Mraz & Sohn

Mraz&Sohn mit der OG vulgär-trashigen Fine-Dining-Kommunikation

Mraz&Sohn, Wallensteinstraße 59, 1200 Wien

Am Mittwoch war ich mit vier Freund_innen im Mraz & Sohn. Und wie bei meinem letzten Besuch (tief in der Pandemie…), schreib ich auch die Details dazu auf!

Zum unveränderten Take-Out-Style-Menü ein Aperitif: für mich Marillennektar vom Wetter-Hof in NÖ (5,50€), für die anderen Blanc-de-Noir-Champagner, dessen Details ich mir nicht gemerkt habe (25€). Das Menü (177,77€) selbst startet mit Ingwer Jägersalat: fein gehobelter Chinakohl mit karamellisiertem Kümmel, Sesam, Ingwersaft und Käsewasser. Erfrischend sauer.

Weiter mit Melone-Speck-Tempura: gelbe Zuckermelone mit Speck (bzw. geräuchertem Lauch in der Veggie-Variante) umwickelt und in Tempura herausgebacken, dazu Habanero-Yuzu-Dip bzw. hausgemachter gelber Senf. Davon würd ich auch ein paar mehr Snacken!

Der nächste Gang war einer der Favoriten der ganzen Runde und symbolisiert für mich die zeitgenössisch-„fusion“-wienerische Küchenlinie des Restaurants ganz deutlich: Steinpilz Lahmacun. super knuspriges Brot, mit Chili bestrichen, hauchdünn gehobelte Steinpilze, Petersilie und rote Zwiebel mariniert in Kaffeeöl und Bananenessig.

Den Wein, den es in der Begleitung (99,99€) dazu gab, fand ich enorm gut: „350 CRU“, ein früh geernteter, sehr frisch-apfeliger Grüner Veltliner vom Weingut Ott.

Weiter mit Hamachi Crudo, d.h. Hamachi leicht angebeizt in einer samtigen Physalis-Vinaigrette mit winzig gehackten Korianderstängeln, Ingwer und roter Zwiebel dazu Habanero bzw. Tomaten-Öl, Blütenbetter und zuckrig kandierte Früchte, die wir für Habeneros hielten (könnte aber auch was anderes gewesen sein).

Die vegetarische Version davon (die ich nicht gekostet habe) kam mit einem riesen-Kartoffelchip daher.

Radicchio Sarma: fermentiertes Bitterkraut gefüllt mit Räucheraal, rote Bete Würfeln und Mayo (?), dazu Dashi (?) mit Schnittlauchöl, hier zeigten sich die ersten Auswirkungen der Weinbegleitung auf mein Detail-Gedächtnis.

Die Artischocken-Krautfleckerl waren sehr irreführend: Namentlich und visuell hatten sie schon große Österreichische-Krautfleckerl-Vibes, geschmacklich versetzten sie mich aber ganz klar ins Meditterane: Pasta mit getrockneten Tomaten, Anchovies, einzelne Artischockenblätter in einem Käsewasser*-Schaum, dazu Thai-Basilikumblätter mit klarer Anisnote.

*Nachdem wir lange rätselten, was „Käsewasser“ wohl sein könnte, klärte uns einer der Kellner auf: Die Flüssigkeit, die sich in den Löchern von z.B. Emmentaler sammelt, die aber meistens nicht weiter verwendet wird. Das Mraz&Sohn-Team schmeckt gerne damit ab, und bezieht es von Jumi.

Vom Fisch war noch was übrig: Hamachi mit Steinpilz und Trüffel. Leicht angeflämmt, mit Apfelsaft lackiert, knusprig-umami getrockneten Germbröseln, und einer dicken Schicht Trüffelspäne, Limette und Schnittlauch. Mehr cremige-umami-g-keit dann noch von der Steinpilzsauce außenherum.

Als ersten Hauptgang Damwild mit Mohnle: rosa gebratenes Wild auf einer Kakaoschalen-Mole mit Sauerrahm, dazu Pico de Gallo mit Rotkraut, süßem frischen Zuckermais, Liebstöckel und Habanero, und zum Auftunken Rote-Bete-Tacos mit Shiso von der Taqueria la ventana (in deren jetzt fixes Restaurant muss ich auch mal, über ihr Popup hab ich vor drei Jahren mal geschrieben).

Mein liebster Gang des Abends war die Alt Wiener Pho. Kräftige Brühe mit verschiedener Einlage – Lungenstrudel, panierter gebackener Leberknödel, Reisnudeln, Suppenfleisch und rohes Damwildfilet, das in der Suppe gart. Die Veggie-Variante basierte auf Pilzen, mit Grießnockerl, Kürbisstrudel und Reisnudeln als Einlage.

Dazu eine üppige Kräuterauswahl mit Verbene, Kapuzinerkresse, Estragon, Pfefferminz und allerlei Grünzeug, das ich mit meinen mittelmäßigen Botanikkenntnissen nicht identifizieren konnte. Meyer Lemons und Sriracha zum selber Abschmecken.

Zu fünft bekamen wir gefühlt alle Käsesorten auf dem riesigen Wagen, leider habe ich nicht mitgeschrieben. Mein Lieblingskäse war einer der kontroversesten in unserer Runde, von zweien schrecklich befunden, aß ich alles davon auf – eine Mischung aus Kuh, Ziege und Schaf, mit topfigem Kern. Dazu warme Mini-Bierbrezen, Feigenkompott, süß eingelegte Hollerblüten, Essigmandeln und sehr intensiver Trüffelhonig.

Das Gurkeneis mit Melonenkaltschale hat mir auch enorm getaugt. Super erfrischend und wegen Kokosbasis dennoch richtig cremig.

*most mindblowing* war das Zwetschgenröster Soufflé mit Pavlova: Das Soufflé sah nämlich aus wie feinporiger rosa Biskuit, war aber Eis! Auf Nachfrage erfuhr ich die Zubereitungsweise „wie Luftschokolade“, d.h. Fruchtpüree mit Sahne vakuumiert und dann schockgefrostet. Wow! Die unscheinbar wirkende Meringue obenauf braucht sich aber auch nicht zu verstecken, dank Zwetschgenkernen schmeckte sie tief marzipanig. Zusammengehalten wurde beides von ein bissl Sahne, Zwetschgenpüree und rotem Shiso.

Als letztes Dessert Feigenpowidltascherl mit dem Feigenkompott, das wir schon am Käseteller hatten, als Füllung, in Feigenblattöl und gehackten Pistazien und Mandeln. Super!

Zum Espresso (3,90€) türkischer Honig, kandierte Orangenzesten und ein sehr intensiver Ovomaltine-Brownie.

Was ich am Mraz&Sohn so mag, ist nicht nur die sehr bunte, vielfältige Menülinie (von der Türkei über Japan in die Türkei und immer wieder klar Wienerisch), sondern auch die ganz deutliche Hervorhebung der Produzent_innen: Paprika von Dirndln am Feld, Kakaoschalen-Shoyu von Blvbblvb, Masa von der Taqueria la Ventana, Käsewasser von Jumi usw., alles in allerbester Qualität, die man als Einzelperson vermutlich nur ganz schwierig auftreiben könnte. Spitzengastro ist eine (logistische) Teamleistung, die mich endlos fasziniert.

Auch im Drumherum stecken natürlich sehr viele Gedanken: Das Mrazsche Essiggurkerl-Grün zieht sich im Restaurant von den super bequemen Ledersesseln/Bänken bis zu den Wassergläsern – „upgecycelte“ Weinflaschen mit zwei „Griffmulden“ und abgerundeten Kanten. Das Wasser kam aus der Leitung (super! hat mich aber gewundert), in klaren Glasflaschen, die mit „Mraz mit“ und „Mraz ohne“ und den Gesichtern der Chefs graviert sind. Am Plattenteller Falco, Luther Allison, John Lee Hooker.

tl;dr: Ein toller Abend! Ich finde, „einfach so“ (also ohne feierlichen Anlass) in einer recht zufälligen Freund_innengruppe (wir kamen auf einer Pride-Parade-Afterparty im Juni auf Fine Dining zu reden… und reservierten einfach den nächst verfügbaren Tisch für fünf) ein Tasting-Menü zu essen, ist ein großer Spaß (auch für die ganz ohne Spitzengastro-Erfahrung in unserer Runde). Das Mraz & Sohn ist einfach ein cooler Laden mit immer spannendem Essen und sehr angenehmer elegant-edgy Atmosphäre, in den ich immer wieder gehen will.

Und ja, natürlich, das ist Luxus – unsere Zeche war hoch (1364,52€ / knapp 280€ für Menü und Weinbegleitung p.P.), aber einer, den ich mir hin und wieder sehr gerne gönne, weil ich ihn enorm bereichernd finde.



Hi, ich bin Jana.
Seit 2009 veröffentliche ich hier wöchentlich Rezepte, Reiseberichte, Restaurantempfehlungen (meistens in Wien), Linktipps und alles, was ich sonst noch spannend finde. Ich arbeite als Podcastproduzentin und freie Kulinarikjournalistin. Lies mehr über mich und die Zuckerbäckerei auf der About-Seite.

Meine Sketchnotes:
jasowieso.com

Creative Commons Lizenzvertrag
Porträtfoto: (c) Pamela Rußmann

IMPRESSUM

DATENSCHUTZERKLÄRUNG

Newsletter

Meine Lieblingslinksammlung Zuckersüß wöchentlich direkt in deinem Postfach!

Powered by Buttondown. Ohne Tracking!

Rechtliche Angelegenheiten

Impressum
Datenschutzerklärung
Creative Commons Lizenzvertrag
Alle Bilder und Texte der Zuckerbäckerei sind lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz. Wenn du Fragen zur Verwendung meiner Inhalte hast, schreib mir einfach eine E-mail. Danke!

Kategorien

Tags

Archiv

Zuckersüß

Im Zuckersüß sammle ich (fast) jeden Sonntag meine liebsten Links der Woche: Rezepte für die Nachback-Liste, lesenswerte Blogposts, Zeitungsartikel und Longreads, Podcasts oder Musik, die mir gerade gefällt und oft genug auch Internet-Weirdness. Außerdem schreibe ich auf, was ich sonst so interessant fand: neue Rezepte in meiner Küche, Lokale, in denen ich gegessen, Pullover, die ich gestrickt oder Texte, die ich geschrieben habe.