Im Februar habe ich ein Wochenende in Napoli verbracht. Die Stadt interessierte mich natürlich wegen ihrer kulinarischen Tradition, doch ein da muss ich unbedingt mal hin – Reiseziel war sie nicht. Bis ich feststellte, dass der Regionalzug von Campobasso, wo ich einen Teil meiner Semesterferien verbrachte, nur etwas länger als drei Stunden in die kampanische Hauptstadt braucht und das für 10,25€!
So wenig informiert war ich auch noch nie in einen Städtetrip gestartet, doch die Empfehlungen von und Spaziergänge mit befreundeten Locals (Erasmussemester sei dank!) waren am Ende eh viel besser als jeder Reiseführer. Es stellte sich heraus, dass Napoli doch recht anders war, als ich es mir vage vorgestellt hatte. Ein wirklich konkretes Bild hatte ich nicht im Kopf, nur so lose Ideen einiger breiter Straßen und viel Müll (Mafia sei dank).
Geht man eine Viertelstunde, ändert sich das Stadtbild nämlich ziemlich schnell. Rund um den Bahnhof – eine nicht besonders einladende Gegend, btw – stehen einige Hochhäuser, deren goldene Zeiten offensichtlich vorüber sind.
Auf dem Weg ins historische Stadtzentrum werden die Straßen enger, die Autos und Mofas aber nicht weniger.
Und es gibt so unendlich viele Kirchen. Manchmal konnte ich nicht unterscheiden, wo die eine anfing und die nächste aufhörte. Die wichtigste Kirche, der Duomo di Napoli, besteht selbst schon aus so vielen Kapellen, dass ich den Überblick verlor. Der wunderschöne Steinfußboden in der Krypta blieb mir aber in Erinnerung.
Nicht nur die Kirchen zeugen von der Frömmigkeit Napolis, auch eine andere Tradition, die ich recht befremdlich finde: Hausaltäre. Die gibt es in sehr groß und in Schaukasten-klein, ebenerdig und hoch oben an Hausmauern. Darin drapiert sind Heiligenbilder, Fotos Verstorbener, Blumen und Kerzen. Nachts sind sie häufig beleuchtet.
Im Dunklen fühlte ich mich manchmal wie nach Marokko versetzt. Einige Gegenden Napolis könnten mit ihren schlecht gepflasterten Straßen, Straßenständen für Waren aller Art und absurd schnell fahrenden Mofas genauso auch in einer marokkanischen Medina platz finden.
Der Eindruck ändert sich ein paar Gehminuten später wieder vollständig. Auf der Piazza Bellini steht nicht nur eine Statue des Komponisten, sondern auch viel Grün, das sich die Straße den Hügel hinunterzieht. Undenkbar in Marokko: Die Studis (und wir), die ab dem späten Nachmittag einen Spritz für nur 2€ im Freien schlürfen.
Durch ein teilweise überdachtes Gässchen gelangt eins zur Piazza Dante, die an diesem Februarsonntag voller kostümierter Kinder und Konfetti war.
Auf der Via Toledo, der Haupteinkaufsstraße, sah das nicht viel anders aus. In den Menschenmassen kam ich kaum vorwärts und hätte außerdem beinahe die Galleria Umberto I. übersehen. Die Geschäfte darin interessierten mich zwar überhaupt nicht, aber das Gebäude ist ziemlich schön anzuschauen.
Von der riesigen Piazza Plebiscito aus, in den sowohl die Via Toledo als auch die Luxuseinkaufsstraße Via Chiaia mündet, ist schon das Meer zu sehen. Einen Stadtstrand gibt es nicht, sondern nur eine befestigte Promenade, an der es sich aber gut flanieren lässt.
Irgendwann war mir das mehr-oder-weniger-planlos-durch-die-Stadt-spazieren aber zu anstrengend (viele Kilometer und Höhenmeter kann eins auf einem Städtetrip eigentlich machen?) und ich wollte ein bisschen *Kultur* (mit Vermittlung).
Napoli Sotteranea, der Untergrund der Stadt war mir von vielen Seiten empfohlen worden. Gleich morgens um zehn schlossen wir uns (für 10€ pro Person) der italienischsprachigen Führung an. Englisch hätte es auch gegeben, aber erst eine Stunde später und die wollte ich nicht warten. Überhaupt halte ich es für eine super Sprachlern-Herausforderung, einer Museumsführung zu folgen. Mein Italienisch ist ungefähr auf 3-Monate-Duolingo-Level, aber dank meiner doch recht brauchbaren Französischkenntnisse verstehe ich meistens doch ziemlich viel. Und tatsächlich, ich konnte dem Rundgang weitestgehend folgen.
Die Geschichte des Museums ist schon ziemlich beeindruckend, denn eigentlich waren die Räume vor mehr als 2000 Jahren griechische Zisternen. Genutzt wurden sie, bis im 18. (oder 19.? – ich erinnere mich nicht) die Cholera ausbrach. Anschließend lagen sie einige Jahrzehnte brach, bis ihnen im zweiten Weltkrieg die Nutzung als Bunker zufiel.
Über einen anderen Eingang zu erreichen, aber ebenfalls in der Führung war das römische Theater. Versteckt im Fundament ganz normaler neapolitanischer Wohnhäuser war es sehr lange niemandem aufgefallen. Irgendwann geriet allerdings jemand mit Fachkenntnis zu antiker römischer Mauertechnik in einen der Keller dort – und erkannte das 2000 Jahre alte Bauwerk. An der Oberfläche ist bis heute nichts davon zu sehen, denn nach wie vor sind die Wohnungen bewohnt.
Das Museo Archeologico Nazionale di Napoli hatte mir ein Freund wegen der umfangreichen Pompeii-Dauerausstellung (es gibt noch fünf weitere Bereiche und eine Sonderausstellung) empfohlen.
Am Anfang war ich halbwegs enttäuscht: 15 € (7,50 € ermäßigt) ist echt ziemlich teuer für einen einzelnen Eintritt. Und der erste Saal, den ich angeschaut habe (keine brauchbaren Wegweiser!) schien in den 1980ern stehen geblieben. Gläserne Vitrinen ohne jeglichen Erklärungstext, hin und wieder ein vergilbter schreibmaschinengetippter Absatz auf italienisch.
Doch mit der Zeit konnte mich die Ausstellung über Pompeii immer mehr begeistern, die Fresken waren nämlich sehr wohl beschriftet (wenn auch die Schilder häufig 5 Meter entfernt von den Ausstellungsstücken standen) und erzählten von Figuren, die ich mit meiner mangelnden Altertumskenntnis zumindest ein bisschen einordnen konnte: Ikarus und Dädalus, Iphigenia, Europa.
Nach mehr als zwei Stunden, als ich eigentlich wegen einer Verabredung schon fast gehen musste, entdeckte ich dann noch die Sonderaustellung zu Essen in Pompeii, auf die ich leider nur einen kurzen Blick werfen konnte.
Die Asche des Vesuv hatte nicht nur die Häuser, Wandbemalungen und Alltagsgegenstände der antiken Stadt konserviert, sondern auch viele Lebensmittel. So sind in den zwei Austellungsräumen Knoblauchzehen, Datteln, Feigen, Mandeln und sogar zwei Laib Brot zu sehen (und ausführlich/zeitgemäß/zweisprachig beschrieben):
Apropos Essen. Ich habe versucht, alles, was nur annähernd als „Spezialität“ Napolis gilt, zu probieren. Natürlich Pizza, aber nicht beim berühmten Sorbillo in der Via Tribunali, vor dessen Lokal sich mittags und abends eine riesige Menschentraube bildete, sondern ein paar Meter weiter bei Vesù. Pizza Fritta (Pizzateig gefüllt mit Ricotta, Speck und Tomaten, als Calzone frittiert) erinnerte an den Teigstellen ziemlich an Langos ohne Knoblauch und war mir insgesamt viel zu mächtig. Pizza Portafoglio, eine zusammengeklappte Margerita, die es gefühlt an jeder Ecke gibt, würde ich am liebsten auch in Wien als verbreiteten Snack haben.
Was ich vor meinem Besuch nicht wusste: Frittiertes hat eine große Tradition in Napoli. Arancini, panierte Reisbällchen mit unterschiedlichen Füllungen (z.B. Erbsen und Hackfleisch, Auberginen) mochte ich am liebsten, aber auch Crochetti di Patate (Kroketten mit Käsefüllung) und Frittatina di Pasta (Macaroni in Bechamelsauce oder so, in Teig frittiert) waren gut. Auf der Via Tribunali, einer wichtigen Straße in der Altstadt gibt es alle paar Meter winzige Geschäfte, die Frittiertes verkaufen. Mir schien aber, dass nicht alle davon alles selber machen, sondern auf Tiefgekühltes setzen. Empfehlenswert ist auf jeden Fall Matteo, von dem die Frittatine di Pasta auf dem Foto stammen. Bei einer zweiten Frigittoria, an deren Namen ich mich nicht genau erinnere – irgendetwas mit Präsidenten oder Prinzen oder so schmeckte es auch sehr gut.
Weil gerade Karneval ist, gab es auch viele frittierte Süßigkeiten. Chiacchiere, flache Teigplatten mit ein paar Löchern und leichtem Orangenblütenwasseraroma, scheinen die Klassiker des italienischen Faschingsgebäcks zu sein. Es gibt sie mit Puderzucker bestäubt oder in Kakaoglasur. Sie sind ziemlich knusprig und mir fällt keine deutsche/österreichische Entsprechung dafür ein, denn bei uns scheint sämtliches Frittiertes immer aus fluffigem Hefeteig zu sein.
Ein Gebäckklassiker Napolis sind Sfogliatelle. Das sind kleine Hörnchen aus vielen Schichten Filoteig (oder so ähnlich, bestimmt kein klassischer Blätterteig!) mit unterschiedlichen Füllungen. Die verbreitetste Füllung besteht hauptsächlich aus Ricotta, der durch etwas Grieß eine spannende Konsistenz und durch kandierte Orangenschalen ein süditalienisches Aroma bekommt. Die Version mit Haselnüssen habe ich allergiebedingt nicht probiert. Ofenwarm sind sie am Besten, vielleicht versuche ich mal, selbst welche zu backen!
In der Auslage der Pannetteria Coppola auf der Via Tribunali entdeckte ich beim Frühstückseinkauf Taralli. Die kenne ich eigentlich nur als Miniatur-Aperitivo-Gebäck mit Rosmarin oder ähnlichen Kräutern. Die beim Bäcker bestanden allerdings zu mindestens einem Drittel aus grob gehackten Mandeln und waren handtellergroß. Intuitiv hielt ich sie zuerst für süßes Gebäck, aber sie waren mit Salz und Pfeffer gewürzt. Sehr spannend, auch etwas, das ich mal nachbacken könnte.
Trotz des großartigen Streetfoods wollte ich zumindest einmal im Restaurant essen. Leider wusste ich überhaupt nicht, wie ich ein Gutes finden sollte. Keiner der Blogs meines Vertrauens hatte Tipps für Napoli, TripAdvisor-Restaurantbewertungen geben in der Hinsicht fast nie etwas her und lokale professionelle Restaurantkritiker kenne ich nicht. Im Michelin (nicht, dass ich spontan ein Sterne-Restaurant im Sinn gehabt hätte), stieß ich auf Il Gobbeto:
Not far from lively Via Toledo, this authentic family trattoria serves a selection of much-loved, classic Neapolitan dishes. The traditional ambience is enhanced by the typical costumes of Naples worn by the owners. House specialities include gnocchi del gobbetto, pasta with potatoes and Provola cheese, and dried salted cod.
Via Michelin
Das Restaurant war ziemlich voll und trotz Reservierung mussten wir kurz vor der Tür warten. Der Kellner war mir unsympathisch (hauptsächlich weil er alle Kellnerinnen so ruppig unfreundlich behandelte) und hatte überhaupt keine Geduld (also nichtmal 2 Minuten) für uns übrig. Wir bestellten Miesmuscheln als Vorspeise, die mit Zitrone und ziemlich gutem Weißbrot serviert wurden. Aus den Primi suchte mein Begleiter Spagetti alle vongole aus, die noch sehr bissfest waren. Die sehr simple „Sauce“ aus Butter, Petersilie und Cocktailtomaten (kein Pfeffer!) war dafür so gut, dass ich sie mit dem Brot aufsaugte. Mein erster Gang, Manfredi (breite gewellte Bandnudeln) mit Tomaten-Ricotta-Sauce war ein bisschen fade, da konnte selbst meine große Ricotta-Begeisterung nicht mehr helfen.
Ich bestellte als Hauptgang gegrillten Schwertfisch, weil es das einzige nicht frittierte Fischgericht auf der Karte war. Schwertfisch habe ich vorher noch nie gegessen, die Konsistenz erinnerte mich fast an Geflügelfleisch, so fest und mager wie sie ist.
Für meinen Begleiter gab es Alici fritte, fritierre Sardellen. Mit viel Zitrone und Weißbrot schmeckten die wirklich gut. doch nach nur wenigen Minuten verlor die Panade schon an Knackigkeit, schnell essen (teilen!) lohnt sich hier.
Dazu tranken wir den außerordentlich günstigen und ganz guten (hab immer noch keine Anhung von Wein, aber er schmeckte mir) Hauswein (4 € für eine Flasche). Eine Nachspeise ging sich nicht mehr aus, weil wir relativ bestimmt darauf hingewiesen wurden, dass nun die nächsten Gäst_innen kommen würden. Insgesamt war der Restaurantbesuch also vor allem stressig – die Atmosphäre unruhig, die Kellner gehetzt (was sie gut auf die Gäst_innen übertragen konnten, wie unser Beispiel zeigt) – beim nächsten Besuch in Napoli würde ich nicht mehr dort essen gehen.
Bestimmt nochmal essen würde ich jedoch Eis von Leopoldo Infante auf der Via Toledo. Das Pistazieneis, genauer die Pistaziencreme, war das beste seiner Art, das ich jemals probiert habe. Es erinnerte mich in der Konsistenz an gefrorene Erdnussbutter – unglaublich cremig und fett – und schmeckte einfach sehr pistaz-ig (ganz anders als die vielen Pistazieneis-Verschnitte aus künstlichem Aroma, wie sie in Deutschland verbreitet sind). Die zweite Sorte in meiner Waffel nannte sich Benvenuti al Sud („Willkommen im Süden“) und war gespickt mit gerösteten Mandeln und kandierten Orangenschalenstückchen.
Mein Begleiter suchte sich aus der unglaublichen Sortenvielfalt (bestimmt 4 m Thekenbreite, 3 Eissorten „tief“) dunkle Schokolade und Haselnuss aus.
Ich freue mich schon sehr, wenn in Wien endlich wieder alle Eissalons aufmachen, hoffentlich mit vergleichbar gutem Pistazieneis.
Was ich in Wien auch cool fände: Eine Posteraktion gegen Alltagssexismus. Vor allem rund um die Uni sind mir in Napoli viele Plakate aufgefallen, deren Message ich sehr sympathisch fand. In Brüssel gibt es mit „Laisse les filles tranquilles“ („Lass die Mädchen in Ruhe“) übrigens eine ähnliche Aktion.
Das wars mit meinem Wochenende in Napoli, im besten Fall schreibe ich auch noch einen Post von meinen 25 Stunden in Rom ein paar Tage später.
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