TIAN

TIAN Restaurant Wien, Himmelpfortgasse 23, 1010 Wien

Ins TIAN wollt ich schon ewig – als Wienerin mit Fine-Dining-Hobby und vegetarischen Tendenzen ist das ja aufgelegt – in meinem „Urlaub daheim“ habe ich es nun endlich geschafft und freu mich sehr. Aber seht selbst:

Meine Begleitung insistiert, durch Fotobombing an meinen Restaurantberichten beteiligt zu sein

Zum Ankommen tranken wir weißen Wermut (9€), gut bitter, mit Zitrone und Birnen-Bitterorangensaft (9€), und putzten uns mit duftigen feuchten Frotteetüchern die Hände ab. Wir entschieden uns für das 8-Gänge-Menü (167€), das nur unwesentlich teurer ist als das 6-Gänge-Menü (159€), meine Begleitung nahm die vegane Option. Dazu eine Weinbegleitung (107€) und eine alkoholfreie Getränkebegleitung (99€).

Los gings mit Kohlrabi | Erdmandel | Kräuter, das heißt einem Kohlrabisaft mit Amazake in einem sehr hübschen Porzellanschüsserl mit Einbuchtung für den Daumen, sodass es sich sehr gut halten lässt (die Keramik in gehobenen Restaurants find ich auch immer spannend). Das schmeckte süß und ganz leicht malzig.

Daneben eingelegte Kohlrabi-Kreise mit Erdmandel-Saft, der erstaunlich „stärkig“ war, dazu u.a. Kerbel, Gundelrebe und die mit neue Salzmirbe, die tatsächlich recht salzig war. Auf einer weiteren Platte saßen zwei Tartelettes aus Erdmandeltrester, die trocken-knusprig und ebenfalls süß waren, darin ein bisschen saurer eingelegter Kohlrabi mit Spinat (?).

Gurke | Kefir | Tagetes

Es folgte mein liebster Teller des Abends: Kefir-Eis mit eiskalten Gurkenkugeln (roh, oder eingelegt mit Dill, Senf, Zitrus oder Estragon) und einem Gurken-Tagetes-Sud, zwischendrin ein paar cremige Emulsionstupfen. Tagetes ist mir letzten Sommer im JOLA zum ersten Mal bewusst begegnet, der Kellner verwies auf den geläufigeren Namen „Studentenblume“, offenbar häufig auf Balkonen zu finden.

Die vegane Version meiner Begleitung hatte statt Kefireis welches auf Mandelbasis, schmeckte entsprechend marzipanig, und war auch einen Tick weniger cremig.

Dazu: All the love of the Universe (2022) von Christian Tschida, der laut meiner Begleitung an Kirschbrand erinnert, während ich eher an Marillen denken musste. Und ein südafrikanisches Hirseferment, dessen Namen ich nicht aufgeschrieben habe, aromatisiert mit Hollerblüte, es roch recht käsig und schmeckte hauptsächlich nach Holler.

Es folgte Champignon | Artischoke | Liebstöckel, ein Sud aus geräucherten Champignons mit ein bisschen Liebstöckel (so duftig! und übermäßig umami!), darin Artischockenröllchen mit Schwammerlfüllung und ein Champignon mit Liebstöckelcreme.

Dazu wurde uns ein wirklich faszinierendes Ferment serviert, das ich so schnell nimmer vergesse: Sauerkraut-Champignon-Kombucha! Dass diese beiden Aromen in einem eher süßen Getränk funktionieren, hätte ich nie gedacht. Auf Nachfrage bekamen wir zumindest ein grobes Rezept. Demnach wird der Kombucha mit geräuchertem Sauerkraut angesetzt und mit Champignon-Shrub (zu gleichen Teilen aus Champignons, Essig und Zucker) fermentiert. Ich werde die Kombucha-Meister in meinem Umfeld drauf ansetzen! Im Weinglas: gemischter Satz von Joiseph, farblich angeglichen zum andern Drink, weil maischevergoren.

Seinerzeit war quasi eine Jause: Brot (Dinkel- und wohl Weizenvollkorn, meinte der Brotbäcker an meiner Seite) mit splittrig-knuspriger Kruste und ein südtiroler Schüttelbrot, knusprig und recht süß. Dazu Butter mit Tamari (schmeckte tatsächlich voll nach Sojasauce, laut meiner Begleitung mit dem veganen Menü vorrangig nach „Kuh“) bzw. eine sehr grüne Kräuter- und Nusspaste. Die wurde dezidiert als *kein Pesto* vorgestellt, sie schmeckte angeblich ätherisch-bitter und war sehr cremig (ich hab sie vorsichtshalber aus Angst vor der Haselnuss nicht probiert).

Nebenbei noch ein paar Snacks, nämlich geflämmte Jungzwiebeln mit Hagebutten(?)creme und Amaranthblättern, Stachys (ein Gewächs, das ich noch nie vorher gesehen habe: In der Konsistenz wie Maiskölbchen, dabei ziemlich stärkehaltig) in einer Vinaigrette, dazu süß-sauer eingelegter Knöterich (das eingewanderte „Unkraut“ an Flussläufen), sowie eine Stosuppe mit Kartoffeln, Kümmel, Brot und Sauerrahm.

Im Weinglas Grüner Veltliner Kalt und Klar von Heidelinde und Markus Lang (2019), in der alkoholfreien Begleitung Erdbeer-Kvas mit Erdbeer-Kombucha und Eberraute (Colakraut!).

Darauf folgte ein Wein, den es so in Österreich gar nicht geben könnte, meinte jedenfalls der Sommelier. Into my Arms (2020) von Armin Kienesberger besteht zu zwei Dritteln aus Grünem Veltliner und zu einem Drittel aus Pinot Noir, leicht und auch leicht hantig, ich mochte ihn sehr (auch wenn mir das der Sommelier nach meinen Schwärmereien für die Fermente nimmer recht abkaufte). Apropos Ferment, noch was Überraschendes, nämlich Spargelkombucha, Pfirsichsaft, Knöterichessig (die übrige Lake wohl!) und Rhabarberkombuchaschaum, in der alkoholfreien Begleitung.

Zucchini | Paradeiser | Shiso, Teil 1: mit Tomaten-Shiso-Sud und ein paar getrockneten Tomaten, winziwinzikleinen Luftknoblauchzehen und Kürbiskernen. Der für mich unauffälligste Gang im Menü.

Zucchini | Paradeiser | Shiso, Teil 2: in dünnem Teig frittierte Blüten mit Tomatenstaub, honigbepinseltem Shisoblatt auf „Risotto“ mit steirischem (?) Reis und Bergkäse. Die vegane Variante mit Cashew-/Kürbiskernpaste mochte ich sogar ein bisschen lieber. Dazu ein Glas Silvaner Alte Reben (2021) von Saalwächter aus Ingelheim, einer Stadt bei der ich bisher eher an Chemieindustrie denn an Wein denken musste. Außerdem Preiselbeer-Johannisbeer-Amazake, ganz mild und süß.

Der folgende Wachter Wiesler Blaufränkisch Ried Ratschen (2014) war gar nicht mild und süß, aber seine ursprüngliche Strenge, die das Weingut laut Sommelier dazu bewogen hatte, den Jahrgang zwischenzeitlich vom Markt zu nehmen, hat er schon verloren. Ein zweites Getränk zur Hauptspeise in der alkoholfreien Begleitung: Amazake, Heidelbeer-„Blut“ und kaum merkbare Lärchenwipferl, sehr viskos.

Steinpilz | Brombeere | Sonnenblume, Teil 1: Ein Raviolo, unten aus Nudelteig, oben aus Sonnenblumenkerntrester (oder so ähnlich), gefüllt mit Sonnenblumenkerncreme, im Steinpilzsud, sehr gut.

Steinpilz | Brombeere | Sonnenblume, Teil 2: sautierte Steinpilze (ich hatte schon vergessen, wie gern ich die mag!), Kartoffel, de/rehydrierte Brombeeren und junge Sonnenblumenkerne. Nebenbei ein Stück aufgespießte Sonnenblume, abzuknabbern wie ein Maiskolben, mit Steinpilzbutter (die vegane Variante mit Miso). Ich wusste nicht, dass die Schalen der Kerne auch essbar sind! Der Blütenboden ist das theoretisch auch, nur ist er schrecklich bitter. Das wollte ich auf die Warnung des Kellners hin erst recht probieren, und, naja, selber schuld…

Bei den Getränken ging es süßer weiter, einerseits mit Popcorn-Kombucha (Ich sollte auch endlich mal popcorn-infused irgendwas machen, das nehm ich mir schon ewig vor), andererseits der fruchtige Riesling Hirschin (2017) vom Weingut Hirsch, den meine Begleitung schrecklich fand.

Der vegane Käsegang hatte eine „Camembert“-Pastinake im Zentrum (Koji-Galore?) außerdem gepufften Amaranth und noch zwei Sachen, die ich weder probiert noch aufgeschrieben habe. Meiner bestand aus Feigenfrischkäse (wie ich bei meiner Zwetschgen-Walnuss-Feigenblatt-Tartelette gelernt habe, wohl mithilfe von Feigenblattsaft gestockt), Feigenkompott, Molkeschaum und einer Maiwipfelsirup-glasierten Feige. Nicht mein Lieblingsgang, um ehrlich zu sein.

Aber dann: Desserts! Als erstes kam ein Heidelbeer-/Maulbeerschaum mit Kürbiskernmiso-Crumble (so gut!), daher, nebenbei ein geräucherter (?!) Cheesecake-Lolli in Kürbiskernnougat mit Rosengelee, Kürbiskernmiso und kandiertem Rosenblatt. Die vegane Variante war mit Wildreismousse gefüllt.

In der letzten Getränkerunde des Abends: frischer Pet Nat Oh when the Saints vom Weingut Heinrich 2021, mit Comic Sans am Rückettikett (Welche_r Grafiker_in wollte da lustig sein?) und Reismilch mit Kakaobruch und Rosenkombucha. „Schmeckt auf eine gute Art nach Badewanne“, so meine Begleitung – was auch immer das heißt (mir taugte das Getränk nicht besonders).

Die zweite Dessertrunde war ebenso aufregend: Gebackene Stracciatella | Sauerampfer | Haselnuss | Ananaskirschen. Eine Nachspeise mit mit so unüblichen Komponenten kann ich nur feiern – bröseliger Stracciatellakäse in weißer Schokolade und Kriecherl(?)glasur, frischkräutriges Sauerampfersorbet, Rucola (?!), Vanillejoghurt, Kürbiskern(?)biskuit. Lediglich die Menge fand ich ein bisschen off, zwei Drittel oder auch nur die Hälfte des Stracciatella hätten es auch getan.

Das vegane Dessert meines Gegenübers Beni Wild Harvest | Himbeere | Amazake war etwas klassischer: Schokomousse und Brownie mit Himbeeren in vielen Varianten (Sorbet, „Kaviar“, Amazakesauce) und einer Frucht irgendwo zwischen Tomate und Physalis.

Zum Schluss brachte man uns eine magische Pralinenschachtel mit scheinbar immer mehr Schubladen (wobei, ganz ehrlich, die auffächernde im Bootshaus am Traunsee war noch ein bisschen beeindruckender), davon hab ich mir dreierlei ausgesucht. Schwarz gefärbtes, ziemlich torfig-rauchiges Whiskygelee, fruchtigfrisches Himbeergelee und winzige Hafer-Rosinen-Quitten-Cookies. Mein gegenüber wählte das Brot-Crumble in veganer Milchschokolade (leider mit Nuss) und gebrannte Kakaobohnen, die ich sehr toll fand.

tian eingangsschild
Feigenblätter, überall!

Ich war (aus hier irrelevanten Gründen) völlig gestresst, angespannt und grade noch pünktlich beim TIAN angekommen. Doch als ich die Türschwelle überschritt, war ich schon ruhiger und spätestens nach dem ersten Gang wieder ganz und gar fröhlich und vorfreudig auf den restlichen Abend, der tatsächlich super wurde (und damit glücklicherweise das klare Gegenteil meiner bisher zwei Besuche im TIAN Bistro am Spittelberg, die leider lange negativ nachhallten). Das Interior des Restaurants ist ein bisschen kathedralenhaft (mit leichten Y2K-Anklängen durch Stoffe und die Hängelampen), die Atmosphäre aber ziemlich leger, die Gäst_innen an diesem Abend recht unterschiedlich: Von amerikanischen Tourist_innen auf Date Night über mittdreißigjährige Business-Dudes mit iPhones immer in der Hand, einem Freundinnen-Duo in offensichtlicher Spendierlaune und ein paar größere Runden war alles dabei. Die Musik im Hintergrund war die meiste Zeit über kaum auszumachen, ich glaube aber sowohl Paul Kalkbrenner als auch Waldeck erkannt zu haben.

Das Menü hat mir sehr gefallen, ich habe viele spannende Zutaten und -kombinationen kennengelernt und werde sie für Nachbau-Aktionen im Kopf behalten (Sauerkraut-Champignon-Kombucha! Popcorn-Kombucha! gebrannte Kakaobohnen!). Das Feigenblatt vom Käsegang habe ich mir eh gleich mit heimgenommen und zu Eis weiterverarbeitet, dessen Rezept allerdings noch ein bisschen Verbesserung braucht, bevor ich es verblogge.

Die alkoholfreie Getränkebegleitung im TIAN war außergewöhnlich und eindeutig unter den aufregendsten, die ich in letzter Zeit gekostet habe. Ein großes Danke an den lieben Service, der gefühlt hundert Detailfragen zur den Gerichten und Getränken beantwortet hat, ich kam mir kurz schon vor wie in einem Kräuterkunde oder Fermentationsworkshop.



Hi, ich bin Jana.
Seit 2009 veröffentliche ich hier wöchentlich Rezepte, Reiseberichte, Restaurantempfehlungen (meistens in Wien), Linktipps und alles, was ich sonst noch spannend finde. Ich arbeite als Podcastproduzentin und freie Kulinarikjournalistin. Lies mehr über mich und die Zuckerbäckerei auf der About-Seite.

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Im Zuckersüß sammle ich (fast) jeden Sonntag meine liebsten Links der Woche: Rezepte für die Nachback-Liste, lesenswerte Blogposts, Zeitungsartikel und Longreads, Podcasts oder Musik, die mir gerade gefällt und oft genug auch Internet-Weirdness. Außerdem schreibe ich auf, was ich sonst so interessant fand: neue Rezepte in meiner Küche, Lokale, in denen ich gegessen, Pullover, die ich gestrickt oder Texte, die ich geschrieben habe.