„Kochen im falschen Jahrhundert“ – Teresa Präauer

Kochen im falschen Jahrhundert von Teresa Präauer beginnt harmlos, mit ersten Ess- und Koch-Erinnerungen und schließlich einer nonchalanten Dinnerparty in gut situiertem Großstadt-Mittdreißiger-Milieu. Natürlich hat ~man~ hier die richtige Kleidung an, die richtige Kunst an den Wänden, den richtigen Wein im Glas, liest die richtigen Bücher, hört die richtige Musik via Spotify-Playlist.

Doch die Situation wiederholt sich in den folgenden Kapiteln und entgleist jedes Mal ein bisschen mehr. In scheinbar beiläufigen Details zeigt sich die volle Wucht patriarchaler Ungerechtigkeiten. Männliche Gäste ziehen ihre Schuhe nicht aus, die Gastgeberin lächelt die für sie entstehende Mehrarbeit weg. Männliche Gäste wischen den Boden mit dem besten Geschirrtuch auf, brennen ein Loch hinein und machen Flecken auf dem neuen teuren Holztisch, die Gastgeberin lächelt den unachtsamen Umgang mit ihrer Einrichtung einfach weg. Oder:

„Da kam der Schweizer in die Küche, der doch tatsächlich die geleerten Salatschüsseln abgeräumt hatte. So viel Mühe nach einem intensiven Arbeitstag! Die Gastgeberin bedankte sich und zeigte auf den Geschirrspüler unten rechts neben der Spüle. Der Schweizer stellte die Schüsseln ab, ohne sie in den Geschirrspüler zu räumen, griff nach dem Smartphone der Gastgeberin und las das Rezept für Americano. Das sei ihm wirklich zu süß, bekräftigte er.“

Kochen im falschen Jahrhundert, S. 69

Diese Stellen stachen subtil und brutal in feministische wunde Punkte und ließen mich an Elfriede Jelineks Die Liebhaberinnen denken, wo die Frauen quasi auch alles über sich ergehen lassen (müssen). Dieser Roman spielt in der Zeit, auf die Teresa Präauer als Vergangenheit verweist:

„Im Zuge des häuslichen Gebarens griff man noch immer auf ein Reservoir an alten Rollenbildern zurück. Dabei hatten sowohl das Horoskop als auch die historische Epoche der Gastgeberin für ihr Leben doch Freiheit versprochen, resultierend aus einer Befreiung von den einschränkenden Mustern traditionellen Verhaltens. Weder war es folglich die Aufgabe der Frau, den Mann zu tadlen, noch war es die Aufgabe des Mannes, die Frau kleinzumachen. Überhaupt gab es an diesem Ort und zu jener Zeit keinerlei Gebot, sich an überlieferte Modelle zu halten. Sie hatten alle Möglichkeiten.
Hatten sie alle Möglichkeiten? Die Konzepte der Theorie pfiffen durch die Luft und wirbelten die Feuilletons der internationalen Zeitungen auf, währen dman sich auf dem Boden als Paar an der Praxis versuchte und schund.“

Kochen im falschen Jahrhundert, S. 49

Ich bin wohl ein paar – zehn vielleicht? – Jahre jünger als die übrigens nie beim Namen genannten Protagonist:innen des Romans, und doch kann ich mir an diesem Punkt im Buch exakt vorstellen, was in ihrer Clique als cool gilt, was guten Geschmack auszeichnet, welchen Koch-Vorbildern nachgestrebt wird. Natürlich: Ottolenghi.

„Dann wieder hatte sie von einzelnen Rezepten aus einem aktuellen Kochbuch-Bestseller geschwärmt. Israelisch und palästinensisch, hatte sie anerkennend gesagt und ihrem Partner gegenüber tagelang in Worten den Frieden ausgemalt, der auch bei ihr zu Hause anfange, und zwar im Kochtopf, während sie di weinrot-sandfarben-gestreifte Leinenschürze aus Kopenhagen, Made in India, tragen würde. Tomorrow Matters, stand auf der Waschanleitung, Organic Cotton. Das Kleidungsstück würde, von der Gastgeberin getragen, eine ganz neue Bedeutung haben. Sie wäre weder die duldsam gebundene Kittelschürze der Generation ihrer Großmütter noch die wütend verweigerte Kochschürze der Generation ihrer Mütter.“

Kochen im falschen Jahrhundert, S. 82

Die Symbolik der Schürze erkundet auch Rebecca May Johnson in Small Fires (das ich leider nie hier im Blog besprochen habe, obwohl es das Buch war, das mich klar 2023 am meisten beeindruckt hat). Ich frage mich, ob Teresa Präauer sie gelesen hat, oder die Ähnlichkeiten zufällig sind…

„Do you have positive feelings about aprons?

Yes and no.

Strings!


The erotics of tying my apron strings, tightly. I prefer aprons made from pliable cotton cloth. After experimentation I find I need fabric soft enough to wrap round my body and then bind it, an embrace for which stiffer fabrics won’t do […]. Long ago, tying an apron felt like tying myself up (and not in a way I would have chosen). Aprons are still threaded through with the image of ’natural‘ feminine destiny, the kind that makes me uncomforable, that makes me feel like running away.

Cut your apron strings!

Rebecca May Johnson: Small Fires, S. 15f

…denn Kochen im falschen Jahrhundert greift die Schürze und die komplizierten Weiblichkeitsvorstellungen/-rollen, die damit verbandelt sind, später nochmal auf und verwebt sie außerdem mit Social-Media-Performativität:

„Die Schürze der Gastgeberin passte nicht zu diesem Abend und nicht zu diesen Gästen. Oder war es umgekehrt? Wäre Unterwäsche in Kombination mit Ledermantel denn eine Option gewesen? Wen hätte sie einladen sollen? Die Gastgeberin rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, bis die vermaledeite Schürze endlich zu Boden fiel. Ihr Partner hatte den Vorgang bemerkt und diesen als diskrete Aufforderung gedeutet, mit seinem Fuß unter dem Tisch wieder an ihren Beinen hochzufahren. Nicht jetzt, zischte sie, schüttelte den Kopf und schickte ihrer Aussage ein Lächeln hinterher. Er zog beleidigt das Bein zurück.
Die Gastgeberin wandte sich an ihre Gäste, es gebe französische Quiche und einen leichten Sommersalat. Französisch, leicht, Quiche. Seide, Salat, Pelz. Die junge Malerin [auf Instagram] würde es nicht anders gemacht haben. Die Worte aus dem Mund der Gastgeberin aber klangen plötzlich unauthentisch und brav. War Authentizität denn überhaupt noch eine zeitgemäße Kategorie? So brav war sie ja eigentlich gar nicht. Doch die Bohème, sie war zu mühsam erarbeitet.“

Kochen im falschen Jahrhundert, S. 111f

Die Gastgeberin empfindet „Befremdung über diese Menschen, die im analogen Leben zwar nicht die besten Gäste, aber verträglicher waren als in ihren digitalen Selbstentwürfen“ (S. 128). Ein ziemlich düsteres Fazit unserer Instagram-Epoche. Der Roman endet schließlich unerwartet surreal und mit vielen Meta-Überlegungen der Gastgeberin:

„An den Gegenständen haftete der Selbstentwurf, die Einbindung in die Gesellschaft. Die Familienverhältnisse, das Sich-Lossagen und das Erinnern und Nicht-Loskommen. Die Ablehnung von Rollen und die Suche nach anderen Rollen. Wo der einzelne Mensch sie vielleicht frei fühlte von diesen Zuschreibungen, wo er die Herkunft, einem Versprechen von Autonomie und Gestaltungsmöglichkeit anhängend, gleichsam überwunden hatte, da trugen die Dinge, und mit ihnen der gute und der schlechte Geschmack, wie eine vil zu späte Erinnerung die Geschichte von Aufstieg und Fall mit sich. Eigentlich konnte nur der Crémant einen über den Schmerz dieser Einsicht hinwegtrösten.“

Kochen im falschen Jahrhundert, S. 195

Na dann, santé.

Ich mochte das Buch wirklich sehr, und freue mich, dass gleich zwei meiner Freund:innen beim Titel an mich gedacht haben – ich habe es letztes Jahr doppelt zum Geburtstag geschenkt bekommen. Und trotz des eigentlich desaströsen Dinnerparty-Abends im Roman habe ich große Lust bekommen, sowas auch endlich mal wieder zu veranstalten, s. z.B. Winter Supper Club 2022.

Teresa Präauer: Kochen im falschen Jahrhundert, Wallstein Verlag (2023), 198 Seiten.



Hi, ich bin Jana.
Seit 2009 veröffentliche ich hier wöchentlich Rezepte, Reiseberichte, Restaurantempfehlungen (meistens in Wien), Linktipps und alles, was ich sonst noch spannend finde. Ich arbeite als Podcastproduzentin und freie Kulinarikjournalistin. Lies mehr über mich und die Zuckerbäckerei auf der About-Seite.

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Im Zuckersüß sammle ich (fast) jeden Sonntag meine liebsten Links der Woche: Rezepte für die Nachback-Liste, lesenswerte Blogposts, Zeitungsartikel und Longreads, Podcasts oder Musik, die mir gerade gefällt und oft genug auch Internet-Weirdness. Außerdem schreibe ich auf, was ich sonst so interessant fand: neue Rezepte in meiner Küche, Lokale, in denen ich gegessen, Pullover, die ich gestrickt oder Texte, die ich geschrieben habe.