Zuckersüß 296

Französischer Besuch Anfang der Woche bewegte mich zu sehr ausführlichen Stadtspaziergängen und Sightseeing in Wien. Spannend zu sehen, wie sich meine allerliebste Stadt im letzen halben Jahr verändert hat! Und im Juli bei hochsommerlichen Temperaturen Quasi-Tourist_in zu sein und z. B. durch den Schlosspark von Schönbrunn zu latschen oder auch am Stephansplatz herumzustehen ist erstaunlich ermüdend. Gut, dass es genügend Heurige am Stadtrand und nicht-überlaufene Gegenden außerhalb des Stadtkerns gibt, in denen es man sich mit einem Spritzer gut gehen lassen kann.

Und dann gibt es ja auch noch meinen liebsten Sommersnack: Eis! Meine Ferien-„Diät“ (=täglich ein Eis) konnte ich zwar leider nicht durchsetzen. Immerhin habe ich zwei mir neue Greissler-Sorten – Sachertorte und eine, an die ich mich nicht mehr erinnere (meine Favoriten werden beide nicht) – probiert, und bei Gefrorenes ein enorm gutes Birnensorbet mit Straciatella gegessen (schon auf der „Nachbau“-Liste!). Und dann noch ein nicht weiter besonderes Magnum-Steckerl-Eis , dem ich neben sichtbar künstlich aromatisierten und gefärbten Eissorten (ich Snob!) den Vorzug gab.

Apropos Farbe: der Twitter-Hashtag #kunstgeschichtealsbrotbelag, bei denen u. a. auf Initative von @MlleReadOn (die auch dazu gebloggt hat) berühmte Werke auf Brot statt Leinwand nachgebaut wurden, hat mich in dieser Woche sehr begeistert. Schaut mal:

https://twitter.com/MlleReadOn/status/1019506094962593792

Und wenn ich schon von Twitter rede, kann ich gleich noch was von meinem Lieblings-Social-Network in mein Blog tragen. Die Situationen im folgenden Thread sind mir so oder so ähnlich (so genau liest irgendwie keiner, was ich in die Zuckerbäckerei schreib, aber „irgendwas mit Feminismus“ wird offenbar immer mit mir assoziiert) auch schon einmal passiert und jetzt weiß ich immerhin, dass es nicht nur mir so geht.

https://twitter.com/magdalenabe_/status/1019247173865824256

Weil Ferien sind, oder vielleicht auch nur, weil ich gerade motiviert genug bin, habe ich auch in Büchern und nicht nur durch 280-Zeichen-Häppchen gelesen. Endlich habe ich nach fast vier Monaten auch die letzten paar Seiten von Paul Austers „4 3 2 1“  geschafft (s. a. Zuckersüß 282, 283, 284 und 290). Irgendwie hatte ich kurz vorm „Ziel“, die Lust verloren, wurde aber am Ende mit einem Twist – oder vielleicht noch einer Metaebene? – belohnt. Schon beim Lesen durch die ganzen 1070 Seiten der englischen Taschenbuchversion hatte ich den Eindruck, dass mich die Themen, mit denen die Hauptfigur Ferguson konfrontiert ist (US-Zeitgeschichte v. a. die Protestbewegungen der 1960er und der Vietnamkrieg, Literatur) noch länger beschäftigen werden, wenn sie es nicht eh schon vorher taten (Uni und Politik, Schreiben). Auch die Form des Romans hat mich beeindruckt: Aus heiterem Himmel tauchen im Fließtext Stichpunkte auf oder seitenlange Begriffsaufzählungen auf und die Schreibexperimente des angehenden Autors Ferguson nehmen teilweise mehrere Seiten ein. Dieser Roman ist eindeutig einer, der dazu motiviert, noch viel mehr Bücher zu lesen. Mich hat er auch angestiftet, mich mehr mit Literaturwissenschaft auseinandersetzen zu wollen, um mehr „Werkzeug“ an der Hand zu haben, wenn ich Bücher lese. Am Ende handele ich mir jetzt noch ein Nebenfach für mein Studium ein!

Leider habe ich noch kein nächstes Werk für meinen Mini-Buchclub gefunden, sicher ist aber, dass diesmal eine Autorin dahinterstehen sollte. Die Bilanz bisher ist eher ernüchternd: 5 von 6 Büchern, die ich 2018 gelesen habe, waren von Männern. Das Eine, das von einer Frau geschrieben wurde, war außerdem ein Sachbuch, zählt also nicht mal so richtig ( „Untenrum frei“ von Margarete Stokowski ist trotzdem sehr lesenswert!).

In ein paar andere Bücher habe ich auch ohne meinen Buchclub hineingelesen, darunter Harry Potter 4 auf Französisch, der hoffentlich das erste Buch in dieser Sprache wird, das ich jemals schaffe, fertigzulesen. Meine aktuelle Mitbewohnerin hatte gerade „Hunger“ herumliegen, das ich deshalb auch einfach zu lesen begann. Von diesem neuesten Buch von Roxane Gay hatte ich schon in der aktuellen Ausgabe des Rookie-Podcast, in dem es auch um so abstruses wie Tarot-Karten (?!) geht, gehört, wodurch mein Interesse geweckt wurde.

Und dann beschloss ich auch noch, mich endlich bei der Wiener Stadtbücherei einzuschreiben. Ich war aber so knapp vor der Schließzeit dort, dass mir nicht viel Zeit zum Stöbern blieb und ich mich für ein Sachbuch entschied, das mir schon länger durch den Kopf geistert. „We were feminists once. From RIOT GRRRL to COVERGIRL, the buying and selling of a political movement“ von Andi Zeisler war mir (vermutlich seit der Veröffentlichung) aus dem bitch media-Kontext ein Begriff, in meinem ersten Publizistik-Semester kam es auch einmal vor und schließlich hatte Annemarie von fairfetzt kürzlich darüber gebloggt. Die ersten beiden Kapitel über Werbung und (Hollywood-)Filme lasen sich schon mal sehr angenehm, mal sehen, wie es weitergeht.

Am Donnerstag machte ich mich auf nach Kärnten, um mein ÖBB-Sommerticket so richtig auszunutzen. Die Fahrt dauert von Wien aus ziiiiiemlich lang, aber mit Podcasts und Socken (ich konnte das fünfte Paar des Jahres fertigstellen!) war es halbwegs erträglich. In diesem Bundesland war ich vorher noch nie gewesen und wurde erstmal von der Schönheit der Berge und Seen dort erschlagen. Und das Essen war auch super! Ich verbrachte einige Zeit im Regenbogenland, wo ich in den Genuss des besten Sonnenblumenöls, das ich jemals gekostet habe, kam. Auf einem Berg mit Blick auf den Millstätter See trank ich Most, aß Fritattensuppe und Fleischnudeln. Letztere probierte ich nur, weil die vegetarische Version aus war und ich nicht ohne einmal DAS Regionalgericht probiert zu haben, wieder fahren wollte. Ehrlich gesagt war ich aber nicht überzeugt vom Faschierten und den Grammeln – dem ersten Fleisch, das ich seit Monaten gegessen habe. Aber die Marillenknödel retteten dann wieder alles!

Und jetzt, wie (fast) jeden Sonntag: Meine liebsten Links der Woche

REZEPT

Mais Cacio e Pepe
Ein Twitter-„Rezept“.

TEXT

Horst Seehofer hat den Anstand verloren – Süddeutsche.de
Peinlich. Und untragbar, der Innenminister.

Sein Zynismus erzählt aber auch von der Stimmung im Land. Sie ist aufgewühlt, sie ist voller Angst vor den Zuwanderern, sie ist voller Hass auf Andersdenkende. Die Basis dafür hat die AfD mit ihrer Politik der Herabwürdigung geschaffen. Aber es sind Leute wie Seehofer, die einmal in der Mitte der Gesellschaft standen, die diesem teils menschenverachtenden Diskurs heute vermeintlich den Segen geben. Der Hass schleicht sich immer weiter in die Gesellschaft. Wenn sie ganz oben in der CSU von „Asyltourismus“ reden und so die oft todbringende Flucht mit einer Urlaubsreise vergleichen, dann glaubt mancher Bürger, dass diese „Touristen“ nicht noch Mitgefühl brauchen.

Berichterstattung und Haltung kann man nicht trennen – Spiegel Online
Sascha Lobe über journalistische „Neutralität“:

Mir kommt es vor, als funktioniere die klassisch-journalistische Trennung von Berichterstattung und Meinung in Zeiten des autoritären Backlash nicht mehr. Denn sie wird missbraucht. Ich glaube, dass Journalisten heute qua Beruf auch Streiter für eine liberale Demokratie sind und dass sich dieser Umstand in den Nachrichten viel deutlicher spiegeln sollte. Man kann und sollte Berichterstattung und Meinungsartikel trennen: Aber man kann und sollte in diesen Zeiten nicht Berichterstattung und Haltung trennen.

Deutschland im Schlabberlook – Süddeutsche.de (via Buddenbohm&Söhne)
Ich würde mich nicht als besonders modeinteressiert bezeichnen und außerdem bemühe ich mich einerseits um Nachhaltigkeit, andererseits um Sparen – deshalb kaufe ich praktisch nie „neue“ Kleidung und ziehe halt an, was ich so habe. Hin und wieder ertappe ich mich aber doch dabei, „besser“ angezogen sein zu wollen und dieser Artikel schlägt in genau die gleiche Kerbe. Überhaupt, Mode unter literaturwissenschaftlicher Perspektive zu betrachten, ist mir neu.

Barbara Vinken nennt das einen „aggressiven Sprechakt“. Man trifft sie im Hofgarten zum Lunch. Vinken, 58, ist Professorin für Literaturwissenschaften und eine der ganz wenigen, die in Deutschland erhellend über Mode reden können; ihr Buch „Angezogen. Das Geheimnis der Mode“ war 2014 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Vinken also nennt es einen aggressiven Sprechakt, „wenn Kleidung nur noch sagt, ich bin funktional und bequem, und der ganze Rest ist mir egal“ – aggressiv insofern, als der Träger „die Gegenwart der anderen und den Raum der Öffentlichkeit leugnet“.

Ich eins – du eins. Ist das gerecht? – Beyond Milchmädchen
tl;dr: Konsumartikel, die beim Kauf vorsätzlich ein gutes Gewissen zu bereiten versuchen, sind praktisch immer kontraproduktiv.

Dieser paternalistische Ansatz ist im gesamten Bereich der privaten Entwicklungshilfe sehr weit verbreitet. Kirchengemeinden, Schulprojekte, Vereine von wohlmeinenden herzensguten Menschen, Unternehmen – sehr viele schließen von ihrem Bedürfnisempfinden auf das der Menschen vor Ort. Und so werden Schulhefte, Stifte, Kleidung, Schuhe, Wellbleche, und was noch alles aus westlichen Ländern in Entwicklungsländer gebracht. Und manchmal sind sie eben ebenso nützlich, wie das Feinrippunterhemd, das man ungefragt von Omma mitgebracht bekommt, statt des ersehnten Comicbandes oder des kleinen Beitrags zum Führerschein.

Wollen können machen – Frau Meike sagt (via @svenjasgodda)
Ich kann mittlerweile nicht mehr ohne schlechtes Gewissen Wasser in Plastikflaschen kaufen, vielleicht ist das gar nicht so schlecht.

Ich bin es so leid, dabei zuzusehen, wie sich Verbraucher („Ich kann nicht“), Unternehmen („Dafür besteht keine Nachfrage“) und Politik („Wir können Verbraucher und Unternehmen nicht entmündigen“) gegenseitig die Verantwortung für eine Veränderung der globalen Situation in die Schuhe schieben und sich genau deshalb absolut nichts ändert.

Großfamilien: Bloß nicht assi aussehen – ZEIT Campus
Eine persönliche Antwort auf Richard David Prechts abfälligen Kommentar zu Familien mit vielen Kindern.

Erschreckend, wie man sich dafür schämt, arm auszusehen. Sogar Menschen wie meine Eltern, die sich nie von außen haben vorschreiben lassen, wie sie ihr Leben zu führen haben. Sogar ich, obwohl ich gar nicht weiß, wofür ich mich schäme. Die abgetragenen Stiefel von früher würde ich heute nicht mehr anziehen. Das ist es, was mir an dem Asozial-und-dumm-Klischee von Großfamilien am meisten weh tut: Es zeigt, wie wir als Gesellschaft über Geld und Leistung denken. Kinder großzuziehen gilt nicht als Leistung – wer viele hat, ist dumm und selbst schuld.

Take a Walk in the Woods. Doctor’s Orders. – The New York Times
Erstaunlich.

Several theories have been proposed as to why spending time in forests might provide health benefits.  Some have suggested that chemicals emitted from trees, so-called phytoncides, have a physiological effect on our stress levels. Others suggest that forest sounds — birds chirping, rustling leaves — have a physiologically calming effect. Yet evidence to support these theories is limited.

Das Märchen vom produktiven 8-Stunden-Tag und warum wir weniger arbeiten sollten – Edition F
Zeit absitzen ist das schlimmste, was es gibt.

Bei ihnen war der Erfolg ihrer Arbeit nicht mit einer zeitlichen Investition verknüpft, die ihren gesamten Tag in Anspruch genommen hätte. Nein, vielmehr noch hatten sie für heutige Maßstäbe extrem kurze Arbeitstage und damit sehr viel Zeit, für Freunde, Hobbys und Reise. Und das bedeutet auch: jede Menge Ausgleich und Futter fürs Gehirn. Sie hatten Zeit für all das, was sie zu neuen Gedanken, Ideen und Konzepten anregte. Und genau das kommt heute für die meisten Menschen viel zu kurz. Wer sinnlose Stunden im Großraumbüro verbringt, wer Zeit absitzt, statt sie zu nutzen, um die Welt kennenzulernen, sie zu erleben und zu erfassen, kann nicht die besten Lösungen für all die Probleme und Fragestellungen finden, die sich tagtäglich stellen. Und trotzdem halten wir gesellschaftlich daran fest, weil die Angst einfach zu groß scheint, etwas Kontrolle ab- und das Gefühl von Messbarkeit aufgeben zu müssen.

AUDIO/VIDEO

Pound Cake Ice Cream by Chef Fernando Saénz (via NYT)
Ein jahrhundertealtes Eisrezept an heute angepasst und mit viel Kulturgeschichte umgeben. Tolles Projekt der spanischen Nationalbibliothek!

SONST SO

Below the Surface (via Weekly Filet)
Ein Katalog aller Dinge, die sich in einem trockengelegten Kanal in Amsterdam fanden.

See 200 Years of Immigration in the United States as a Graphic of a Growing Tree – National Geographic (via Weekly Filet)
Schöne Datenvisualisierung.

Blub Berlin – Fotostraße
Ein sich selbst überlassenes ehemaliges Spaßbad in Neukölln.

Nova’s New Hair – A Beautiful Mess
Dieses selbstgebastelte Kinderbuch scheint mir eine super Geschenkidee für Kleinkinder zu sein.

Men Prefer Debt-Free Virgins Without Tattoos
Dieses „Shareable“ wurde mir vergangene Woche mehrmals in die Timeline gespült. Ich hielt es für Satire, doch den Blogbeitrag dazu gibt es wirklich. WTF?!

FOTO

Der Millstätter See.

BACKKATALOG

2010: Walnuss-Brownies
2011: Haferflockencookies
2012: Süßes Fastfood
2013: Johannisbeerpie mit Erdnussbutter
2014: Guinness-Kuchen
2015: Kokos-Ingwer-Kuchen mit Orangensirup
2016: Pfirsich-Heidelbeer-Pie
2017: Honig-Rosmarin-Eis mit Topfen



Hi, ich bin Jana.
Seit 2009 veröffentliche ich hier wöchentlich Rezepte, Reiseberichte, Restaurantempfehlungen (meistens in Wien), Linktipps und alles, was ich sonst noch spannend finde. Ich arbeite als Podcastproduzentin und freie Kulinarikjournalistin. Lies mehr über mich und die Zuckerbäckerei auf der About-Seite.

Meine Sketchnotes:
jasowieso.com

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Porträtfoto: (c) Pamela Rußmann

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Im Zuckersüß sammle ich (fast) jeden Sonntag meine liebsten Links der Woche: Rezepte für die Nachback-Liste, lesenswerte Blogposts, Zeitungsartikel und Longreads, Podcasts oder Musik, die mir gerade gefällt und oft genug auch Internet-Weirdness. Außerdem schreibe ich auf, was ich sonst so interessant fand: neue Rezepte in meiner Küche, Lokale, in denen ich gegessen, Pullover, die ich gestrickt oder Texte, die ich geschrieben habe.

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