Dieses Taschenbuch habe ich vergangenes Jahr zum Geburtstag geschenkt bekommen und hauptsächlich wegen seines kleinen, leichten Formats als Urlaubslektüre eingepackt. Schon auf den ersten drei Seiten stellte sich heraus, das es sicher kein leichtes (seichtes) Sommerbuch sein würde – Ocean Vuong richtet sich in Briefform an seine (nicht-alphabetisierte) vom Krieg traumatisierte vietnamesische Mutter, die ihn ab dem Kleinkindalter regelmäßig verdrosch.
Der Autor erzählt ziemlich poetisch (vor diesem Debütroman hatte er hauptsächlich Gedichte veröffentlicht) episodisch aus seiner Kindheit und Jugend in Conneticut, den ausbeuterischen Arbeitsbedingungen unter denen seine Mutter im Nagelstudio schuftete und seiner eigenen als jugendlicher Schwarzarbeiter auf einer Tabakplantage.
The most common English word spoken in the nail salon was sory. it was the one refrain for what it meant to work in the service of beauty. Again and again, I watched as manicurists, bowed over a hand or foot of a client, some young as seven, say, „I’m sorry. I’m sorry. I’m so, so sorry,“ when they had done nothing wrong. I have seen workers, you included, apologize dozens of times throughout a forty-five-minute manicure, hoping to gain warm traction that would lead to the ultimate goal, a tip—only to say sorry anyway when none was given.
„On Earth, We’re Briefly Gorgeous“ – Ocean Vuong, Seite 91
In the nail salon, sorry is a tool one uses to pander until the word itself becomes currency. It no longer merely apologizes, but insists, reminds: I’m here, right here, beneath you. It is the lowering of oneself so that the client feels right, superior, and charitable.
Häusliche Gewalt, die Opioid-Krise, Krankheit und Sterben ziehen sich durch das Buch.
Here, good is finding a dollar caught in the sewer drain, is when your mom has enough money on your birthday to rent a movie, plus buy a five-dollar pizza from Easy Frank’s and stick eight candles over the melted cheese and pepperoni. Good is knowing there was a shooting and your brotoher was the one that came home, or was already beside you, tucked into a bowl of mac and cheese.
„On Earth, We’re Briefly Gorgeous“ – Ocean Vuong, Seite 214
In der brutalen Realität tauchen immer wieder überraschend zärtliche Szenen auf, sowohl in einer (leider ebenfalls tragischen) ersten Liebesgeschichte, die ich hier nicht spoilern will, als auch innerhalb der Familie. Deren komplexer Geschichte zwischen Vietnam und USA spürt Ocean Vuong bis zum Ende des Buches nach und umreißt seine migrantisch-queere Identität zunehmend klarer.
Die abrupten Sprünge in Stil und Inhalt haben mich hin und wieder irritiert. Erst zitiert er Toni Morrisson und Roland Barthes, im nächsten Moment schon schreibt er über die Golf-Erfolge von Tiger Woods, die Flugrouten der Monarchfalter oder versetzt die Leser_innen in den Vietnamkrieg und Szenen seiner Kindheit. Ich musste das Buch hin und wieder weglegen, weil mich die Gewalt und Trostlosigkeit so fertig gemacht haben. Doch trotz alldem kam es mir insgesamt nicht negativ vor, sondern wie ein realistische, liebevolle Aussprache mit seiner Mutter.
Ocean Vuong: On Earth We’re Briefly Gorgeous. Vintage Penguin Random House, 2019, 242 Seiten, £8,99.