Dieser Post wurde ewig nicht fertig, aber weil ich bestimmt nicht mehr viel weiterschreiben würde, veröffentliche ihn jetzt mal. Er ist quasi ein fünfter Teil meiner Rundbriefe, die ich während meines Freiwilligenddienstes 2014/15 geschrieben habe und damit im Stil ein bisschen anders als gewöhnliche Blogposts: Wer die vorherigen Rundbriefe gelesen hat, wird sicher ein paar Bezüge darauf entdecken. Dazu passt übrigens auch die zweite Episode meines Podcasts, die ich mit einem Freund aufgezeichnet habe: LP002 In Rabat mit Mahdi El Idrissi und Episode 276 des Biertaucher Podcasts, in dem ich von meinem ersten 3id lkbir erzähle.
Ziemlich genau ein Jahr, nachdem ich aus Rabat weggezogen bin, war ich Anfang September 2016 endlich wieder dort.
Nicht nur wegen meiner freiwilligen Beschränkung auf neun Kilo Handgepäck für zwei Wochen war diese Reise so ganz anders als die, die ich im Juli 2014 angetreten hatte. Ich wusste wirklich nicht, auf was ich mich einlassen würde, wieder in „meine Stadt“ Rabat zurückzukehren.
Bis ich überhaupt dort war, musste ich mich allerdings erst mit Marrakech, das ich ja *soo* gern habe, rumschlagen. Aus Süddeutschland/Österreich sind nämlich keine Direktflüge nach Rabat oder wenigstens Casablanca zu finden, weshalb ich mich mit einem klassischen Ferienflieger begnügen musste. Als ich voller hibbeliger Vorfreude endlich aus dem Flugzeug stieg, traf mich zu allererst einmal die Gluthitze der „roten Stadt“. Ich spurtete so schnell wie möglich und bald durchgeschwitzt durch die Passkontrolle und schnappte mir den erstbesten Taxifahrer, der natürlich nicht mit sich verhandeln ließ und satte 100 Dirham für eine 15-minütige Fahrt verlangte. Aber egal, denn ich wollte uuuunbedingt einen Zug in meine Stadt – nach Rabat – erwischen, was ich glücklicherweise auch schaffte.
Die paar Leute, mit denen ich in der Zwischenzeit redete – Flughafen-Infoschalter-Mensch, Taxifahrer, Handyguthaben-Aufladerin (das ist tatsächlich ein Beruf!) und Zugticketverkäufer fanden meine Sprache überaus lustig, verstanden mein Darija aber allesamt. Ich war nicht Lost in Translation! Die erste der befürchteten Gefahren, die ich auch im Juli 2014 hatte, war also gebannt.
Wie anders es in Marokko war, merkte ich auch wieder während meiner Zugfahrt. Ich hatte mich über einen Sitzplatz im überfüllten Abteil gefreut, doch schnell wurde mir klar, warum dieser leer gewesen war: Die Dichtung der Fensterscheibe fehlte! Es staubte deshalb permanent Wüstensand oder anderer Dreck auf mich – man stelle sich vor, sowas passiert in Mitteleuropa, das Abteil würde bestimmt gleich geräumt. Auch meine Mitfahrer_innen waren weitaus gesprächiger und vielleicht (?) auch skuriler, als ich es von deutschen/österreichischen Fernzügen gewohnt bin. Während der gut viereinhalb Stunden Fahrt wollte mir jemand meine Schuhe abschwätzen („Die sind ja so schön!“ – „Danke“ – „Gibst du mir sie?“ – „Nein, ich hab nur die dabei“ – „Ach bitte, sie sind so schön“ usw.), zum Islam konvertieren („Warum verstehst du Arabisch? Bist du Muslima?“ – „Nein“ – „Warum?“ – „Naja, so halt“ – „Ok, du kannst arabisch, sprich mir nach *beginnt islamisches Glaubensbekenntnis aufzusagen*“ usw.). Das Einzige, was erstaunlicherweise fehlte, waren sexuelle Belästigungen, denen ich sonst so schwer entfliehen konnte.
Kaum aus dem Bahnhofsgebäude hinaus, unterwegs mit meinen beiden ehemaligen und immer noch blonden Mitbewohnerinnen auf der Avenue Mohammed V, änderte sich dies schlagartig, das „pss, pss“, „ca va, mademoiselle?“ und „zouina, ghazala“ war wieder allgegenwärtig und zwar bis ich das Flugzeug nach Hause betrat.
Eine Zeit lang konnte ich gut über das Catcalling hinwegsehen, ich freute mich und freute mich. Über die Orte, die ich wiedersah, teilweise ganz so wie ich sie in Erinnerung hatte, teilweise ganz anders, über die Geräusche, die ich fast vergessen hatte (Darija, Mofas, Marktschreier, Gebetsrufe – alles auch im Podcast) und am allermeisten über die Menschen, die ich wiedertraf.
Aber: Freunde und Bekannte aus fast 14 Monaten in nur 14 Tagen wiedersehen ist ganz und gar unmöglich. Bevor ich wieder daheim war, beschloss ich, bald wieder eine Reise nach Marokko zu machen.
Die Fondation Orient-Occident, meine ehemalige Arbeitsstelle stand noch immer in Yacoub Al Mansour, nur sah dieses Viertel mittlerweile ganz anders aus. Die sandige Baustelle, die monatelag neben der FOO bestand, war nun einem schönen Park mit vielen Sitzbänken gewichen. Die breiten, unübersichtlichen Straßen waren jetzt weitläufige Avenues mit neuen Gehsteigen und goldenen Straßenlaternen. Es gibt sogar Verkehrsinseln, die das Überqueren erleichtern!
Ich traf meine Nachfolger_innen im Freiwilligendienst und die Mitarbeiter_innen von Migrants du Monde, die so viele tolle neue Modelle im Sortiment haben, dass ich am liebsten alles einkaufen wollte. Ging natürlich nicht, sie produzieren immer noch nach Maß und außerdem reiste ich ja mit Superleichtgepäck. Lustigerweise traf ich auf dem FOO-Gelände auch noch eine österreichische Journalistin, die an einem Beitrag für Ö1 arbeitete – sobald ich den einmal in den Untiefen der Mediathek auftue, verlinke ich darauf.
Zum Arbeiten war ich nicht nach Marokko zurückgekommen, deshalb sah ich ziemlich schnell Qamra, den schrecklichen Busbahnhof von innen. Gemeinsam mit meinen zwei Ex-Mitbewohnerinnen und einer marokkanischen Freundin wollte ich eigentlich nach Essaouira reisen. Planung funktioniert bei Busreisen leider nicht immer so richtig – wir bekamen keine Tickets mehr. Gefühlt zwanzig Ticketverkäufer stürzten sich auf uns und wollten uns alle möglichen Destinationen andrehen, wir entschieden uns für „Norden“ und dann spontan für Chefchaouen. Praktischerweise sollte der Bus planmäßig in weniger als einer Stunde losfahren (tatsächlich war es selbstverständlich mehr, aber hey, immerhin los!), sodass wir am frühen Nachmittag in der blauen Stadt ankommen sollten. Tja. Falsch gedacht, denn wir landeten in Tetouan. Sämtliche Beschwerden, dass wir ja ein Ticket nach Chefchaouen gekauft hätten, brachten uns keinen Meter weiter an unser (zweit-)ursprüngliches Ziel, weshalb wir uns am Busbahnhof von Tetouan nach weiteren Optionen umsahen.
Vor dem Ausgang wartete gerade ein Grand Taxi nach Martil, spontan stiegen wir ein und landeten zwanzig Minuten später am Mittelmeer. Auf Empfehlung des Taxifahrers aßen wir in einem Meeresfrüchte-Snack und erkundigten uns beim Kellner nach Übernachtungsmöglichkeiten. Mit Spontanität und Glück kommt man auf solchen Reisen richtig weit – wir dann nämlich in ein Appartement mit Meerblick für 200 DH/Nacht (zu viert!). Der günstige Preis hatte maßgeblich damit zu tun, dass die Sommerferiensaison fast am Ende war und das 3id l kbir (später dazu mehr) vor der Tür stand. Uns sollte es recht sein!
Martil bot letztendlich nicht viel zu besichtigen und tun als im Meer baden, sich sonnen, frische sfinch (Donuts) am Strand essen und an der Promenade entlangflanieren. Aber es gibt ja Grand Taxis, mit denen wir weiter herum kamen. Beispielsweise nach Akchor. Den großen Wasserfall dort hatte ich schon im April 2015 besucht, diesmal begnügten wir uns mit dem kleinen, da uns die hohen Septembertemperaturen nicht zu einer 4-5-stündigen Wanderung motivierten. Der kleine Wasserfall war aber auch richtig schön und die Cafés am Weges- bzw. Wasserrand auch sympathisch. Und was für ein Glück, das wir diesen Weg genommen hatten – ich traf nämlich komplett zufällig und aus heiterem Himmel eine Bekannte dort!
Am nächsten Tag starteten wir einen Ausflug nach Chefchaouen. Genau informiert hatten wir uns nicht (Spontanität FTW!) und dachten, dass wir für unsere 60DH recht schnell dort ankommen würden, doch die Grand Taxi-Fahrt dauerte fast zwei Stunden. In Chefchaouen spazierten wir durch die steilen Gassen und staunten über die vollständig blau getünchten Wände. Teilweise waren sogar die Böden angemalt!
In Einkaufslaune verhandelten wir uns unseren Weg durch die Medina und aßen auf dem großen Platz zu Mittag. Dort „erfand“ ich mein neues marokkanisches Lieblingsgericht: Tajine b lkhodra ou tafaya, also eine vegetarische Gemüsetajine mit Tafaya (geschmorten Zwiebeln mit Zimt und Rosinen), das man gewöhnlich über Couscous gibt.
Auf dem ebenso langen Rückweg legten wir einen Zwischenstopp in Tetouan ein. Die Stadt gehört zu meinen architektonischen Lieblingen und war, obwohl im Zentrum voller Menschenmassen, im goldenen Abendlicht einfach wunderschön.
Der kleine, unscheinbare Laden für Minidonuts und anderes Fettgebackenes, den ich irgendwann mal zufällig entdeckt hatte (in der Straße des Instituto Cervantes, für alle, die ihn auch gerne finden würden) existierte immer noch und hatte immer noch keinen Zucker im Sortiment, weshalb ich mir bei den Nachbar-Hanuts welchen erfragen musste.
Unsere Rückreise traten wir am Vortag des 3id lkbir an. Ich hatte mit hohem Passagier- und Verkehrsaufkommen gerechnet (wie kurz vor Weihnachten bei uns daheim), doch die ganzen Schafen und Ziegen auf den Straßen und am Busbahnhof fand ich schon bemerkenswert. Wenn ich mich nicht verzählt habe, fuhren im Gepäckraum unseres Busses gleich drei Tiere mit! Im Laufe des Tages wurde das bevorstehende Fest immer spürbarer – noch mehr Schafe überall (mitten in Rabat!) und gegen Abend enorm viele Leute, die die letzten Einkäufe für die Festtage tätigten.
Am 12. September, dem Tag des 3id, wurde ich vom Gebetsruf geweckt, der ganz anders war, als das, was normalerweise vom Minarett schallt: Nur zwei verschiedene Verse, dafür vielstimmig über eine halbe Stunde lang wiederholt. Ich war für das Fest bei einer marokkanischen Freundin eingeladen, was mich sehr freute, denn zu wichtigen Familienfesten (vgl. Weihnachten) wird man als Fremde_r eigentlich nicht soo schnell eingeladen.
Der wichtigste und für mich gleichzeitig interessanteste Punkt stand noch bevor: Das Schaf der Familie sollte geschlachtet werden. Am späten Vormitag bereiteten sich die beiden Männer der Familie (Vater und ältester Sohn) auf diese wichtige Aufgabe vor, indem sie ihre Festtagskleidung auszogen und das Schaf aus dem Fahrradgatter holten, das zwischenzeitlich zum Stall für die Opfertiere des gesamten Gebäudes umfunktioniert worden war.
Dann ging es ziemlich schnell, einer hielt das Schaf, der andere schnitt ihm die Kehle durch. Ich habe noch nie vorher zugesehen, wie ein Säugetier getötet wurde (Fische ja, Fliegen und Käferl sowieso, aber das ist schon etwas anderes!) und wurde dann auch noch um Hilfe gebeten! Ein komisches Gefühl ist es schon, das vor einigen Augnblicken noch quicklebendige Tier festzuhalten, während es vom Türrahmen baumelt und ihm das Fell abgezogen wird.
Im Nachhinein bin ich allerdings ziemlich froh, einmal eine Schlachtung gesehen zu haben, denn die „Produktion“ von Fleisch ist so weit weg von mir, obwohl ich mich durchaus überdurchschnittlich viel mit Essen beschäftige. Meinen Vegetarismus, den ich seit Anfang des Jahres durchziehe, habe ich für ein paar Tage ausgesetzt, denn unser Schaf war wirklich nicht aus Massentierhaltung und wurde von vorne bis hinten verwendet. Außerdem wäre es schon ziemlich unhöflich, überhaupt nichts zu essen.
Das Erste was es gab, waren jedoch die Innereien als Tajine mit grünen Oliven und eingelegten Zitronen. Leider nur Zutaten, die ich nicht besonders gerne mag, sodass ich mein Brot nur ganz vorsichtig in den Sud tunkte, während meine Gastgeberfamilie begeistert vom ersten Festtagsgericht war. Im Laufe des Tage wurde das Schaf weiter zerlegt und verarbeitet. Es folgten gegrillte Leber (mochte ich nicht) und Herz (das einzige, was mir so richtig schmeckte) mit Salz, Kumin und Brot. Gemüse wäre mal wieder nett gewesen, doch es ging weiter mit Tajine (immerhin ein paar Zwiebeln und superleckere karamellisierte Pflaumen!), dem Hirn (wollte ich nicht probieren) und mehr Gegrilltem.
Gegrillt wurde übrigens im Treppenhaus und zwar von mehreren Parteien, sodass man irgendwann nur mehr durch Rauchschwaden auf die andere Seite der Wohnung blicken konnte. Ansonsten war das 3id l kbir aber ganz ähnlich den Feiertagen, die ich in meiner Familie gewöhnt bin: Verwandte sehen/besuchen, viel zu viel essen und auf dem Sofa sitzen und Fernsehschauen.
Am Folgeabend wollten wir Europäerinnen unserer Gastgeberfamilie, die satte zwei Tage mit dem Schaf in der Küche verbracht hatte, Arbeit abnehmen und für das Abendessen sorgen. So einfach war das nicht, denn noch immer hatten praktisch alle Geschäfte geschlossen. Wir konnten letztendlich doch ein paar Nudeln auftreiben und kochten dazu eine Tomatensauce. Nach so viel Fleisch mit Brot eine wohltuende Abwechslung!
Später in meinem Urlaub hatte ich endlich Gelegenheit, wieder ein bisschen durch Rabat zu spazieren und die vielen Neuerungen an den Hauptstraßen und Grünanlagen zu sehen. Ich war beim Mausoleum und Hassanturm, der endlich sein Renovierungsgerüst los ist, in der Oudaya und auf der Jagd nach neuen Streetart-Kunstwerken. Außerdem leistete ich mir eine Shoppingtour in der Medina, wie ich es während meines ganzen Jahres dort nicht getan habe. Verhandeln kann ich noch!
Für je einen Tag war ich dann noch in Khmisset (eine sehr uninteressante Stadt, wenn ihr mich fragt) und Meknes. Dort war ich im Museum am großen Platz, das sehr staubige Exponate beherbergte, aber architektonisch so schön ist, dass es sich schon lohnt, 20DH Eintritt dafür zu bezahlen. Der große Platz selbst ist gut zum herumschlendern und beobachten: Schlangenbeschwörer, Luftballonverkäufer, asiatische Tourist_innen mit Selfiesticks und rosarote Kutschen.
Was sich auch wieder gelohnt hat war der Besuch in zwei Lieblingsrestaurants – dem Les Epices in Agdal, wo ich westafrikanisch aß, und dem Dar Naji am Bab l Had, das traditionelle Hausmannskost serviert (Rfissa!). In meiner Ex-Sprachschule traf ich meine liebe ehemalige Darija- und Fusha-Lehrerin wieder und kam mit wunderschönem Henna wieder zurück.
So lange wie ich auf meinen Rückkehrbesuch in Marokko gewartet hatte, so schnell ging er leider auch wieder vorbei. Und was ich von meinen zwei Wochen dort halten soll, weiß ich erst recht nicht. Rabat fühlt sich noch an wie „meine Stadt“, aber aufgerechnet war ich nicht mehr als 15 Monate in Marokko. Das ist nicht besonders lange, nicht genug, um ein Land wirklich zu kennen.
Deshalb: Fortsetzung folgt!
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