
Herzig, Schanzstrasse 14, 1150 Wien
Wien mangelt es bekanntlich nicht an Fine Dining-Läden, und lange war ich noch nicht in allen, die mich interessieren würden. Gestern habe ich es nun endlich mal ins Herzig geschafft, und hatte großen Spaß.
Es befindet sich in einer ähnlich unüblichen Gegend (1150) für ein Sternerestaurant, wie das Mraz & Sohn (1200), in dem ich zuletzt im Herbst gegessen habe (s. mein Post dazu). Um noch eine Parallele zu ziehen, liegt das eine ein paar Meter von einer Hofer-Filiale entfernt, das andere gleich neben einem Lidl. Aber egal, ich schweife ab.
Meine Begleitung und ich entschieden uns im Herzig fürs „kleine“ Menü, d.h. fünf Gänge plus Snacks und Süßigkeiten (160€) und dazu jeweils eine alkoholfreie Getränkebegleitung (60€).


Unser alkoholfreier, erfrischender Start: Lyserød Sparkling Tea mit Hibiskus, Oolong und weißem Tee mit sehr viel Sprudel (9€). Es folgte gleich ein ganzes Tablett voller Snacks.
Geräucherte Shiitake – Brombeeressig: herausgebackenes, hohles Teigblümchen mit Brombeer-Fichtennadelessig-Gelee und feiner Pilzpaste auf der Unterseite, obenauf rauchiges Kimchi-Paprikapulver, das meine Begleitung schwer an Chips erinnerte.
Vom Konzept her musste ich sofort an die Michelinsterne denken, die uns Anfang 2023 im Mühltalhof serviert wurden.


Roscoff Zwiebel – Rindfleischsalat war eine Kugel irgendwo zwischen Cannelé und Brandteigkrapferl mit Yuzu-Mayo und ponzu-mariniertem Fleisch, bzw. verschiedenem Grünzeug in der fleischlosen Variante.


Gillardeau Auster – Kiwi – Lauch war ein hauchdünnes Tartelette gefüllt mit giftig grüner Lauchcreme, Kiwistückchen, Auster und Kiwigelee (?) mit einem Schnittlauch-Blümchen. Alles in allem vermittelte mir der Happen irgendwie Gurkensalat-Vibes, er war jedenfalls mein Favorit der Snacks am Anfang.


Gamba Roja Olive – Mandel – Pimientos fand ich sehr cool: rohe Garnele unter fluffiger Ajo Blanco-Espuma, darauf gepuffter Quinoa und Olivenästchen (Tapenade-Hippen?). Rundherum geeiste Kugerl aus rauchigem Paprika bzw. Oliven, die man optisch beinahe mit TK-Erbsen hätte verwechseln können.


Sauerteig Brot – Joghurtbutter – Steckrübe: roggenlastiges (aber nicht rein-Roggen laut Einschätzung meiner Brotbäckerbegleitung) leicht honiglich duftendes Brot mit leichter, frischer aufgeschlagener Butter.
Im Blumentopf daneben ein geschmacklich faszinierender, weil sehr an Wurst erinnernder Steckrübenaufstrich, mit rauchigen Pumpernickelbröseln, frittiertem Pumpernickel, und ich nehme an, der schon gesehenen Lauchemulsion.

Der Extra-Gang des Abends (20€) wurde einer meiner Favoriten insgesamt. Sardine in Salzlake, gefüllt mit Rhabarber und Senfkörnern, dazu Kaviar mit einem ganzen Beet an Kräutern (Dill, Vogelmiere, ?) obenauf. Der Fisch schwamm in einer Erdbeer-Estragon-Vinaigrette mit ein paar geeisten Olivenkugerln, begrenzt von einer Kimchi-Paprika-Paste, die uns später nochmal begegnen sollte.



Ab jetzt folgt der Menü-Hauptteil: Winterkabeljau [brandade]. Brunnenkresse – Kren – Molke. Der Fisch saß auf außerordentlich gutem Kartoffelpüree, umgeben von beurre blanc mit Wasabi-Brunnenkresse(?)-Öl. Darauf ein marmoriertes Geleeblatt, Oberskren- und Wasabitupfen mit einer ultrafiligranen Hippe, die was von Lauch hatte. Am Tellerrand eine Krokette mit ein bisschen Fisch drin, geschmückt mit einer weiteren filigranen Hippe.
Ich trank ein einziges Glas (18€) der Weinbegleitung, und zwar einen fruchtbetonten Riesling vom Ried Kalkofen vom Weingut Gritsch. Ich mochte ihn sehr. Meine Begleitung trank ein für mich mörderisch-allergisches Getränk, eine Molke mit Apfel-, Sellerie- und Karottensaft sowie Leindotteröl.


Das nächste Getränk der alkoholfreien Begleitung (60€) kam in einem Glas, das mit seiner Apfelform und Glasstrohhalm gestalterisch irgendwo zwischen Alice im Wunderland, Disney und Bong stand. Es war eiskalter Tee (grün+Jasmin?) mit feiner Bitterkeit und viel Frucht.
Die Seeforelle schwamm passend dazu in einem Jasmintee-Limetten-Sud, sowie einer Béarnaise mit salzigem Ikura (Forellenkaviar). Darauf eine dünne Schicht Karfiol-Flan und gefühlt endlose, leicht sauer marinierte Kohlrabistreifen. Das Pulver obenauf hatte ich für Tee gehalten, Nachfrage ergab: Wacholderstaub!


Das nächste Getränk ließ ich allergie-vorsorglich auch lieber stehen (ich bin keine einfache Gästin…): Saft aus grünem Apfel, Gurke und Zimt, laut meiner Begleitung „geil, man sollte einen Cocktail draus machen!“
Das Gericht dazu, Melanzani saté. Beluga Linse – Erdnuss – Gurke fand ich großartig. Eine winzige im Ganzen gegarte Melanzani auf Saté-Sauce, knackigen Belugalinsen, popcornartigem Crunch, und hauchdünnen sauer marinierten Gurkenscheiben. Außenherum noch mehr Saté-Sauce, Gurken-Jus (wie??) und eine Erdnusscreme-Erdnuss. Die Hippenblümchen waren mit schwarzer Knoblauch-Creme festgepickt.


Challans Ente [au poivre]. Kohl – Ananas – Mignonette Pfeffer: saftige rosa Entenbrust auf zweierlei Pfeffersaucen, ziemlich festes Ananasgelee und Kohlsprossen. Als skulpturale Deko kandierte gedörrte Kohlrabiblätter, die mich sehr an die Salat-Laterne im CODA im Berlin neulich erinnert haben (den Post dazu muss ich ENDLICH mal fertigtippen!).



Den alkoholfreien Spicy Margarita dazu mochte ich sehr, auch wenn er sehr weit vom traditionellen Cocktail entfernt ist (s. mein Spicy Margarita-Rezept). Er war auf Ananas-Kombucha-Basis (von @bootch_kombucha) und mit Gochujang und Ingwer aromatisiert.


Und jetzt: Dessert! Für mich Bio Piura 75%. Malz – Rote Rübe – Himbeere, also Schokomousse auf Rote-Rüben-Gelee mit Rote-Rüben-Eis, Rote-Rüben-Hippen und Rote-Rüben-Baiser. Das Getränk dazu wurde mir in einem noch lustigeren Vogerl-Glas serviert: Geräucherter Himbeer-Pfirsich-Rosensaft.


Für meine gelatine-inkompatible Begleitung gabs das Dessert aus dem „großen“ Menü: BLANC DE BLANC. Sake – Vanille – Jasminreis, das heißt Reiscrumble unter Vanille-Creme und Reis- (oder Sake?) Eis. Geschmacklich das komplette Gegenteil meines Desserts: Ruhig und rund und ohne Spitzen.
Dazu im Glas: Birnen-Schaumwein, der „mega-birning, nicht fad-birnig“ schmeckte und Süße/Säure gut ausbalancierte.




Im Petit-Fours-Schachterl versteckten sich schließlich noch vier verschiedene Kleinigkeiten, die ich vermutlich in der verkehrten Reihenfolge aß. Als erstes Apfel-Fruchtleder, das mit Marshmallow(?)-Masse aufgewickelt und saurem Fenchel-Zucker bestreut war, super!
Dann eine Praline aus weißer Schokolade, gefüllt mit Salzkaramell. Weiter mit einem warmen Olivenöl-Madeleine mit ganz fein gehackten schwarzen Olivenstücken drin (Ich hatte nach dem Abendessen im Café Caché damit zum zweiten Mal in einer Woche Olivenöl im Dessert, I see a theme!).
Zuallerletzt: Mini-Choux mit Craquelin und Logo-Schoki, gefüllt mit sahnigem Frischkäse.

Der Abend hat enorm viel Spaß gemacht, besonders die Verspieltheit, die sich vom Plating über Geschirr/Gläser bis zur Einrichtung zog, wird mir in Erinnerung bleiben. Die einzelnen Gänge bestanden alle aus sehr vielen verschiedenen Komponenten, selten konnte ich mir alle merken. Was sich offensichtlich durchzog, war die Begeisterung der Küche für Hippen aller Art und Form, und auch für Tee.
Das Lokal (fußläufig U3 Johnstraße) ist sehr geräumig, trotz viel Farbe und großflächigen Mustern an den Wänden wirkte es ruhig auf mich, was vielleicht auch mit der Playlist zu tun hatte (von Unsquare Dance bis And the living is easy). Die Kellner trugen zum Anzug Knopf im Ohr, das Publikum (mit Ausnahme von ein paar Kindern) war gefühlt mindestens ein Jahrzehnt älter als das Service-Team (und ich). Der Service kam mir anfangs ziemlich distanziert vor, taute aber mit der Zeit auf – unsere gefühlt 1489892359 allergiebedingten Sonderwünsche wurden super abgefangen.
Ich frage mich, wieso ich eigentlich so lang gebraucht habe, mal hier zu essen, ich werde jedenfalls wiederkommen!