemand daran gedacht hatte, einen Ort zum Entspannen zu schaffen.
Polizei mit immer mehr Befugnissen
Dann aber: Polizeigesetze. Marie Bröckling von netzpolitik.org hatte dort schon einige Artikel zum Thema veröffentlicht und außerdem auf der rp18 einen Talk zum bayrischen Polizeigesetz gehalten. Gemeinsam mit Constanze Kurz bot sie auf der größten Kongress-Bühne einen Überblick über weitere Bundesländer und warum diese Gesetze weg vom Rechtsstaat führen. Alles ziemlich deprimierend und dann konnte ich wegen der letzten Busverbindung nichtmal bis zum Schluss bleiben…
CCC-Jahresrückblick
In Tag 2 startete ich mit dem eeewig langen Jahresrückblick des CCC. Frank Rieger, nexus, Linus Neumann, Constanze Kurz und erdgeist hatten aber auch sehr viel zu Erzählen. Von Hausdurchsuchungen mit 3D-gedruckten Atombomben, Staatstrojanern, Geheimdienstskandalen und viel CYBER!1!!elf!. Die Privacy Week (und deren Engel, yay!) wurde auch erwähnt und viele andere Projekte chaosnaher Gruppen. Ziemlich coole Organisation!
Feministische Räume
Im Panel „Feminist Perspectives“, moderiert von Geraldine de Bastion, stellten Em O’Sullivan, Lena Mohr, Hong Phuc Dang und zwei Frauen vom französischen Reset-Kollektiv (deren Namen ich leider nicht weiß) ihre Projekte vor. In der offenen Fragerunde ging es viel um Räume und wie sie inklusiv(er) werden können, leider verlor sich das Ganze ob der Vielfalt der Panelist_innen ein bisschen.
UKW: Ein neues Podcast-Format von Tim Pritlove
Am nächsten Tag entschied ich mich wieder für einen Live-Podcast als Abendprogramm. Für die Pilotfolge des Unsere Kleine Welt-Podcast von Tim Pritlove mit Minkorrekt-Machern Reinhard Remfort und Nicolas Wöhrl als Gäste bekam ich nichtmal mehr einen Sitzplatz – guter Start, wie es aussieht! Im Stehen ohne Tisch sketchnoten geht aber auch nicht, aber immerhin war am Fußboden noch Platz. Es ging ums Podcasten, Lampenfieber, Wissenschaftskommunikation, Aktivismus und noch allerlei anderes. UKW001 Schalke ist durchgeimpft hier anhören und abonnieren (und mich in der Support-Beteiligten-Liste finden :o).
Film: All Creatures Welcome
Im Spätprogramm (ich finde es wirklich großartig, um halb eins noch ins „Kino“ gehen zu können) lief noch All Creatures Welcome. Filmemacherin Sandra Trostel hatte dafür bei vergangenen CCC-Events Rohmaterial gesammelt und daraus eine Doku zusammengestellt, bei der man ihr als Figur „FilmGizmo“ computerspiel-artig durch die Welt des Chaos Computer Clubs folgen kann. Das Besondere: der Film ist nicht nur CC-BY-NC-SA lizensiert, sodass er frei verfügbar im Internet zu streamen ist, sondern auch das Rohmaterial wird online gestellt. Das aufzubereiten, muss wahnsinnig viel Arbeit gewesen sein, denn der Congress (und der CCC allgemein) hat sehr strikte Privatsphäre-Regeln: Nur dann fotografieren/filmen, wenn alle sichtbaren Menschen einverstanden sind. Und bei mehr als 15000 Besucher_innen ist es ziemlich schwierig, jede_n im Bild zu fragen. Das ist auch der Grund, warum in diesem Blogpost nur so wenige Fotos auftauchen.
Der Film versteckt unglaublich viele Eastereggs und Inside Jokes, wie ich neben Teilen des C3W sitzend bemerkte. Aber auch wenn man keinen blassen Schimmer von den leicht sonderbaren Traditionen dieses Vereins hat, ist die Doku sehr schön und hofnungsvoll utopisch.
Kommerzielle Online-Überwachung ist unser aller Problem
Der zweite Grundlagen-Vortrag zeigte, dass ich wohl eher Pech mit diesem Format gehabt habe. Bei Machine Learning war das Niveau viel zu hoch für mich, bei Katharina Nocuns und Lettys „Archäologischen Studien im Datenmüll“ dagegen erfuhr ich kaum Neues. Trotzdem war die Idee hinter diesem Talk – Amazon einfach mal ein paar Monate lang exzessiv Daten sammeln lassen und anschließend auswerten – sehr cool.
Ein selbstgebautes Smartphone
Diesen Talk wollte ich unbedingt sehen, denn ein selbstgebautes Smartphone (!) finde ich ziemlich spannend. Wobei ich mir sehr sicher bin, dass ich auf den Komfort eines (jetzt gerade noch) aktuellen Highend-Telefons nicht verzichten mag. Bücherratten, ihren „echten“ Namen hat die Bastlerin nicht verraten, steht dazu ganz anders, in ihren Augen haben konventionelle Smartphones nur Anti-Features: Tracking, kaum Kontrolle, nix dabei zu lernen und gar nix zum Basteln. Und so entstand ein RaspberryPI-Butterbrotdosen-Smartphone:
Falls ihr übrigens mal sehen wollt, wie eines meiner Sketchnotes entsteht, hier ist ein Time-Lapse-Video davon:
Problematischer Bias in Algorithmen
Zurück zu deprimierenderen Themen: In „Bei gleicher Qualifikation werden Männer bevorzugt“ erklärte Pascoda (übrigens in Folge 12 meines Podcasts zu Gast!), warum das neue algorithmische Auswahlsystem des österreichischen Arbeitsmarktservice so problematisch ist.
Laberpodcast spätabends
Wir müssen reden gehört zu meinen liebsten Laberpodcasts. Michael Seemann und Max von Webel reden meistens stundenlang, und wenn eins mal aussteigt ists auch nicht so schlimm, das nächste Thema kommt bestimmt. Anders als sonst, wo Wmr für mich als Einschlaf-, Staubsaug- oder anderweitig lückenhaft konsumierter Podcast herhalten muss, passte ich bei der Livesendung im Sendezentrum gut auf, um zu sketchnoten. Und lange war ich nicht mehr so Podcaststimmen-vs.-IRL-verwirrt wie bei Max von Webel, der online ja nur mit Katzenaugen-Profilbild unterwegs ist und von dem ich deshalb kein Bild im Kopf hatte. Die Gästinnen, gleich vier auf einmal – Nele Heise, Sina Kamala Kaufmann, Michaela Lehr und Kelda Niemayer – kannte ich auch nicht alle, und ihre Projekte (das Otherwise Network, Podcasterinnen.org und ein Buch, das ich in diesem Post besprochen habe) werde ich sicherlich weiterverfolgen. WMR135 Live com #35c3 gibts hier nachzuhören (und im Podcatcher, obviously).
Schreibworkshop
Am letzten Tag besuchte ich noch einen Schreibworkshop des französischen le_RESET-Kollektivs (s. Talk zu Feminist Perspectives). Mein Team brachte es story-technisch nicht besonders weit, aber das Tool, das wir zur Umsetzung verwenden sollten, will ich mir unbedingt merken. Mit Twine kann eins interaktive, non-lineare Geschichten erzählen.
Waffeln! Und Kekse!
Beim WOC (Waffle Operation Center) eine Anspielung auf das VOC (Video Operation Center) musste ich bestimmt vier Mal vorbeilaufen, bis ich zum ersten Mal Waffeln bekam. Diese sollten mich aber in den vier Kongresstagen über das überteuerte und sehr Junk-Food-lastige Messe-Essen hinwegtrösten. Zum nächsten Kongress komme ich mit gut vorbereitetem Lunchpaket!
Teebeutel hatte ich eine Handvoll im Rucksack, und nachdem ich mir eine 35c3-Tasse geholt hatte, konnte ich mir in den vielen Kaffeeküchen etwas heißes Wasser erschnorren. La Quadrature du Net, eine französische NGO für digitale Bürgerrechte, hatte zwar ein supersympathisches Teehaus-Zelt, ich schaffte es aber leider nicht, mich einmal dorthin zu setzen.
Stricknerds
Aber ich saß einige Zeit beim Strick-Meetup. Was war ich beeindruckt von den Strickerinnen (Geschlechterverhältnis sehr unausgewogen, leider) um mich herum! So viel Expertise, so viel Nerderei zum selber Wolle färben, Fäden spinnen, Spindeln 3D-drucken und natürlich Stricken selbst. Sehr faszinierend!
Gästin bei „The InSnider – Das erste Mal Congress“
Am letzten Tag setzte ich mich noch an den Sendetisch des Sendezentrums, wo MacSnider mit Kongress-Neulingen wie mir und einem „CCC-Veteranen“ über unsere Erfahrungen am 35c3 gesprochen hat. „TIS045 – Mein erstes Mal Congress #35c3 Edition“ anzuhören hier oder im Podcatcher.
Tl;dr: Ich war ziemlich überwältigt von dieser großartigen Veranstaltung und der ganz besonderen Stimmung dort. Ich hoffe, ich kann bald (nächstes Jahr?) mal wieder hingehen!
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