Für meine Radiosendung über Karotten (heute um 15.30h auf Ö1!) war ich im August bei einer Terroir-Karotten-Verkostung in der Gastwirtschaft Floh in Langenlebarn (NÖ). Die war mindestens so verrückt wie interessant, denn das Team des Koch.Campus (Koch/Gemüseexperte Johann Reisinger, Biolandwirt Robert Brodnjak, Artenvielfaltsbewahrer Klaus Brugger und „Hausherr“ Josef Floh) hatte sehr viel über das Wurzelgemüse zu erzählen.
Ziel des Workshops war es, den Einfluss des Terroirs, d.h. Boden und Mikroklima, auf den Geschmack einer einzigen Karottensorte zu erschmecken und zu beschreiben. Dafür wurden auf sechs Feldern gleichzeitig dieselbe Karottensorte, „Milan“, ausgesät, am gleichen Tag geerntet und vom Koch.Campus-Team in sechs verschiedenen Varianten zubereitet.
Karotte 6×6×6
Dass gerade ich zu einer Karottenverkostung ging, wo ich kreuzallergiebedingt nichtmal rohe Karotten essen kann, war ein bisschen doof, hinderte mich aber nicht völlig am Mitmachen. Die ganze Karotte zu Beginn schlug ich aus, probierte aber den dazu servierten „Tee“ aus Karottengrün. Der schmeckte ziemlich genau so wie man sich ihn vorstellt: kräuterig-grün und ein bisschen nach Karotte.
Runde 1: roher Karottensaft Runde 2: reduzierter Karottensaft
Im ersten Verkostungsflight gab es frisch gepressten rohen Karottensaft. Auch hier konnte ich nicht kosten, aber allein Geruch (blumig, erdig, zitronig!) und Farbe verrieten, dass Karotte eben nicht einfach Karotte ist. In Runde zwei war der Saft erhitzt und reduziert, sodass ich ein paar Schlückchen davon trank. Zur Freude, dass die Allergene durch die Hitze offenbbar ausreichend eliminiert waren, kam die Überraschung des absolut unterschiedlichen Geschmacks. Während Saft Nummer eins (vom Lerchenhof) fruchtig-blumig schmeckte, war der von Standort vier (Kleine Farm) leicht säuerlich und der von Standort fünf (City Farm) geradezu bitter.
Maillard-Sud gedämpfte Karotten
Der folgende Maillard-Sud, der später auch im Dessert vorkommen sollte, faszinierte mich sehr. Dafür wurden die Schalen langsam in Öl geröstet, sodass ihre karamelligen Noten zum Vorschein kamen. Alle sechs Varianten schmeckten sahning-karamellig, teilweise mit kräuterigen oder bitteren Noten.
Die gedämpften Karotten in Flight vier sahen zwar ein bisschen aus wie langweiliges Baby-Püree aus dem Gläschen, stellten sich aber natürlich als weitaus komplexer heraus. Nummer eins erinnerte mich an Suppengemüse, so als wären Petersilienwurzel und Sellerie gleich mitgekocht worden, Nummer drei (vom Jaklhof) war am süßesten von allen und ein starker Kontrast zu Nummer sechs (vom Krautwerk), das sehr kräuterig und leicht sauer schmeckte.
Pressrückstände getrocknet Schalen von der Maillard-Röstung
Man könnte meinen, die getrockneten Pressrückstände wären eher fad, da ihr ganzer Geschmack ja schon in den Säften der ersten beiden Runden steckt, das war aber nicht (immer) so. Mich erinnerte Nummer eins zum Beispiel an Handcreme, was dank meinem Tischnachbarn Marten Rolff nun in der SZ verewigt ist (wenn auch bezogen auf den Saft, aber egal):
Die Teilnehmer an den Tischen ringen um Attribute, die über süß, bitter, erdig, fruchtig oder würzig hinausgehen. „Darf man karottig schreiben?“ – „Der Saft hier riecht wie meine Handcreme!“, sagt eine Gastrokollegin des ORF etwas ratlos. „Notieren Sie das! Und die Marke gleich dazu! Alles ist wichtig!“, ruft Johann Reisinger.
– „Welche Wirkung haben Boden und Klima auf das Karotten-Aroma?“ – Süddeutsche Zeitung
Den Geschmack der gerösteten Maillard-Schalen entsprach quasi dem des entsprechenden Suds: karamellig, sahnig, teilweise auch ein bisschen holzig.
Super interessant das alles! Für den Fall, dass ihr euch komplett ins Thema hineinnerden wollt: Stevan Paul hat ebenfalls über das Event geschrieben und es gibt auch mehrere IGTV-Videos zum Thema.
Ein Karotten-Menü
Zum Abschluss gabs für alle Teilnehmer_innen noch ein Menü von Josef Floh, Johann Reisinger und Team, bei dem die Karotte wieder eine maßgebliche Rolle spielte. Leider war ich wegen des vielen Radio-Machens und Karotten-Beschreibungen-Findens am Vormittag nicht mehr besonders konzentriert, sodass meine Notizen zu den Gerichten weit weniger ausführlich sind als ich sie gerne hätte.
Normalerweise poste ich in diesem Blog ausschließlich *meinen* Content, aber die Fotos, die der Koch.Campus zur Verfügung gestellt hat, sind doch weitaus schöner als meine Smartphone-Schnappschüsse, für die ich wegen Mikrofonangel und Aufnahmeequipment meistens nicht mal die Hände frei hatte…
Als der erste Gang serviert wurde, stand ich noch interviewend im Innenhof. Ich bin aber sehr froh, dass ich kurz nachträglich auch noch einen Teller davon bekommen habe, denn die Bio-Berg-Forelle allein war schon wahnsinnig gut.
Im zweiten Gang war die Karotte, von einer Köchin namens Ethel fermentiert (Josef Floh erzählte, wie er sie um ein Glas davon angefleht hatte, leider erinnere ich mich nicht mehr an den Rest der Geschichte), mehr Würzmittel denn Hauptdarsteller. Der Quinoasalat mit spannendem Grünzeug (war das Queller oder so?) ruhte auf einer Karottencreme, die mich an Mayo erinnerte.
Wilder Karfiol mit Pfrisich & Butter-Karotte ©Koch.Campus – Helge Kirchberger Cold Brew Karotte & Molkeschwein ©Koch.Campus – Helge Kirchberger
Beim dritten Gang standen im Ganzen geschmorte Karotten und wilder Karfiol, der mehr wie lang gewachsener Brokkoli aussah, im Mittelpunkt. Dazu gabs eine fruchtig-saure, erstaunlich samtige Pfirsichsauce und gewürfelte Pfirsiche.
Ich fand es sehr gut, mit wie wenig Fleisch dieses Menü auskam: Eine millimeterdünne Scheibe Leber vom Molkeschwein auf dem vorletzten Teller, ansonsten quasi vegetarisch. Auch hier gabs Karotten im Ganzen, allerdings knackig gedünstet (wenn ich mich richtig erinnere, jedenfalls) und auf einer Cold-Brew-Karottensauce. Dazu sehr fasriges Grünzeug, das mich an Kohlrabi erinnert hat (vielleicht warens aber auch die Blätter vom wilden Karfiol?) und zum Würzen geriebene, geräucherte Salzkarotte.
Milcheis und Karotten-Karamell ©Koch.Campus – Helge Kirchberger Noch nicht ganz so geschmolzen wie auf dem „offiziellen“ Foto – mein Smartphone-Schnappschuss vom Dessert
Und dann eine Karottennachspeise: „Milcheis mit Karotten-Karamell“ beschreibt sie in meinen Augen nur ungenügend. Denn das Eis wurde mit dem karamellig-süßen Maillard-Sud und dem Pulver aus den Schalen davon serviert, außerdem gabs eine „Terroir“-Hippe dazu. Ich glaube, auch den Abrieb der geschmorten eingesalzenen Karotte, der auch beim Fleisch dabei war, geschmeckt zu haben – jedenfalls kamen mir einige Löffel des Desserts wie gesalzenes Karamell vor.
Johann Reisinger erzählte mir später im Interview, dass es ihm ein großes Anliegen war, den Boden, der für gutes Gemüse das allerwichtigste sei, auch im Menü unterzubringen. Deshalb verrührte er Erde von den sechs Anbauorten der Milan-Karotte mit Wasser, Flohsamenmehl, Eiweiß und Honig und machte kurzerhand „Eiswaffeln“ daraus. Die knirschte schon ziemlich stark zwischen den Zähnen, aber sorgte auf jeden Fall für einen Überraschungsmoment im Menü.
Nachgebaut: Milcheis mit Karottenkaramell
Beim Menü hat es mir das Dessert mal wieder besonders angetan. Einem meiner Tischnachbarn ging es nicht anders, und er fragte nach dem Eisrezept, dessen Zutatenliste ich mir sogleich abfotografierte.
Für den Karottenpart des Desserts quetschte ich dann noch Johann Reisinger am Rande eines Interviews für meine Radiosendung aus. Mit dieser Erklärung konnte ich dann noch Maillard-Sud und „Brösel“ nachbauen. Mit ersterem bin ich nicht so besonders zufrieden, denn er wurde weitaus weniger süß als der, den ich beim Floh in der Schüssel hatte.
Ich weiß nicht, ob ich in der Zubereitung was falsch gemacht habe (zu viel Öl? zu dunkel karamellisiert?) und/oder ob die Karotten, die ich benutzt habe, einfach nicht die richtigen/gleichen Eigenschaften hatten. Ich bin zwar sogar zum Karmelitermarkt geradelt, um beim Krautwerk-Stand Milan-Karotten zu kaufen, aber die gab es leider nicht. Die Person vor mir in der Schlange kaufte dann auch noch den letzten Bund junger Karotten und mir blieben „nur“ Lagerkarotten einer anderen Sorte.
Den Saft, den ich aus den ganzen Karotten presste, kochte ich ein, bis er ganz zäh wurde, sodass ich doch noch zu einer richtig süßen Sauce fürs Eis kam. Die „Brösel“ aus den getrockneten Saft-Pressrückständen und zerriebenen Maillard/Karamell-Karottenschalen waren ein interessanter Texturkontrast. Doch letztere waren fast zu dunkel, tendierten stellenweise zur Bitterkeit – das schiebe ich jetzt aber einfach mal unserem schrecklich schlechten WG-Ofen in die Schuhe. Bei 40° C, wie von Johann Reisinger empfohlen, wurden meine Schalen auch nach Stunden kein bisschen trockener, da sich mangels Umluft und/oder anständiger Belüftung einfach nur alles Wasser am Boden sammelte. Ofentürl aufmachen half auch nix, also erhöhte ich die Temperatur auf knappe 120°C.
Das folgende Rezept ist mehr ein „Werkstattbericht“ und eine Anregung, wie es funktionieren könnte. „Gelinggarantie“ (schreckliches Dr-Oetker-Hausfrauenrezept-Wort, no offense) gibts deshalb natürlich nicht, aber ich glaube ein so stundenlanges Dessertprojekt ist eh eher was für Nerds ;)
Milcheis mit Karottenkaramell
Milcheis
Zutatenliste von der Gastwirtschaft Floh, in Klammern meine Ergänzungen
800 ml Milch
200 ml (=180g) Sahne
80 ml (=115 g) Honig
80 ml Zucker
240 ml (= 13) Eigelb
8 g Salz
Meine Eismaschine kam bei dieser Menge schon an ihre Kapazitätsgrenzen, die Hälfte hätte es wohl auch getan.
Milch, Sahne und Honig in einem Topf erhitzen, gelegentlich umrühren.
Zucker, Eigelbe und Salz in einer großen Schüssel verrühren. Schöpflöffelweise die heiße (aber nicht brodelnd kochende!) Milchmischung einrühren, bis nichts mehr davon übrig ist.
Die gesamte Masse zurück in den Topf füllen und über einem Wasserbad unter rühren eindicken lassen bzw. zur Rose abziehen (Wenn man einen Kochlöffel eintunkt und beim Daraufblasen eine „Rose“ entsteht, also die Masse sich so wellt und nicht mehr verrinnt, ist sie fertig).
Vollständig abkühlen lassen, dann in einen luftdichten Behälter umfüllen und mehrere Stunden oder über Nacht in den Kühlschrank stellen.
In der Eismaschine gefrieren lassen und nochmals einige Stunden gefrieren lassen.
Karotten-Komponenten
ca. 1 kg Biokarotten (ich habe Lagerkarotten vom Krautwerk genommen)
Die Karotten waschen, schälen und die oberen Enden abschneiden.
Maillard-Sud
Karottenschalen (in meinem Fall 170 g)
60 g Sonnenblumenöl (ich habe „Kärntner Öl“ von Manfred Enzi – das beste, das ich je probiert habe – genommen)
750 ml Wasser
Karottenschalen im Öl bei mittlerer Hitze schmoren bzw. karamellisieren lassen, bei mir hat das etwa 20 Minuten gedauert.
Mit Wasser aufgießen und 20 Minuten lang köcheln lassen.
Die Schalen abseihen und gut ausdrücken. Den Sud bei geringer Hitze reduzieren lassen, bis der die gewünschte fast sirupartige Konsistenz hat, bei mir waren das gut eineinhalb Stunden.
Maillard-Brösel
Die gerösteten und ausgekochten Karottenschalen auf einem mit Backpapier belegten Rost verteilen und bei 40° C (in meinem Fall gut 100°, aber ich hab auch keine Umluft) trocknen lassen. Danach fein zerbröseln.
Saft
geschälte Karotten (in meinem Fall 640 g)
Die Karotten entsaften. Den entstandenen Saft (in meinem Fall gut 250 ml) kurz aufkochen und dann bei geringer Hitze auf eine sirupartige Konsistenz einkochen lassen.
Pressrückstände-Brösel
Die Pressrückstände des Entsaftens auf einem mit Backpapier belegten Blech ausbreiten und wie die Maillard-Brösel im Ofen trocknen lassen.
Servieren
Ein oder zwei Nocken des Milcheis abstechen und in eine vorgekühlte Schüssel geben. Mit etwas Maillard-Sud und reduziertem Saft übergießen und schließlich mit Maillard- und Pressrückstände-Bröseln bestreuen.
Ich hatte aus den übrigen Eiweißen auch noch schnelle Hippen gemacht (nach diesem Rezept von 2010, nur ohne Zimt), sie aber schließlich weggelassen, weil es sie bei diesem tollen Dessert echt nicht braucht.
Liebe Jana
Es ist schon erstaunlich, was man mit einer Karotte alles machen kann.
Ich mit meinen normalen Haushaltskenntnissen kann nur staunen und
meine Bewunderung aussprechen, was heute junge Leute alles machen
und ausprobieren. Die Verkostung war sicher ein kulinarisches Erlebnis.
Genieße Deine Kenntnisse und vielleicht komme ich auch in den Genuß
des Probierens.
Deine Oma